Full text: Von Potsdam nach Doorn.

kapitalismus zu halten. Das ist der teuflische Anschlag: Ihr sollt nie frei 
werden! Deshalb müßt ihr die sozialen Gesetze, die wir ja abgelehnt haben, 
als Fallgruben tür euch erkennen! — und übrigens, was geben sie euch ? — 
einen Dreck, sie werden euch nicht aus euerm Elend heraushelfen. Also ver- 
traut eurer Parteiführung, ihr gehört der Zukunft, sie allein kann und wird 
euch befreien! 
So blieb die Stimmung der Massen der Partei treu, voll begeisterten Glau- 
bens an den sozialdemokratischen Zukunftsstaat und, im Sinne des Um- 
sturzes, revolutionär. 
Zugleich sei auch auf die soziale Fürsorge hingewiesen, die von den großen 
Industriewerken ausging und sich im Laufe der Jahre zu einem hohen Grad 
von Vollkommenheit entwickelte, so in den Werken von Krupp, Stumm usw. 
Es wurde hier für Wohnungen, Speiseeinrichtungen für Angestellte und Ar- 
beiter, Kassen aller Art, Pensionierung der Alten in tatsächlich großzügiger 
Weise gesorgt. — Die Industrieherren betonten die Freiwilligkeit dieser Für- 
sorge: Also was wollt ihr eigentlich ! Auf der anderen Seite freilich verlangten 
sie, daß ihre Angestellten und Arbeiter nicht für die Sozialdemokratie und 
Demokratie stimmten. Das war damals von dem Standpunkt der großen 
Industriellen zu verstehen. Prompt aber setzte hier die sozialdemokratische 
Propagandaparole ein: Also das einzige politische Recht, das ihr Arbeiter be- 
sitzt: das freie Wahlrecht, will man euch nehmen, ihr sollt es verkaufen für 
eine unzureichende Fürsorge oder euch auf die Straße setzen lassen! — Es 
zeigte sich, daß der politische Erfolg dieser privaten Arbeiterfürsorge gleich 
null war. 
Worauf kam es denn im Kern an? Dem Handarbeiter durch Wort und 
Tat zu beweisen, daß der Staat, daß das Reich nicht sein Feind sei, und daß 
er, der Arbeiter, Staat und Reich nicht als Feind betrachten dürfe. Nur 
durch Versöhnung, besser: nur durci. Eingliederung der Handarbeiterschaft 
in Staat und Reich war die soziale Frage zu lösen. 
Ein konservativer, sehr begabter Schriftsteller, späterer Sozialdemokrat, 
Dr. Mehring, schrieb das wahre Wort: 
„Der innerste Kern der Sozialdemokratie ist Haß gegen das 
Vaterland.“ 
Einen, vielleicht den entscheidenden, Faktor haben wir noch nicht be- 
rücksichtigt. Man hat, besonders oft im vergangenen Jahrhundert, vom 
deutschen Gemüt gesprochen, und es ist wohl richtig, daß dieses eine ver- 
gleichsweise größere Rolle beim Deutschen spielte als bei manchen anderen 
Völkern, z. B. bei den Engländern. Das Gemüt, gerade des deutschen Arbei- 
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