Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Zweiter Band. (2)

156 Das Staatsbürgerrecht. 
(8. 57.) 
durch die den Gegenstand für das ganze Deutsche Reich einheitlich regelnden Bestim- 
mungen der Reichsstrafprozeßordnung v. 1. Febr. 1877.1 4 
„Der Abschnitt IX der Reichsstrafprozeßordnung handelt (unter der Uberschrift: u Ver- 
haftung und vorläufige Festnahme) von der gegen einen Beschuldigten zu verhängenden 
Freiheitsentziehung, und diese wird, je nachdem sie auf Grund einer richterlichen Anord- 
nung oder ohne eine solche eintritt, als # Verhaftung? oder als avorläufige Festnahmen 
bezeichnet." Der Abschnitt IX beginnt mit den Voraussetzungen der Untersuchungshaft 
(§§. 112, 1130.3 Hieran schließen sich die Vorschriften über den Inhalt und die Be- 
kanntmachung des Haftbefehls (8. 114),, über die Vernehmung des Verhafteten (§. 115) 
und über die Beschaffenheit der Untersuchungshaft (§. 116). Es folgen alsdann die 
Vorschriften über die Abwendung der Untersuchungshaft durch Sicherheitsleistung (8§. 117 
—122 und die Bestimmungen über die Aufhebung der Untersuchungshaft (§. 123). 
Hiernächst wird die Zuständigkeit für die Erlassung der auf die Untersuchungshaft be- 
züglichen Entscheidungen bestimmt (§. 124). Sodann folgen die Vorschriften über die 
vor Erhebung der öffentlichen Klage eintretende Verhaftung (8§. 125, 126) und über 
die vorläufige Festnahme (§§. 127—129), alsdann eine die Antragsdelikte betreffende 
besondere Bestimmung (§F. 130) und eine Vorschrift über die Erlassung von Steckbriefen 
(§. 131). Am Schluß wird dassjenige Verfahren behandelt, welches eintritt, wenn ein 
Ergriffener nicht sofort vor den zuständigen Richter gestellt werden kann (§. 132)“ 
(s. Löwe, S. 387 f.). 
3. Was die Untersuchungshaft betrifft", so darf dieselbe nach Erhebung der öffent- 
lichen Klage nur auf Grund eines schriftlichen Haftbefehls des Richters erfolgen, in welchem 
der Angeschuldigte genau zu bezeichnen 5 und die ihm zur Last gelegte strafbare Hand- 
lung, sowie der Grund der Verhaftung genau anzugeben ist, und zwar darf der An- 
geschuldigte nur dann in Untersuchungshaft genommen werden, wenn dringende Ver- 
dachtsgründe' gegen ihn vorhanden sind und er entweder der Flucht verdächtig ist 3, 
oder Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, daß er Spuren der Tat vernichten 
oder daß er Zeugen oder Mitschuldige zu einer falschen Aussage, oder Zeugen dazu ver- 
leiten werde, sich der Zeugnispflicht zu entziehen?; dem Angeschuldigten aber ist der 
Haftbefehl bei der Verhaftung und, wenn dies nicht tunlich ist, spätestens am Tage nach 
seiner Einlieferung in das Gefängnis bekannt zu machen 10 und ihm zu eröffnen, daß 
ihm das Rechtsmittel der Beschwerde zustehe, auch muß er spätestens am Tage nach 
seiner Einlieferung in das Gefängnis durch einen Richter über den Gegenstand der Be- 
schuldigung „gehört“ werden (§§. 112—115 a. a. O.). Eine Pflicht der Verhaf- 
tung für den Richter kennt die deutsche Straprozeßordnung nicht; zugelassen 
  
1 R. G. Bl. 1877, S. 253 ff. 5 Dies bestimmt auch das G. v. 12. Febr. 
2 „Der Entwurf der Reichsstrafprozeßordnung 
verstand unter der Verhaftung nur diejenige 
richterlich angeordnete Inhaftnahme, welche nach 
Erhebung der öffentlichen Klage, also in der 
Untersuchung, verhängt wird, und bezeichnete die 
im Vorbereitungsverfahren eintretende Verhaf- 
tung mit dem Ausdrucke: (Verwahrung",. Die 
Reichstagskommission hielt jedoch eine derartige 
Unterscheidung nicht für sachgemäß und beseitigte 
den letzteren Ausdruck.“ (Vgl. Prot. der Reichs- 
tagskomm., S. 167 ff., 173 und zum Folgenden 
Löwe, St. P. O. (11. Aufl. von Hellweg), 
S. 387 ff., dem Rönne folgte meist wörtlich der 
3. Aufl., S. 329 ff.) 
Uber die Unzulässigkeit der Verhaftung deutscher 
Landesherren, der Mitglieder der landesherrlichen 
Familien, der Reichs= u. Landtagsabgeordneten, 
der exterritorialen Personen, ist in anderen Zu- 
sammenhängen zu handeln: vgl. auch die Ubersicht 
hierüber bei H. Seuffert, S. 680: Vöowe, S.330. 
* Uber die besondere Art der Vollstreckung der 
Untersuchungshaft, §. 116, dazu Löwe, S. 395f. 
  
1850 im §F. 1, Abs. 1. 
* Wer eine solche nicht begehen kann (Geistes- 
kranke, Kinder), kann auf Grund der St. P. 
O. nicht verhaftet werden, wohl aber polizeilich; 
s. H. Seuffert, a. a. O., S. 678, zur Kritik 
von Entsch. des Reichsgerichts i. Straff., Bd. 
XVII, Nr. 14. 
*7 H. Seuffert, a. a. O., S. 678; Löwe, 
S. 3839, 393. 
8 Die Fälle, in denen ohne weiteres Flucht- 
verdacht angenommen werden darf, s. St. P. 
O., §. 112, im übrigen vgl. H. Seuffert, a. 
a. O., S. 679. Uber Freilassung gegen Sicher- 
heitsleitung, St. P. O., 8§8. 117—122, dazu 
Löwe, S. 396—403 ff. 
°" Ist die Tat nur mit Haft oder Geldstrafe 
bedroht, so sind die Voraussetzungen der Ver- 
haftung noch enger: §. 113, vgl. Löwe, S. 
:301. 
1° Vgl. die gleiche Bestimmung im F§. 1, Abf. 
2 des G. v. 12. Febr. 1850; vgl. zu §. 114 
im übrigen Löwe, S. 392 f.
	        
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