48 Vas Beutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (März 18.)
18. März. (Reichstag.) Etat. Einmalige Ausgaben für
die Marine. Bewilligung von drei Kreuzern (vgl. S. 42). Mar-
schall über die deutsche Politik in Ostasien (vgl. 1895 S. 122, 317).
Abg. Dr. Lieber (3.) beantragt Genehmigung der von der Budget-
kommission (S. 42) bewilligten 7¾4 Millionen und bespricht die Gerüchte
über die bevorstehende große Vermehrung der Flotte (S. 20). Staatssekr.
des Ausw. Frhr. v. Marschall: Die Regierung sei frei von jeder un-
politischen Schwärmerei für die Flotte und verlange nicht mehr, als un-
umgänglich notwendig sei. Nachdem er die Forderung wie in der Budget-
kommission begründet hat, führt er aus: Ich komme nun zu dem Gebiet,
wo seit zwei Jahren eine größere deutsche Flotte stationiert ist, den ost-
asiatischen Gewässern, und entspreche hier dem Wunsche, der mir in der
Budget-Kommission ausgesprochen wurde, einigen Aufschluß über unsere
Aktion vom vorigen Jahre zu geben, um so lieber, weil man uns in dieser
Beziehung Borwürfe auch hier im Hause gemacht hat, weil man behauptet
hat, wir hätten im vorigen Jahre entgegen unserer Zusage gehandelt, wir
hätten einen ganz unvermuteten plötzlichen Frontwechsel vorgenommen. Alle
diese Vorwürfe sind durchaus unhaltbar. Ich habe im vorigen Jahr er-
klärt, wir bleiben während des Krieges zwischen China und Japan neutral.
Getreu dieser Haltung haben wir während des Krieges jeden Gedanken der
Intervention zurückgewiesen, weil wir der Ansicht waren, daß, so lange es
keine Sieger und keine Besiegten gab, eine Intervention nutzlos, ja sogar
schädlich sei. Als dann aber die Wagschale in diesem Kriege zu Gunsten
Japans sich gesenkt hatte und die ersten Nachrichten der voraussichtlichen
Friedensbedingungen nach Europa gelangten, haben wir schon in den ersten
Tagen des März vorigen Jahres, also sechs Wochen vor dem Friedens-
schluß, die japanische Regierung in freundschaftlicher Weise darauf auf-
merksam gemacht, daß Annexionen auf chinesischem Festlandgebiete voraus-
sichtlich zur Intervention europäischer Staaten führen würden. Wir find
dabei von der Ansicht ausgegangen, daß eine Annexion der Halbinsel
Liaotung gleichzeitig mit der Annexion von Formosa eine vollkommene Um-
wälzung in den Verhältnissen Ostasiens herbeiführen würde, daß die Besitz-
nahme dieser Punkte durch Japan eine beständige Bedrohung Chinas an
seiner verwundbarsten Stelle enthalten und daß dadurch China in eine
materielle, ökonomische, militärische und wirtschaftliche Gefolgschaft von
Japan kommen würde, die für europäische, speziell deutsche Interessen nach-
teilig wäre und den Anlaß zu neuen Verwickelungen bieten würde. Als
nach dem Friedensschluß von Simonoseki die russische Regierung mit uns
ins Benehmen trat und bezüglich des Friedensschlusses, insbesondere der
Annexion von Liaotung unsere Anschauung teilte, da kam es zu jener
friedlichen Intervention, deren Verlauf ja allgemein bekannt ist. Die
Thätigkeit, die wir bei den Verhandlungen mit Japan entwickelt haben,
haben wir vor niemand zu verheimlichen, am allerwenigsten vor der japa-
nischen Regierung; denn es ist nicht nur Vermutung, wenn ich es aus-
spreche, daß man in den Kreisen der japanischen Regierung mit diesem
Ausgange zufrieden war. Ich erinnere in Bezug auf unser Vorgehen an
den letzten russisch-türkischen Krieg. Wenn man uns vorhält, wir hätten
durch diese Intervention die Geschäfte Rußlands und Frankreichs geführt,
so sage ich umgekehrt: nur dadurch, daß bei der Intervention drei Staaten
beteiligt waren, konnten wir die deutschen Interessen wirksam vertreten.
Wir haben unsere politische Haltung eingenommen, nicht China zuliebe und
nicht Japan zuleide, sondern lediglich in Wahrung unserer Interessen. Ich
wüßte nicht, was uns veranlassen sollte, dem befreundeten Japan gegenüber