Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Zweiter Band. (2)

2 Das Staatsbürgerrecht. (8. 50.) 
dem ewigen Landfrieden im Jahre 1495 die Staatsbildung des Mittelalters schließt und 
die Epoche der Umgestaltung der inneren Formen des Staatslebens ihren Anfang nimmt, 
wurde mehr und mehr die Idee des Staates erkannt. Von einer kraftvollen wirklichen 
Staatsgewalt, als dem Rechte durchgreifender Bestimmung zu den Zwecken des Staates, 
selbst von öffentlichen Rechten des Landesherrn, konnte in dem Zusammenhange des 
feudalen Staatenbaues nicht die Rede sein; vielmehr bestand die Herrschaft der Landes- 
herren 1 aus einem Aggregate verschiedenartiger Rechte 2, und erst nach und nach gelang 
es ihnen, diese hohen Rechte zu einer einheitlichen Macht, der Landeshoheit, zu ver- 
schmelzen, ein staatlicher Entwicklungsprozeß, der uns besonders deutlich in dem Preußen 
des Großen Kurfürsten und weiterhin Friedrich Wilhelms I. entgegentritt. Mit der Zer- 
setzung der feudalen Staatsformen verschwand nun allmählich die sinnliche Anschauung 
des Landes vor der geistigeren des Staates; der Begriff der Landeshoheit, als 
das geschichtlich entstandene Aggregat von Rechten an Land und Leuten, wurde verdrängt 
von demjenigen der Staatsgewalt, als des Inbegriffs der aus der Idee des Staates 
folgenden Befugnisse; aus den Formen der Patrimonialmonarchie traten diejenigen eines 
Systems öffentlicher Institutionen hervor, an die Stelle des Privateigentumes der Landes- 
herren an ihrem Land trat die Souveränität der Staatsgewalt, deren Träger tatsächlich 
der Landesherr war, wenn auch in der Theorie die Souveränität des Reiches anerkannt 
war. Damit mußten auch die Stände in jenem Sinne des Feudalstaates mehr und 
mehr ihren Charakter und ihre politische Bedeutung verlieren. Mit Ausbildung des 
modernen Staates und der Entwicklung der Staatsgewalt war der Übergang von dem 
Landsassentume zu dem des Staatebürgertumes unzertrennlich verbunden und je mehr 
in neuerer Zeit eine staatsbürgerliche Gleichheit vor dem Gesetze zur Geltung gelangte, 
desto mehr gingen die Stände auch ihrer politischen Bedeutung verlustig und flossen im 
wesentlichen ineinander über. 
Schon das Allgem. Landrecht hatte im §. 22 der Einleitung den Satz ausgesprochen, 
„daß die Gesetze des Staates alle Mitglieder desselben ohne Unterschied des Standes, 
Ranges und Geschlechtes verbinden“; allein obgleich jenes hiernach von der Idee der 
staatsbürgerlichen Gleichheit ausgeht, so enthielten dennoch die Gesetze, auf welche der 
§. 22 Bezug nimmt, groste Verschiedenheiten in den Rechten der einzelnen Standes- 
klassen, sowohl in bürgerlicher, als staatsbürgerlicher (politischer) Beziehung. Das Allgem. 
Landrecht selbst unterscheidet nämlich Stände und handelt in Tl. II, Tit. 7, 8 u. 9 von 
den verschiedenen Rechten des Bauern-, des Bürger= und des Adelsstandes, da zur 
Zeit seiner Abfassung diese Stände in Beziehung auf die Art der Beschäftigung und 
Bestimmung kastenartig getrennt waren, so daß niemand nach seinem Belieben in 
einen anderen Stand übertreten konnte. Als indes die Ereignisse des Jahres 1806 
mit Notwendigkeit dahin drängten, die gesamten Kräfte der Nation einer neuen Entwick- 
lung zuzuführen, da wurde es von der großartigen Gesetzgebung jener Zeitepoche er- 
kannt, daß hierzu vor allem die Befreiung dieser Kräfte von allen bisherigen Fesseln 
unerläßlich sei. Das Edikt v. 9. Okt. 1807 beseitigte die Grenzlinien, welche die 
Stände voneinander trennten, indem es einerseits jedem Adligen gestattete, ohne Nach- 
teil bezüglich seines Standes ein sogenanntes bürgerliches Gewerbe zu treiben und bürger- 
liche Grundstücke zu bewirtschaften, andererseits jeden Bürger oder Bauer berechtigte, aus 
dem einen dieser Stände in den anderen überzutreten und Grundstücke jeder Art, auch 
die sogenannten adligen, zu erwerben.? Mit dem Hinwegräumen dieser Schranken war 
die eigentliche Bedeutung des bisherigen Ständewesens gefallen; denn Stände im Sinne 
des feudalen Staates und im Sinne politischer Bedeutung können nur da in Wahrheit 
bestehen, wo die einzelnen zu einem derselben gehören müssen, wo die Gesamtheit der 
Untertanen nur in jener rechtlichen Gliederung erscheint. Wo aber der Einzelne beliebig 
einen anderen Stand wählen, aus einer Kaste in die andere übergehen kann, da sind 
  
  
1 Die „hohe oder oberste Herrschaft und Rechte genannt. S. für die preußische Entwicklung 
Vogtei“. 6 de. l S. 16 n 
* Im Gegensatze zu den niederen Rechten Bd. 1, S. 25. 
der Grundherren und Gemeinden die hohen
	        
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