102 Das Staatsbürgerrecht. (S. 54.)
dienstunbrauchbar befunden werden 1, sind vom Militärdienste, und demzufolge auch von
jeder weiteren Gestellung vor den Ersatzbehörden befreit (Ausmusterung, Wehrordnung
§. 38; Reichsmilitärgesetz §. 15). Militärpflichtige, welche sich, um sich der Wehrpflicht
zu entziehen, vorsätzlich durch Selbstverstümmelung oder auf andere Weise dauernd dienst-
unbrauchbar gemacht haben, oder welche zu dem gleichen Zwecke durch Täuschung berechnete
Mittel anwenden, unterliegen der Strafbestimmung des §. 142, bezichungsweise des
§. 143 des Reichsstrafgesetzbuches. Dagegen sind solche Militärpflichtige, welche wegen
geringer körperlicher Fehler nur bedingt dienstbrauchbar befunden werden 5, der Ersatzreserve
zu Üüberweisen (§. 16 a. a. O.).4 Ebenso die Uberzähligen, die auch im dritten Militär-
pflichtjahr nicht eingestellt sind, sowie die in Berücksichtigung ihrer häuslichen Verhältnisse
nicht zur Einstellung gelangenden Personen (Ges. v. 11. Febr. 1888, Art. II, §. 9);
ferner kann eine Überweisung zur Ersatzreserve durch die dritte Ersatzinstanz bei Militär-
diensttauglichen ausnahmsweise aus besonderen im Gesetz nicht vorgesehenen Gründen er-
folgen (ebenda, s. S. 10).
Die in dieser Weise seit dem Gesetz v. 11. Febr. 1888 neugestaltete Ersatzreserve
soll mit sieben Jahresklassen den vollen Bedarf für Herstellung der Kriegsstärke des
Heeres decken; der Überschuß ist dem Landsturm zu überweisen (§. 9 des Ges.). Der
Marineersatzreserve sind diejenigen Personen der seemännischen und halbseemännischen
Bevölkerung zu überweisen, welche nicht zum aktiven Dienst ausgehoben werden, aber
diensttauglich sind.
Dem Landsturm ersten Aufgebotes sind ferner zu überweisen alle diejenigen Personen,
welche wegen körperlicher Gebrechen weder zum aktiven Dienst noch zur Ersatzreserve
tanglich, im Landsturm aber noch verwendbar sind; ferner diejenigen Personen, welche
auch im dritten Militärpflichtjahre noch nicht diensttanglich sind (Ges. v. 11. Febr. 1888,
Art. II, §. 19), ferner andere Personen in Berücksichtigung bürgerlicher Verhältnisse oder
bei dauernder Unabkömmlichkeit.
Militärpflichtige, welche noch zu schwach oder zu klein für den Militärdienst, oder
mit heilbaren Krankheiten von längerer Dauer behaftet sind, werden vorläufig zurück-
gestellt.“ Wenn dieselben jedoch vor Ablauf des dritten Dienstpflichtjahres nicht dienst-
fähig werden, so werden sie der Ersatzreserve überwiesen. Die für den Militärdienst
erforderliche Körpergröße wird durch kaiserliche Verordnung bestimmt (S. 17 a. a. O.),
sie beträgt 1 m 54 cm (Wehrordnung S. 31, Ziffer 2).
Auf solche Militärpflichtige, welche zum Dienste ohne Waffe (Krankenpfleger, Oko-
nomiehandwerker) im Frieden verwendbar sind, findet die Bestimmung des §. 16 des
Reichsmilitärgesetzes keine Anwendung, sondern es können solche Wehrpflichtige, welche
zwar nicht zum Waffendienste, wohl aber zu sonstigen militärischen Dienstleistungen, welche
ihrem bürgerlichen Berufe entsprechen, fähig sind, zu solchen Dienstleistungen heran-
gezogen werden. (§. 1, Abs. 2 des Ges. v. 9. Nov. 1867.)7
1 Die Bestimmungen darüber, welche Gebrechen
dauernd dienstunbrauchbar machen, sind in der
Heerordnung enthalten.
* Laband, BPBd. IV, S. 134.
Darunter sind solche Militärpflichtige zu ver-
stehen, welche an Fehlern (z. B. Kurzsichtigkeit,
Schwerhörigkeit, verstümmelten Fingern, ver-
wachsenen Zehen usw.) leiden, die zwar ihre Ver-
wendbarkeit im Notfalle nicht unbedingt aus-
schließen, aber doch ihre gründliche militärische
Ausbildung erheblich beeinträchtigen würden Mo-
tive zu den §§. 13—22 des Entw. des Reichs-
militärgesetzes, Stenogr. Ber. des Reichstages
1874, Bd. III, Aktenst. Nr. 9, S. 52). Welche
Gebrechen bedingte Dienstunbrauchbarkeit begrün-
den, ist in der Heerordnung bestimmt.
4 Uber das Verfahren der Ersatzbehörden bei
Feststellung der bedingten Dienstunbrauchbarteit
ogl. Wehrordnung, 8§8§. 31, 33.
5 Die genauen Vorschriften hierüber Wehr-
ordnung, §. 40 (Ersatzreserve), §. 41 (Marine-
Ersatzreserve), §. 39 (Landsturm ersten Aufgebotes)
s. auch S. 132 ülber die Ersatzreserve, S. 133
über den Landsturm.
* Über die Fälle, in welchen die Zurückstellung
wegen zeitiger Unfähigkeit erfolgt, vgl. Wehrord-
nung, §. 30.
* Die Motive zum Entw. des Gesetzes be-
merken hierzu: „Daß diejenigen Wehrpflichtigen,
welche zwar nicht zum Waffendienste, jedoch zu
sonstigen militärischen Dienstleistungen (auf
Bureaus, in den Lazaretten, Handwerksstätten
usw.) verwendbar sind, nach Maßgabe des Be-
darfs zu solchen herangezogen werden können, er-
gibt sich von selbst aus dem der allgemeinen
MWehrpflicht zugrunde liegenden Gedanken, daß
der Staat in die Lage zu setzen ist, über die per-
sonlichen Kräfte seiner Angehörigen für den Zweck