Full text: Europäischer Geschichtskalender. Zweiter Jahrgang. 1861. (2)

Deutschland — Preußen. 37 
Motivirung: Der Antrag will sich ausdrücklich nur auf das positive 
Völkerrecht stützen, d. h. auf die Verträge von 1815 und es wird aus diesen 
nachzuweisen gesucht, daß man damals die polnische Nation unter drei 
Fürsten stellte, ohne das Land als vollständig getheilt anzusehen: vielmehr 
erkannte man zwischen den einzelnen Theilen eine Integrität, eine gewisse 
territoriale Einheit an, indem innerhalb der Grenzen des alten Polen 
vom Jahre 1772, trotz der drei verschiedenen Szepter, nicht nur im Grenz- 
verkehr, sondern auch in allen merkantilischen Beziehungen die größten gegen- 
seitigen Erleichterungen (und zwar nur für die Einwohner dieser polnischen 
Landestheile) ausbedungen wurden. Ferner hätten sich die kontrahirenden 
Mächte gegenseitig zur Aufrechthaltung der polnischen Nationalität 
vermittelst nationaler Institutionen und Verfassungen ausdrücklich verpflichtet. 
Das polnische Volk sei unter der Garantie seiner Nationälität als ein be- 
sonderes Glied der europäischen Völkerfamilie anerkannt worden. Die An- 
tragsteller seien ihrerseits nicht gemeint, sich auf die Wiener Traktate als 
eine Basis unveräußerlicher Rechte der Polen zu berufen, da sie ohne ihre 
Zustimmung und Mitwirkung geschlossen seien; aber Keinem, der durch 
diese Traktate Verpflichtungen gegen die Polen übernommen habe, stehe das 
Recht zu, dieselben einseitig zum Nachtheil der Polen zu verkümmern oder 
gar aufzuheben, und so lange nicht eine Aenderung des positiven Völker- 
rechts durch einen Kongreß erfolge, müssen die völkerrechtlichen Stipula- 
tionen als zu Recht bestehend anerkannt werden. 
Minister Graf Schwerin: Ich kann, um den Standpunkt der Re- 
gierung zu bezeichnen, nur sagen, daß es nicht darauf ankommt, was in 
diesem oder jenem Vertrage steht, sondern nur darauf, daß die Provinz 
Posen von dem Könige von Preußen mit voller Souveränität in Besitz 
genommen ist, und daß diese volle Souveränität eine territo- 
riale Einheit des ehemaligen Polens nicht gestattet, eine Ab- 
scheidung von den anderen Provinzen des Staates ausschließt. Diese 
Souveränität bedingt, daß in jener Provinz kein anderes Gesetz gilt, als 
nur preußisches Gesetz und Recht, und daß das preußische Gesetz dort fort 
und fort gehandhabt werden soll. Ich kann die Versicherung nur wieder- 
holen. Dagegen wird aber die Regierung eine jede Uebertretung des Ge- 
setzes, möge sie mit Worten oder mit den Waffen in der Hand geschehen, 
mit aller Entschiedenheit zu jeder Zeit zurückzuweisen wissen. 
Das Abg.-Haus geht über den Antrag mit großer Mehrheit 
zur Tagesordnung über. 
23. April. Der Minister des Innern erklärt im Herrenhause, daß die Re- 
gierung nicht gewillt sei, die Grundsteuerfrage zu einer Pression 
auf das Herrenhaus zu benützen, obgleich sie sich wohl bewußt sei, 
alle gesetzlichen Mittel anwenden zu müssen, um die Frage noch 
in diesem Jahr zum Abschluß zu bringen. 
25.4.  Depesche der preuß. Regierung an Bayern in Antwort auf die 
Mittheilung des Würzburger Conventionsentwurfes: 
„. .. Preußen ist weit entfernt davon, die Berechtigung eines Motivs zu 
verkennen, welches den süddeutschen Staaten den Antrieb zu einer Verein- 
barung wie jene Convention geben konnte. Daß die Vertheidigungsmittel 
von Südwestdeutschland, welches einem feindlichen Angriff sehr leicht zu- 
gänglich ist, an sich nicht ausreichend sind, und daß man dort daher stets 
bemüht sein muß, sich zum eigenen Schutze möglichst zu verstärken — wem 
kann dies weniger verborgen sein als Preußen, welches, so oft drohende 
Eventualitäten eintraten, mit seinen süddeutschen Bundesgenossen diese Frage 
aufs sorgfältigste erwogen und mit ihnen entsprechende Verabredungen ge- 
troffen hat? Noch nie ist eine für das gemeinsame Interesse Deutschlands
	        
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