Full text: Von Potsdam nach Doorn.

Die Reichsfeinde 
Das Zentrum 
Als die Schlacht von Königgrätz geschlagen war, soll man im Vatikan ge- 
rufen haben: ‚Die Welt geht unter!” Von dem Standpunkt der römischen 
Kirche und des Jesuitenordens gesehen, war der Ausruf begreiflich. Das 
Habsburger Reich galt mit Recht als Hort des Katholizismus mit seiner 
apostolischen Majestät, dem Kaiser von Österreich. Das preußische Herr- 
scherhaus Hohenzollern mit beinahe dem ganzen Norddeutschland war der 
Hort des Protestantismus, also des Todfeindes. Die katholische Geistlich- 
keit, die Jesuiten an der Spitze, sahen mit Königgrätz und Nikolsburg die 
deutsche Einigung kommen und entfalteten gegen sie eine ebenso fanatische 
wie geschickte Propaganda in den süddeutschen katholischen Staaten, in 
den katholischen Teilen Preußens, am Rhein, in Westfalen, Westpreußen, 
Oberschlesien und Posen. Das Schlagwort war: die katholische Religion sei 
nun in Gefahr, das so mächtig gewordene Preußen werde danach trachten, 
den Katholizismus in Deutschland auszurotten, den Katholiken ihre Reli- 
gion zu nehmen und sie zu verfolgen. 
Die Einigung zwischen Süd- und Norddeutschland gelang trotzdem. Die 
einigende Kraft der wirtschaftlichen Entwicklung, die Furcht, sonst ın 
einem kommenden Kriege zwischen dem Norddeutschen Bunde und Frank- 
reich zerrieben zu werden, und das deutsche Volksgefühl waren stärker. Dazu 
kamen die überragende Geschicklichkeit Bismarcks, die Anstrengungen 
weitblickender süddeutscher Staatsmänner, die die Einheit wollten, und die 
Einsicht und Loyalität der süddeutschen Fürsten. An der Spitze jener süd- 
deutschen Staatsmänner ist der bayrische Fürst Chlodwig von Hohenlohe 
zu nennen. Er hat als katholischer Deutscher in der Reichsfrage eine sehr 
rühmliche Rolle gespielt, nicht minder sein Bruder, der Kardinal Hohen- 
lohe, der während des Kulturkampfes von den Jesuiten vergiftet wurde. 
Wir kommen damit zu dem einen, dem ersten der ausgesprochenen Reichs- 
feinde in Deutschland: zu den Führern und Trägern des politischen Katho- 
lizismus, politisch verkörpert in der sogenannten Zentrumspartei im Deut- 
schen Reichstag, im preußischen Abgeordnetenhause und, später, in der 
Bayrischen Volkspartei. Die politisch-katholische Partei entstand in dem- 
selben Jahre, da das Vatikanische Konzil die Unfehlbarkeit des Papstes be- 
schlossen hatte. Eine zunächst lange Reihe von hohen Geistlichen Deutsch- 
lands opponierte gegen diese Entscheidung. Schließlich wichen aber die 
meisten dem Druck des Vatikans. Diejenigen, die festblieben, wurden 
exkommuniziert und als nicht mehr zur Kirche gehörig behandelt. Der 
Staat aber schloß sich der Forderung der Kirche nicht an: diese Persönlich- 
8 RBeventlow: Von Potsdam nach Doorn 129
	        
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