96 Das Staatsbürgerrecht. (8. 54.)
Ausnahmen von der Kantonpflichtigkeit war für die Dauer des Krieges von 1813 bereits
durch Ubergangsbestimmungen! erfolgt. Die spätere organische Gesetzgebung über
die veränderte Einrichtung der Heeresverfassung, das Gesetz v. 3. Sept.
18142, hat alle bisherigen Gesetze über die Ergänzung der Armee gänz-
lich aufgehoben? und die allgemeine Wehrpflicht als Regel festgestellt.
Diesen Grundsatz hat demnächst die Verfassungsurkunde als einen staats-
grundgesetzlichen anerkannt, indem sie in Art. 34 ausspricht, „daß alle Preußen
wehrpflichtig sind“ und hinzufügt, „daß der Umfang und die Art dieser Pflicht durch
das Gesetz" bestimmt werden“. — Die gesetzlichen Vorschriften aber, auf welche der
Art. 34 verweist, waren in dem Gesetze v. 3. Sept. 1814, betreffend die allgemeine Ver-
pflichtung zum Kriegsdienste, und in den dasselbe ergänzenden und abändernden neueren
Gesetzen enthalten.
Durch die Allerh. Erlasse v. 13. Okt. 1866" und v. 12. Januar 18677 wurde die
allgemeine Wehrpflicht nach Maßgabe der für die übrigen Provinzen der Monarchie
gültigen Bestimmungen auch in den im Jahre 1866 dem Preußischen Staate einver-
leibten Landesteilen eingeführt.
II. Die Verfassung des Norddeutschen Bundes, und mit dieser übereinstimmend
die Verfassung des Deutschen Reiches, hat im Art. 57 den Grundsatz ausgesprochen,
„daß jeder Deutsche wehrpflichtig ist und sich in Ausübung dieser Pflicht
nicht vertreten lassen kann“, und hierdurch für das ganze Gebiet des Deutschen
nach dem Gesetze Pflichtigen und Fähigen auf
die eine oder andere Art Waffendienst tun (System
der allgemeinen Militärpflicht). Dies letztere
System ist in Preußen zur vollen Ausbildung
gelangt, wogegen jenes in den meisten übrigen
deutschen Bundesstaaten bestand; die Bestimmung
des Reichsgesetzes v. 27. Dez. 1848, Art. II, §. 7:
„Die Wehrpflicht ist für alle gleich; Stellver-
tretung bei derselben findet nicht statt“, wurde
meistens wieder beseitigt. Die d. Bundesakte
hatte zwar im Art. 18, Lit. b verheißen, „daß
bei der Bundesversammlung die Einführung mög-
lichst gleichssrmiger Grundsätze über die Militär-
pflichtigkeit in sämtlichen deutschen Bundesstaaten
in Beratung genommen werden solle“; allein
die Ausführung dieser Bestimmung ist nicht er-
folgt (vgl. Zachariä, D. St. u. B. R., 3. Aufl.,
Bd. 1., S. 478—479 u. Bd. II, S. 572 ff.;
Klüber, Off. R. des D. B., S. 819 ff.).
1 Verordn. v. 9. Febr. 1813 über die Aufhebung
der bisherigen Exemtion von der Kantonpflichtig-=
keit für die Dauer des Krieges (G. S. 1313,
S. 13). Zu den damaligen Zeitgesetzen Über
diesen Gegenstand gehören auch die Verordn. v. 22.
Febr. 1813, betr. das Ausweichen des Kriegs-
dienstes (G. S., S. 21) u. die Publ. v. 3. u.
19. Febr. 1813, betr. die Errichtung der ZJäger-
detachements aus Freiwilligen (G. S., S. 15
. 19).
* G. S. 1814, S. 79 ff.
3 Vgl. den Eingang des G. v. 3. Sept. 1814,
betr. die allgemeine Verpflichtung zum Kriege-
dienste ((G. S. 1814, S. 70).
4 Danach waren also seit der Verf. Urk. Ver-
ordnungen über „den Umfang und die Art der
Wehrpflicht“ ausgeschlossen, abgesehen von sog.
Notverordnungen nach Art. 63. Die Streufrage
des leuteren Punktes ist heute völlig gegenstands-
los, da die Reichoverfassung eine dem Art. 63
der pr. Verf. Urk. analoge Vorschrift nicht hat.
5 Der Entw. der Verf. Komm. der Nat. Vers.
hatte #im Art. 26, den Satz an die Spibe ge-
stellt: „Jeder Preuße ist nach vollendetem zwanzigsten
Jahre berechtigt, Waffen zu tragen: die Aus-
nahmefälle bestimmt das Gesetz“. Hieran schloß
sich dann als zweiter Abs. der Satz: „Jeder
waffenberechtigte Preuße ist dem Staate wehr-
pflichtig; Ausnahmen dürfen nur eintreten wegen
körperlicher Unfähigkeit oder aus Rücksichten des
Gemeinwohls nach Maßgabe des Gesetzes". Der
Art. 27 a. a. O. bestimmte ferner: „Besondere
Gesetze regeln die Art und Weise der Einstellung
und die Dienstzeit“". Die Motive bemerken da-
zu: „Das Recht, Waffen zu tragen, gehört zu
den Rechten eines freien Mannes; es können je-
doch Fälle eintreten, wo dasselbe beschränkt wer-
den muß. Diese werden gesetzlich festzustellen
sein. Exemtionen von der schon bestehenden all-
gemeinen Wehrpflicht waren auf die beiden Rück-
sichten der körperlichen Unfähigkeit und des Ge-
meinwohls zu beschränken. Zeitweise Befreiungen
von der Einstellung werden dadurch nicht be-
rührt, wie dies der Art. 27 hinlänglich aus-
spricht", vgl. Rauer, Prot. der Verf. Komm.
der Nat. Vers., S. 110, 105 u. 125. Die Verf.
Urk. v. 5. Dez. 1848 hat indes das Recht zum
Waffentragen gar nicht erwähnt, und in be-
treff der Wehrpflicht (Art. 32) diejenigen Be-
stimmungen aufgenommen, welche unverändert in
den Art. 34 der rev. Verf. Urk. übergegangen
sind. Ansserdem enthielt der Art. 33 der Verf.
Urk. v. 5. Dez. 1848 im Abs. 2 noch den Satz:
„Besondere Gesetze regeln die Art und Weise der
Einstellung und die Dienstzeit“. Dieser Satz
wurde bei der Revision gestrichen, weil die im
Art. 34 der rev. Verf. Urk. enthaltene Verweisung
auf das Gesetz auch die Regelung der Art und
Weise der Einstellung und der Dienstzeit durch
das Gesetz in sich begreife und es daher nicht er-
forderlich sei, nochmals darauf hinzuweisen, vgl.
den Ber. der Nev. Komm. der II. K. in den
Stenogr. Ber. 1819—.0, S. 633.
6 (F. S. 1866, 646.
* (G. S. 1867, 206.
—
—
—
S.