Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Zweiter Band. (2)

Gleichheit der Staatsbürger vor dem Gesetze. (8. 50.) 3 
die Stände eben nicht mehr in sich abgeschlossen, sondern nehmen die Natur bloßer Be- 
rufsklassen an, die gleichartige Geschäfte treiben, und deren Individuen in dem allgemeinen 
Staatsbürgertume aufgehen. Das ist aber tatsächlich der Fall, seitdem ein großer Teil 
des früheren sogenannten adligen Grundbesitzes an ehemalige Bürger oder Bauern ge- 
langt ist, und seitdem andererseits auch Adlige sich den Geschäften des Handels und der 
Industrie widmen. Was insbesondere den Adelsstand betrifft, so behandelt zwar das 
Allgem. Landrecht (Tl. II, Tit. 9) denselben noch als einen rechtlich abgesonderten Stand; 
allein diese Bedeutung ist ihm schon dadurch entzogen worden, daß die Vorschrift des 
§. 40 a. a. O., wonach nur der Adel zum Besitze adliger Güter berechtigt war, wie 
bereits erwähnt, durch das Edikt v. 9. Okt. 1807 aufgehoben wurde, und daß die spätere 
provinzialständische Verfassung das nach den §§. 46—50 a. a. O. in der Regel nur dem 
Adel zustehende Recht der Standschaft auf alle Rittergutsbesitzer übertrug. Insbesondere 
wurde auch durch die Kab. O. v. 6. Aug. 1808 das ausschließliche Recht des Adels auf 
die Offiziersstellen im Heere grundsätzlich aufgehoben. 
II. Die Verfassungsurkunde stellt, diese ganze rechtshistorische Entwicklung ab- 
schließend, im Art. 4 die beiden Grundsätze auf: a) Alle Preußen sind vor dem 
Gesetze gleich, und b) Standesvorrechte finden nicht statt. Beide Sätze stehen 
miteinander in der Verbindung, daß der zweite eine Konsequenz des ersten ist. Ihr 
Sinn kann mißverstanden werden und ist mißdeutet worden; für diejenigen indes, welche 
ihn nicht mißverstehen wollen, ist derselbe vollkommen klar; es bedarf dazu keiner künst- 
lichen Interpretation. Diese Sätze bedeuten nichts anderes, als daß es der erste und 
unerschütterliche Grundsatz des Staatslebens sein soll, daß die Gesetze 
ohne Ansehen der Person gegen jeden, er sei arm oder reich, vornehm oder 
gering, im vollen Umfange angewendet werden sollen, und daß kein Gesetz 
hiervon irgend eine Ausnahme zugunsten eines Standes machen darf , sondern daß 
  
1 S. hierüber Bd. I. S. 21, 28 und A. L. stehenden Verhältnisse mit jenen allgemeinen Prin- 
R. II, 9, §. 35, ferner S. 71, Note 2. zipien in Einklang zu bringen.“ Zugleich be- 
* In dem Regier. Entw. v. 20. Mai 1848 merken die Motive: „Das Mißverständnis, als 
(§. 4) hieß es nur: „Alle Staatsbürger sind vor ob auch alle im Leben faktisch bestehenden und aus 
dem Gesetze gleich.“ Dies hielt die Verf. Komm. der Mannigfaltigkeit der Bildung, des Berufs 
der Nat. Vers. nicht für ausreichend, sondern und der Beschäftigung sich ergebenden Verschieden- 
stellte den Satz voran: „Es gibt im Staate heiten der bürgerlichen Gesellschaft aufgehoben 
weder Standesunterschiede, noch Standesvorrechte“, seien, könne nicht Platz greifen, weil man dieser 
wozu die Motive bemerken, „daß der Satz der Bestimmung nicht den unmöglichen Sinn un- 
Gleichheit der Staatsbürger vor dem Gesetze erst terlegen werde, als ob damit alle Lebensver- 
durch die Aussprechung der Aufhebung der schiedenheiten ausgetilgt sein sollten; außerdem 
Standesunterschiede und Standesvorrechte seine aber deute der Zusatz: bim Staates auch aus- 
Bedeutung erhalte, wodurch namentlich auch jedes drücklich darauf hin, daß eben nur in staatlicher 
bürgerliche und politische Vorrecht des Adels hin= Beziehung ein Unterschied der Stände nicht mehr 
wegfalle“ (s. Rauer, Prot, der Verf. Komm. der anerkannt werden solle. Es werde dadurch aus- 
Nat. Vers., S. 108, 121). Der Zentralausschuß gesprochen, daß das preuß. Volk fortan ein einiges 
der Nat. Vers. stellte (im Art. 4 seines Entw.) BVolk Gleichberechtigter sei und nicht ein Konglo- 
die beiden Sätze um und beantragte folgende merat verschiedener Stände.“ (Stenogr. Ber. der 
Fassung: „Alle Preußen sind vor dem Gesetze Nat. Vers., Bd. III, S. 1817—18.) 
gleich. Es gibt im Staate weder Standesunter- 3 Die rechtliche Ungleichheit der Einwohner 
schiede, noch Standesvorrechte, noch einen be= im Staate ist mit den Grundsätzen mancher 
sonderen Adelsstand.“ Diese Fassung nahm die Staatsgattungen (z. B. des Patrimonialstaats) 
Nat. Vers. mit der Abänderung an, daß gesagt nicht allein vereinbar, sondern ihrem Wesen ent- 
wurde: „Der Adel ist abgeschafft.“ Die Motive sprechend; sie widerspricht aber dem Wesen des 
der Umstellung der beiden Sätze waren: „Zwar Rechtsstaates, in welchem alle Bürger gleiches 
sei richtig, daß die bisher bestandenen Standes-- Recht gegen gleiche Verbindlichkeit haben (vgl. v. 
unterschiede und Standesvorrechte erst beseitigt Mohl, Württemb. St. R., Bd. I. S. 335). Das 
werden müßten, ehe die Gleichheit vor dem Ge--= Mißverstehen der beiden ersten Sätze des Art. 4 
setze zur Geltung kommen könne; allein dieser hat vorzüglich seinen Grund in der Auffassung 
historische Gesichtspunkt könne nicht maßgebend des Begriffes „Stand“. Die politischen Kämpfe 
sein, sondern für die Sprache der Verf. Urk. sei der neueren Zeit sind zum großen Teile um die Ent- 
es würdiger, die großen Grundsätze an die Spitze scheidung der Frage geführt, ob den ständischen 
zu stellen, und daraus dann die Folgerungen zu Einrichtungen des Mittelalters in dem modernen 
ziehen, welche notwendig erscheinen, um die be= Staate noch eine Stelle gebühre, und dies hat 
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