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In Bayern und Württemberg sind alle
polizeilichen Rechte der Standesherren beseitigt
worden. In Baden und in Hessen kommen
ihnen wie den Grundherren das Recht zur Aus-
übung der Ortspolizei im Bereich ihrer Schlösser,
Wohnungen und Zubehörden zu; ebenso sind sie
wie jene von der Polizeigewalt der Bürgermeister
in gleicher Weise ausgenommen.
5. Die Handhabung des kirchlichen Patro-
natsrechts bestimmt sich nach den kirchenrecht-
lichen Vorschriften. In Preußen und in Hessen
besitzen die Standesherren noch ein beschränktes
Präsentationsrecht für die Volksschullehrerstellen
ihrer ehemaligen Gebiete.
6. Bezüglich der Steuern und Abgaben
an den Staat bzw. an die Gemeinde genießen die
Standesherren wiederum gewisse Vorrechte. Be-
züglich der indirekten Steuern haben sie keine
Steuerfreiheit. In Bayern erhalten die standes-
herrlichen Familien die Zölle aus der bayrischen
Staatskasse zurückvergütet, welche von den Ver-
zehrungsgegenständen entrichtet worden sind, die
für ihren eignen Hausbedarf eingeführt wurden.
Die Befreiung der Standesherren von staat-
lichen Personalsteuern ist in Preußen seit
1. April 1893 gegen Entschädigung aufgehoben;
in Bayern besteht diese Steuerfreiheit noch.
In Württemberg, Baden und Hessen
aber nicht. Dagegen sind die Schloßgebäude
der Standesherren und die dazu gehörigen Gärten
in fast allen in Betracht kommenden Bundesstaaten
von der Gebäudesteuer und der Einquar-
tierungslast frei.
Während in einigen süddeutschen Staaten, wie
Württemberg, die Standesherren auch zu den Ge-
meindesteuern bzw.-Umlagen beigezogen werden,
ist in Bayern die Befreiung der Standesherren
von dieser Besteuerung aufrecht erhalten worden;
in Preußen hat das Kommunalabgabengesetz vom
24. Juli 1893 die Befreiung der Standesherren
von den Realsteuern vom Grundbesitz allgemein
beseitigt. In Bayerr bezieht sich die Befreiung
von Ortsgemeindeumlagen nur auf ihre vormals
reichsständischen Besitzungen. In Baden sind
die Residenzschlösser der Standesherren und die
dazu gehörigen Gärten befreit vom Beizug der
Gemeindebesteuerung. In einigen Staaten besitzen
die Standesherren auch ein Vorrecht auf Berg-
werksmutung auf ihren Besitzungen.
IV. Beräußerung der Rechte der Standes-
herren. Da, wie oben ausgeführt wurde, standes-
herrliche Häuser im Sinn des Staaterechts der
deutschen Staaten nur jene sind, welche bis 1806
Reichsstandschaft und Landeshoheit besessen und
entweder damals oder später diese Eigenschaften
verloren haben, so ergibt sich hieraus ein Dop-
peltes: nämlich daß die standesherrlichen Rechte
einmal an die Familien gebunden sind, somit
nicht mit den Gütern auf eine andere Familie
übertragen werden können, sodann daß diese
Rechte auch an die Besitzungen gebunden sind ohne
Standesherren, deutsche.
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Rücksicht auf deren Größe. Danach beantwortet
sich auch die Frage nach der Rechtswirkung einer
Veräußerung von standesherrlichen Besitzungen.
Insoweit die standesherrlichen Rechte an diese ge-
bunden sind, gehen sie durch eine Veräußerung
der Standesherrschaft verloren. Natürlich kann
der Standesherr seine Eigentumsrechte veräußern
unter Beobachtung der aus den Hausgesetzen und
den Landesgesetzen sich ergebenden Vorschriften.
Wenn die Veräußerung an ein ebenbürtiges Mit-
glied derselben Familie erfolgt, dann verliert der
Standesherr seine Stellung als Haupt der Fa-
milie und wird so einfaches, ebenbürtiges Mitglied
seiner Familie. Erfolgt sie aber an einen andern
Käufer, so gehen damit dem Standesherrn und
seiner Familie jedenfalls seine dinglichen Rechte ver-
loren, ob auch seine und seiner Familie bisherigen
persönlichen Vorrechte, ist bestritten. Nach der
einen Ansicht (so G. Meyer, Verwaltungsrecht u.
v. Rönne-Zorn, Preuß. Staatsrecht II) behält
in diesem Fall die Familie ihre bisherigen per-
sönlichen Rechte. Der Standesherr wird z. B. in
Preußen bloßer „Personalist"“ und seine Eigen-
schaft als ehemaliger Standesherr ist dort be-
sonderer Bestimmung anheimgegeben. In Bayern
gehen nach v. Seydels Ansicht mit dem vollstän-
digen Verlust der standesherrlichen Besitzungen
auch die persönlichen Rechte als Standesherr ver-
loren.
V. Standesherrliche Vorrechte in Sachsen.
Da das Königreich Sachsen bei der Mediatisation
in den Jahren 1806 und 1815 leer ausging, so
hatte es auch keine Standesherren im Sinn des
Art. 14 der Bundesakte. Doch wurde der Fa-
milie von Schönburg, die schon 1740 ihre Landes-
hoheit verloren hatte, vom deutschen Bundestag
1828 „diejenigen persönlichen und Familienrechte
und Vorteile, welche durch die Bundes= und
Schlußakte oder durch spätere Bundesbeschlüsse
den im Jahr 1806 mediatisierten ehemaligen
reichsständischen Familien zugesichert worden“,
eingeräumt. So genießt diese Familie Schönburg
noch jetzt in Sachsen eine Anzahl von persönlichen
standesherrlichen Rechten. In ähnlicher Weise
kommen in Sachsen dem zum standesherrlichen
Gesamthaus Solms gehörigen Haus Solms-Wil-
denfels standesherrliche Vorrechte zu.
VI. In Osterreich sind die meisten Vorrechte
der Standesherren weggefallen, so besteht dort
auch die Befreiung der Mitglieder der mediati-
sierten Häuser von der Steuer- und Militärpflicht
seit 1848 nicht mehr. Nur die Ebenbürtigkeit
dieser Häuser und der Titel „Durchlaucht“ bzw.
„Erlaucht“ für die Häupter dieser Familien wur-
den ihnen zuerkannt, da die Bundesakte von 1814
in Osterreich niemals in ihrer Gesamtheit verkün-
det worden, somit dort die standesherrlichen Pri-
vilegien nur insoweit bestehen, als dieselben durch
Spezialgesetze anerkannt sind.
Literatur. Vollgraff, Die deutschen Standes-
herren (2 Bde, 1824); v. Dresch, Von den Rechts-