Full text: Regierungsblatt für das Königreich Württemberg vom Jahr 1900. (77)

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Mutter die Sorge für die Person des Mündels zu, so ist eine solche Anordnung 
nur unter den Voraussetzungen des §. 1666 zulässig (§. 1838); die gleichen Be- 
stimmungen gelten auch, wenn ein Minderjähriger, für den ein Vormund nicht 
bestellt ist, einen Pfleger erhalten hat, dem die Sorge für die Person des Kindes 
zusteht (§. 1915); 
II. auf Grund des Art. 1 des Zwangserziehungsgesetzes (zu vergl. Art. 34 II 
und Art. 135 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch): 
1) wenn der Minderjährige vor Vollendung des zwölften Lebensjahrs eine Handlung 
begangen hat, welche im Fall der Begehung durch einen Strafmündigen sich als 
Verbrechen oder Vergehen oder als eine Uebertretung im Sinne des §. 361 Ziff. 3 
oder 4 des Strafgesetzbuchs (Landstreicherei oder Bettel) darstellen würde, und die 
Zwangserziehung mit Rücksicht auf die Beschaffenheit der Handlung, auf die Per- 
sönlichkeit desMinderjährigen, seiner Eltern oder sonstigen Erzieher und auf seine 
übrigen Lebensverhältnisse zur Verhütung weiterer sittlicher Berwahrlosung er- 
forderlich ist, oder 
2) wenn sonstige Thatsachen vorliegen, welche die Zwangserziehung zur Verhütung 
des völligen sittlichen Verderbens nothwendig machen. 
In allen diesen Fällen ist die Zwangserziehung nur anzuordnen, wenn der Minder- 
jährige das sechzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat. In den landesgesetzlichen Fällen 
(Art. 1 Abs. 1 Ziff. 1 und 2 des Gesetzes) ist ferner eine gewisse sittliche Verwahrlosung 
des Minderjährigen Voraussetzung für die Anordnung der Zwangserziehung, während 
ein Verschulden der Eltern oder sonstigen Erzieher an der Verwahrlosung nicht vorzu- 
liegen braucht. 
Die Anordnung der Zwangserziehung soll das letzte Auskunftsmittel sein, wenn auf 
andere Weise dem Bedürfniß nach einer geordneten Erziehung nicht ausreichend entsprochen 
werden kann (Art. 1 Abs. 3). 
Stets ist von dem Vormundschaftsgericht zu prüfen, ob es sich thatsächlich um Ver- 
wahrlosung des Minderjährigen handelt und nicht lediglich Hilfsbedürftigkeit desselben 
oder seiner Erzieher vorliegt; in letzterem Falle ist die zuständige Armenbehörde (§. 28 
des Unterstützungswohnsitzgesetzes vom (Reichs-Gesetzblatt von 1894 S. 262) 
zur geeigneten Fürsorge zu veranlassen.
	        
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