210 II. Geschichte und System des deutschen und römischen Rechts.
der juristischen Person selbst. Dabei liegt eine Vertretung nur in dem Sinne vor, daß die
unsichtbare Einheit des Ganzen durch den dazu berufenen Teil wirksam dargestellt wird. Da-
gegen ist der individualrechtliche Begriff der Stellvertretung unanwendbar. Im Privatrecht
ist die juristische Person geschäftsfähig. Sie ist aber auch für ihr Verschulden verantwortlich
und aus unerlaubter Handlung zum Schadensersatz verpflichtet. Die im älteren deutschen
Recht unbestrittene Deliktsfähigkeit der juristischen Personen wurde von der Fiktionstheorie
verneint, in neuerer Zeit aber mehr und mehr wieder anerkannt. Sie steht jetzt gemeinrecht-
lich fest (BGB. 8 3l1, 86, 89).
Die Beendigung der Verbandspersönlichkeit kann durch Wegfall ihrer Daseins-
erfordernisse oder durch eigene Handlung (Auflösungsbeschluß) oder durch staatlichen Auf-
hebungsakt (insbesondere auch durch Richterspruch wegen rechtswidriger Handlungen) erfolgen.
Die Hinterlassenschaft, die von der Fiktionstheorie als erbloser Nachlaß behandelt wurde, geht
nach den Regeln der sozialen Sukzession kraft Gesamtnachfolge auf die anfallberechtigten Per-
sonen (bald die Mitglieder, bald eine andere Verbandsperson, bald den Staat) über. Die
Verwirklichung der Auflösungsfolgen vollzieht sich meist in einem rechtlich geordneten Zer-
setzungsverfahren („Liquidation“), während dessen nicht nur das hinterlassene Vermögen ge-
bunden bleibt, sondern auch ein Nachleben der Verbandsorganisation stattfindet.
Literatur: O. Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, 3 Bde., 1868/81; Die Ge-
nossenschaftstheorie und die deuts e Re tfpreZ P D. P. R. 5 Das Wesen der
menschlichen Verbände, 1902. — llsr. Juristenr. , lösssDPszff
Zitelmann, Gegrüff und Wesen E sog. jurist. Personkn, 1873. egels ber ger, Pan-
dekten § 75 ff. Meurer, Die juristischen Personen nach deutsch. Reichsren, 1901. Hö l der,
Natürliche und juristische Personen, 1905. Binder, Das Problem der juristischen Persönlich-
keit, 1907. Hübnerz 15 ff. Michaud, La Thöorie de la Personnalite morale et Son appli-
cation en droit francçais, 2 Bde., 1906/09. s aleilles, De la personnalité-juridique, 1910.
v. Schwerin löff. — Kahl, Die beutschen Amortisationsgesetze, 1879. — Preuß, Stell-
vertretung oder Organschaft, Jahrb. f. D. XLIV 429 ff.
#§# 30. Arten. Die Verbandspersonen sind von überaus ungleichartiger Beschaffenheit
und von sehr verschiedenem Range. Für die einzelnen Arten gilt nicht grundsätzlich gleiches,
sondern grundsätzlich ungleiches Recht.
I. Körperschaft und Anstalt. Ihrer Struktur nach sind die Verbände entweder
Körperschaften oder Anstalten, je nachdem sie als auf sich selbst beruhende und von einem
immanenten Gemeinwillen beherrschte Gemeinschaften oder als von einem Stiftungswillen
bestimmte Einrichtungen organisiert sind. Die Körperschaft kann anstaltliche, die Anstalt körper-
schaftliche Elemente enthalten. Doch überwiegt stets der eine oder andere Typus. Manche
Verbände haben im Laufe der Zeit ihre Gestalt gewechselt (z. B. die Universitäten).
II. Offentliche und private Verbandspersonen. Alle Verbände
gelten entweder als öffentlichrechtliche oder als privatrechtliche Gebilde. Im ersten Falle gehört
ihr gesamtes Sozialrecht einschließlich des Rechtssatzes, der ihnen Persönlichkeit beilegt, dem
öffentlichen Reichs-- oder Landesrecht an. Die Verbandspersonen des öffentlichen Rechts
treten aber als Rechtssubjekte in das Privatrecht ein und unterliegen als solche der Privat-
rechtsordnung (BGB. 5 89). Im zweiten Falle bildet ihr Sozialrecht einschließlich des ihre
Persönlichkeit anerkennenden Rechtssatzes einen Bestandteil des Privatrechts.
1. Unter den öffentlichen Verbandspersonen nimmt der Staat als das auf dem
Rechtsgebiet höchste (souveräne) Gemeinwesen, dessen Sozialrecht das Staatsrecht ist, eine Sonder-
stellung ein. Auch der Staat aber tritt unter dem Namen „Fiskus“ in das Privatrecht ein
und steht als Privatrechtssubjekt grundsätzlich den Einzelpersonen gleich. Nur einzelne privi-
legia kisci haben sich erhalten. Jeder Staat, daher sowohl das Reich wie jeder Einzelstaat, ist
ein Fiskus und (trotz BGB. F 395) nur ein Fiskus; die Einheit des Staatsfiskus drang schon
in den alten Territorien über der Scheidung von Kammergut und Landesvermögen durch. Welche
Verbandspersonen außer dem Staat öffentlichrechtlicher Natur sind, wird durch positive Sätze
des Reichs= oder Landesrechts entschieden, die auf Grund besonderer staatlicher Wertung ihr
Sozialrecht mit dem Range des öffentlichen Rechts bekleiden, ohne daß die einzelnen Folgen
gleichmäßig geordnet wären. Überall gehören dazu die Gemeinden, von denen aber