Full text: Von Potsdam nach Doorn.

zigen Falle, da der Kaiser während seiner Regierung eine richtige Politik 
trieb, zu einer tiefen Entfremdung zwischen ihm und dem deutschen Volk. 
Die alte deutsche Neigung, sich für eine fremde Sache zu begeistern, ohne 
die Belange Deutschlands realpolitisch als maßgebend in Betracht zuziehen, 
trug böse Früchte, einmal für die Beziehungen zwischen Deutschland und 
Großbritannien und dann, was an diesem Fall noch wichtiger war, für das 
Verhältnis zwischen Kaiser und Volk. Die grausame und brutale Vergewalti- 
gung des kleinen Burenvolks durch die Weltmacht Großbritannien, die Ur- 
sache dieses Krieges: die im Boden des burischen Gebietes liegenden Schätze 
an Gold und Diamanten, das ungleiche Kräfteverhältnis, die kühne Tapfer- 
keit und die Ausdauer der Buren in ihrem Existenzkriege, die Grausamkeit 
der englischen Kriegführung, die Mißhandlung von Frauen und Kindern in 
den englischen Konzentrationslagern, die ehrwürdige und volkstümliche Ge- 
stalt des alten Krüger — das alles erregte eine hohe und echte Empörung im 
deutschen Volk, die sich während der langen Dauer des Krieges um so mehr 
übersteigerte, als die deutsche Regierung streng die Linie der Nichteinmi- 
schung und einer sorgfältigen Zurückhaltung befolgte — ja sogar in der 
Krisis vor dem Kriege den Burenstaaten riet: den großbritannischen Forde- 
rungen nachzugeben. Als die alte Königin Victoria im Jahre 1901 starb, fuhr 
der Kaiser nach England und wurde dort wegen seiner Teilnahme sehr sym- 
pathisch begrüßt. Man kann auch heute nur sagen, daß dieser Akt, wie über- 
haupt das Verhalten des Kaisers während des Südafrikanischen Krieges, 
politisch ebenso richtig war, wie seine südafrikanische Politik bis zur eng- 
lischen Explosion über das Krüger-Telegramm unrichtig gewesen war. 
Während des Burenkrieges traten Paris und St. Petersburg an die deut- 
sche Regierung heran, mit der Anregung, gemeinsam alle drei gegen Groß- 
britannien bewaffnet zu intervenieren. Bülow, dem die Sache verdächtig 
vorkam, schlug vor, daß zunächst diese drei Festlandgroßmächte sich gegen- 
seitig ihr Staatsgebiet vertraglich garantierten, was für Frankreich eine frei- 
willige nochmalige Anerkennung eines deutschen Elsaß-Lothringen bedeutet 
haben würde. Der Kaiser schreibt in seinem ‚‚Ereignisse und Gestalten‘, er 
habe jenen russisch-französischen Vorschlag sofort als Finte durchschaut, 
als Intrige gegen Deutschland erkannt und der Königin von England mit- 
geteilt. Unmittelbar nachher, so habe ihm die Königin bei seinem Besuche 
dort mitgeteilt, hätten die französische und die russische Regierung in 
London angegeben, daß die deutsche Regierung ihnen einen Interventions- 
vertrag gegen England angeboten habe. 
Die beiden Besuche des Kaisers in England während des Südafrikanischen 
Krieges erregten in der deutschen Bevölkerung, soweit sie national dachte, 
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