Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Zweiter Band. (2)

150 Das Staatsbürgerrecht. (8. 56.) 
sicher gestellt hat; diese Reichsgesetze und deren Ausführung stehen wie die übrigen auch 
unter dem Schutze und der Aufsicht des Reiches, dessen Recht dem Landesrecht vorgeht 
und durch Landesrecht nicht abgeändert werden darf. 
Die durch die Verfassungsurkunde gewährleisteten, beziehungsweise durch die Reichs- 
gesetzgebung übernommenen Rechte dieser Art betreffen teils die Freiheit und Sicher- 
heit der Person, teils die freie Wahl von Beruf und Gewerbe, teils die Freiheit und 
Sicherheit des Eigentums, teils die Freiheit der geistigen Tätigkeit. 
Die ganze Lehre von den „Grundrechten“, die einen eisernen Bestandteil der älteren, 
stark von politischen Gesichtspunkten beeinträchtigten staatsrechtlichen Theorie bildete, ist 
in neuerer Zeit hart angefochten worden, zuerst von Gerber, dann besonders von 
Laband, weiterhin am schärfsten von Seydel. 1 Die Einwendungen dieser Schrift- 
steller gegen die „Grundrechte“ sind begründet. Entkleidet man die sog. Grund- 
rechte der politischen und historischen Momente, so bleibt juristisch nichts 
besonderes mehr von ihnen übrig, denn das „Recht“, „an den Wohltaten des 
staatlichen Gemeinwesens teilzunehmen“ (Laband), ist kein besonderes „Recht“, sondern 
die eine Seite der Staatsangehörigkeit selbst. Die prinzipielle große Streitfrage der 
„subjektiven öffentlichen Rechte" muß hier unerörtert bleiben; aber auch angenommen, 
jener Begriff lasse sich juristisch konstruieren, so muß doch gegen die sog. „Grundrechte“ 
der Einwand geltend gemacht werden, daß sie sich in nichts von anderen subjektiven 
öffentlichen Rechten unterscheiden; daß ihre Aufnahme in die Verfassung lediglich aus 
politischen Gründen erfolgte, ihre Durchführung im einzelnen aber nur durch die Spezial- 
gesetzgebung geschehen konnte, wie dies bereits Waldeck im konstituierenden Norddeutschen 
Reichstag hervorgehoben hatte; diese Spezialgesetzgebung ist übrigens jetzt zum größten 
Teile Reichssache, somit grundsätzlich dem preußischen Staatsrecht entzogen. 
Die Gründe, aus denen gleichwohl in dieser Materie an der frülheren v. Rönneschen 
Darstellung möglichst wenig geändert wurde, s. S. 79 ff. 
So unabgeklärt aber auch die ganze Lehre vom „Inhalt“ der Staatsangehörigkeit 
in der neueren Literatur des Staatsrechtes ist, so muß doch jedenfalls als Kernpunkt 
mit Laband festgehalten werden: daß es sich um Rechtsverhältnisse der Staats- 
angehörigen, also um den Unterschied und Gegensatz zu Staatsfremden 
handelt. Vollkommen abwegig sind demgemäß die Ausführungen von Bornhak. Schon 
die Erklärung der sog. Menschenrechte war ausdrücklich eine Erklärung der Rechte „de 
Uhomme et du citoyen“, allerdings getragen von der Uberzeungung, daß das, was 
hier als das Recht des französischen Bürgers erklärt war, das Naturrecht des Menschen 
sei, zu dessen Anerkennung alle Staaten, wenn nötig mit Waffengewalt, gezwungen 
werden müßten. Dieser nationale Gesichtspunkt beherrscht dann die ganze weitere Ent- 
wicklung: die Verfassung Ludwigs XVIII. nimmt den Gedanken auf unter dem Titel: 
„droit public des Françcais“, die belgische Verfassung unter dem Titel: „des 
Belges et de leurs droits“, die preußische: „von den Rechten der Preußen“. Es 
handelt sich also überall um die verfassungsmäßige Abgrenzung des Staats- 
volkes, um den Ausdruck von Gedanken des nationalen Stolzes und der nationalen 
Ehre: diese Rechte verbürgt der Staat seinem Volk. Dieser große Gedanke 
aber ist die Gegenseite des anderen großen Gedankens: der Staatsangehörige schuldet 
seinem Staat nicht nur den Gehorsam wie der Fremde, sondern die Treue 
auf Leben und Tod. Und wenn trotz der formaljuristischen Bedenken, der phrasen- 
haften Verzerrung und des politischen Mißbrauchs der „Grundrechte“ manche neuere 
Schriftsteller sich doch nicht entschließen konnten, mit Seydel die ganze Kategorie der 
„Grundrechte“ über Bord zu werfen, oder sie mit Laband auf das „beneficium flabile“ 
des sog. „Wohnrechtes“ einzuschränken, so lag dem die liberzeugung zugrunde, daß zwischen 
  
1 Gerber, Grundz., S. 17, 33; Laband, Urk., S. 50 ff.; Arndt, Verf. Urk., 2. Aufl., 
Bd. I, S. 127 ff., 138; Seydel, Bayr. St. R., S. 47 ff. 
Bd. I, S. 300; Bornhak, Pr. St. N., Bd. 1, Eine sehr anregende, aber die Streitfrage 
S. 268 ff.; auf der anderen Seite G. Meyer= keineswegs abschließende Untersuchung hierüber 
Anschütz, St. R., S. 799, bes. die Nz. 1 an= von Jellinek: Snstem der subijektiven öffent- 
gegebene Literatur; vgl. auch Schwartz, Verf.lichen Rechte; über die Grundrechte S. 90 ff.
	        
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