90 Zehntes Buch. Sechstes Capitel.
Welch ein Aufsehen erregte es, als plötzlich von Wien aus nach
England gemeldet und sodann von andern Seiten bestätigt ward, daß
der Sohn des Prätendenten, Carl Eduard, von Rom verschwunden
und, trotz der Uebermacht der englischen Marine an den italienischen
Küsten, zur See nach Frankreich gegangen sei. Er ward dort ab-
sichtlich nicht bei Hofe empfangen; den König Ludwig XV bekam er
nicht zu sehen; in tiefer Verborgenheit mußte er in Gravelines ver-
weilen und sich fürs erste begnügen, die Kreidefelsen Albions aus der
Ferne zu erblicken 1). Man hat später erfahren, daß eine Anzahl
englischer und eine noch größere schottischer Jacobiten mit dem fran-
zösischen Hofe in Verbindung getreten war und diesen Versuch hervor-
gerufen hatte. Das Haus Hannover fühlte sich nicht so sicher auf
dem englischen Throne, daß es nicht hierüber wirklich in einige Be-
sorgniß gerathen wäre.
Man erstaunt, wenn man sich der mannichfaltigen Projecte er-
innert, die diese Zeit gebar. — Bald steht das Uebergewicht von
Frankreich in Europa, die Trennung Böhmens von Oesterreich, bald
die Errichtung eines neuen Königreiches Baiern und die Umwandlung
des deutschen Reiches durch eine große Säcularisation, bald die Her-
stellung des Hauses Oesterreich in Neapel und Sicilien, Elsaß und
Lothringen, bald die Wiedereinsetzung der Stuarts auf den englischen
Thron in Aussicht. Die Entwürfe des 17. und des 19. Jahrhunderts
berühren einander.
In dieser Zeit nun, in welcher ein neuer Eifer über Frankreich
gekommen war, in allen Seehäsen und zu Lande auf das Eifrigste
gerüstet, von einer Aenderung des alten Ministeriums sehr ernst-
lich geredet wurde, wendete Friedrich II seine Augen wieder nach
Frankreich.
Man könnte meinen, da ein großer und lebhafter Kampf zwi-
schen den westlichen Mächten bevorstand, so hätte er um so leichter
ruhig bleiben und seine Neutralität genießen können. Er hat selbst
ausgesprochen, daß er das gekonnt, daß nichts ihn aus der sichern
Stellung, die er einnahm, gebracht haben würde, wenn ihn nicht die
Angelegenheiten des Kaisers dazu getrieben hätten?).
1) Lord Mahon: History of England vol. II. Aus dem Tagebuch
Kaiser Carls VII, Quellen und Forschungen VIII, 322, sieht man, wie auf-
merksam die Reise Carl Eduards beobachtet wurde.
22% S. M. Imple me fera la justice, que ce w’est que ses intérets doi
me menent àce que je me suis proposé de faire pour elle et que sans