Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Zweiter Band. (2)

Freiheit und Sicherheit der Person. (8. ö7.) 157 
ist sie grundsätzlich unter den oben bezeichneten Voraussetzungen, ausgenommen die 
leichtesten Straffälle und die Privatklagesachen.à Der Haftbefehl ist aufzuheben, wenn 
der in demselben angegebene Grund der Verhaftung weggefallen ist, oder wenn der An- 
geschuldigte freigesprochen oder außer Verfolgung gesetzt wird; durch Einlegung eines 
Rechtsmittels darf die Freilassung des Angeschuldigten nicht verzögert werden (§. 123 
a. a. O.). Anderweitige Vorschriften über die Dauer der Untersuchungshaft enthält das 
Gesetz nicht. Die Untersuchungshaft kann in jedem Stadium des Verfahrens verhängt 
werden, ja selbst noch nach gefälltem Urteil (§§. 481, 482). Aber auch vor Erhebung 
der öffentlichen Klage kann, wenn ein zur Erlassung eines Haftbefehls berechtigender 
Grund vorhanden ist, vom Amtsrichter auf Antrag der Staatsanwaltschaft, oder bei Gefahr 
im Verzuge von Amts wegen, ein provisorischer Haftbefehl erlassen werden (§F. 125 
a. a. O.), welcher indes wieder aufzuheben ist, wenn die Staatsanwaltschaft es beantragt, 
oder wenn nicht binnen einer Woche nach Vollstreckung des Haftbefehles die öffentliche 
Klage erhoben und die Fortdauer der Haft von dem zuständigen Richter angeordnet, auch 
diese Anordnung zur Kenntnis des Amtsrichters gelangt ist (§. 126, Abs. 1 a. a. O.). 
Wenn zur Vorbereitung und Erhebung der öffentlichen Klage die Frist von einer Woche 
nicht genügt, so kann dieselbe auf Antrag der Staatsanwaltschaft vom Amtsrichter um 
eine Woche, und wenn es sich um ein Verbrechen oder Vergehen handelt, auf erneuten 
Antrag der Staatsanwaltschaft um fernere zwei Wochen verlängert werden (§. 126, 
Abs. 2 a. a. O.).: Der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Verhaftung ist für den 
Richter nicht bindend; dieser entscheidet nach seiner völlig freien Uberzeugung. 
4. Zu einer ohne richterlichen Befehl erfolgenden Freiheitsentziehung, „vorläufigen 
Festnahme“, sind im allgemeinen nur die Staatsanwaltschaft und die Polizei= und Sicher- 
heitsbeamten befugt.. Zulässig ist die Festnahme, wenn die Erlassung eines Haftbefehls 
gerechtfertigt sein würde, die Ergreifung des Verdächtigen aber so dringlich ist, daß sie 
  
1 Vgl. H. Seuffert, a. a. O., S. 678, 
680; Löwe, S. 389. 
* Vgl. zu dieser Materie Löwe, S. 409 ff.: 
H. Seuffert, a. a. O., S. 686 f.; Kronecker 
in Goltdammers Archiv XXIX, S. 358 ff. 
* Das G. v. 12. Febr. 1850 bestimmt im 
§. 3, daß zur vorläufigen Ergreifung und Festnahme 
die Polizeibehörden und andere Beamte, welchen 
nach den bestehenden Gesetzen die Pflicht obliegt, 
Verbrechen und Vergehen nachzuforschen, sowie die 
Wachtmannschaften berechtigt sind, letztere jedoch 
nur, wenn die Person bei Ausführung einer straf- 
baren Handlung oder gleich nach derselben be- 
trofsen und verfolgt wird. Es gehören also zu 
den hier, wie im §. 127, Abs. 2 der R. St. P. O., 
gedachten Polizei= und Sicherheitsbeamten die 
exekutiven Polizeibeamten (Polizeisergeanten, Schutz- 
männer, Polizeidiener, Grenzaussichtsbeamten). 
Vgl. hierüber die Erklärung des Justmin. in den 
Stenogr. Ber. der II. K. 1849—50, S. 2417, 
desgl. die Motive zum §. 3 des Entw. des G. 
vom 12. Febr. 1850, in den Stenogr. Ber. der 
I. K. 1840—50, S. 1237 und die Stenogr. 
Ber. der II. K. 1849—50, S. 1649. AUber den 
Gemeinde= bezw. Gutovorsteher als „Organ des 
Amtsvorstehers für die Polizeiverwaltung“" und 
das ihm demgemäß zustehende Recht der vorläufigen. 
Festnahme u. Verwahrung aus §. 127 St. P. 
O. u. §. 6 des G. v. 12. Febr. 1850, s. L. G. 
O. v. 3. Juli 1891, §§. 90, 91, Ziff. 1, 123 
(an Stelle von §. 30 d. Kr. O. v. 13. Dez. 
1872); die Vorschrift gilt analog auch für die 
übrigen Provinzen der Monarchie. Aus der 
Rechtsprechung des Ob. Trib. sind folgende Ent- 
scheidungen hervorzuheben: a) Auch bei JFeld- 
  
polizeiübertretungen findet der §. 2 des G. v. 
12. Febr. 1850 Anwendung (Erk. v. 15. März 
1878, Oppenhoff, Rechtspr., Bd. XIX, S. 143). 
b) Auch Forstbeamte sind befugt, die bei Verübung 
eines Holzdiebstahls auf frischer Tat Betroffenen 
festzunchmen (Erk. v. 27. Jan. 1874, Oppen- 
hoff, Rechtspr., Bd. IV, S. 321). c) Auch ein 
von dem Amtsvorstande angestellter vereideter 
Amtsdiener gehört zu den im §. 3 des G. vom 
12. Febr. 1850 gedachten Beamten (Erk. v. 21. 
Febr. 1879, Entsch., Bd. LXXXIII, S. 324; 
Oppenhoff, Rechtspr., Bd. XX, S. 98; Golt- 
dammer, Arch., Bd. XXVII, S. 108). Vgl. 
das Reskr. des M. d. Inn. v. 20. März 1874 
(M. Bl. d. i. Verw., S. 99). d) Ein Erxekutiv- 
polizeibeamter, insbes. auch ein Gendarm, darf 
— in Ermangelung eines höheren Auftrages — 
eine „Sistierung“ 7(Zwangeagestellung) nur dann 
vornehmen, wenn die Voraussetzungen des G. v. 
12. Febr. 1850 vorliegen „Erk. v. 4. Jan. 1872, 
J. M. Bl., S. 86; M. Bl. d. i. Verw., S. 101, 
Oppenhoff, Rechtspr., Bd. XIII, S. 4: Golt- 
dammer, Archiv, Bd. XX, S. 89). Uber die von 
Wachmannschaften vorzunehmenden Verhaftungen 
war die durch Kab. O. v. 3. Febr. 1842 genehmigte 
Instr. v. 24. Jan. 1844 (M. Bl. d. i. Verw., 
S. 180) ergangen, welche durch die mittelst der 
NRab. O. v. 8. Ang. 1850 genehmigte Instr. v. 
27. Juli 1850 (M. Bl. d. i. Verw., S. 313; 
J. M. Bl., S. 358) ersetzt worden ist. Auch 
letztere ist demnächst durch die Kab. O. v. 29. 
Jan. 1881 aufgehoben und an deren Stelle die 
durch leutgedachte Kab. O. genehmigte Instr. für 
die Wachen, in Hinsicht der von ihnen vorzu- 
nehmenden Verhaftungen und vorläufigen Zest=
	        
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