Freiheit und Sicherheit der Person. (8. 57.) 161
Zwanges gegen die Person, insofern es sich um eine Zwangsgestellung handelt; dieses
unentbehrliche Recht der Polizei ist durch anderweite gesetzliche Vorschriften über Verhaf-
tung nicht berührt worden.1
11. Gegen Beamte, die eine Verhaftung unterlassen, um jemand der gesetzlichen
Strafe zu entziehen oder die einen Verhafteten vorsätzlich oder fahrlässig entweichen lassen,
enthalten die §§. 346, 347 schwere Strafandrohungen. Andererseits stehen die Beamten,
die Verhaftungen vorzunehmen haben, unter dem besonderen Schutze der §§. 113—119
des Strafgesetzbuches; der durch Widersetzlichkeit angerichtete Schaden muß in erster Linie
vom Verletzer, eventuell vom Staate dem Beamten ersetzt werden?; Gendarmen, Schutz-
leute, Nachtwächter sind, sei es unmittelbare, sei es mittelbare, Beamte.
12. Andererseits tragen die Beamten grundsätzlich die Verantwortlichkeit für un-
gerechtfertigte Verhaftungen. Diese kann sein a) eine strafrechtliche nach Strafgesetzbuch
88. 239 u. 341; Voraussetzung hierfür ist das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit, sie ist
somit ausgeschlossen bei Personenverwechslung, sowie bei Unkenntnis des Beamten über
seine Zuständigkeit"; b) eine disziplinarische nach Maßgabe der allgemeinen Disziplinar-
vorschriften ; c) eine zivilrechtliche, gleichfalls nach Maßgabe der allgemeinen Grund-
sätze.“ Über Ausschließung der straf= wie zivilrechtlichen Haftung durch Erhebung des
Konfliktes nach Maßgabe von Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz §. 11, be-
ziehungsweise Gesetz v. 13. Febr. 1854 (G. S., S. 86); s. Entscheidung des Ober-
verwaltungsgerichts XXIV, S. 418.7
13. Eine Entschädigungspflicht des Staates für ungerechtfertigte Verhaftung ist
grundsätzlich anerkannt durch das Reichsgesetz v. 20. Mai 1898 (R. G. B., S. 345) be-
züglich solcher Personen, welche im Wiederaufnahmeverfahren entweder freigesprochen,
oder in Anwendung eines milderen Strafgesetzes zu einer geringeren Strafe verurteilt
find, falls die durch das erste Urteil ausgesprochene Strafe ganz oder zum Teil bereits
vollstreckt ist (§. 1). Diese Entschädigungspflicht bezieht sich also ausschließlich auf die
Strafvollstreckungshaft; für die oben behandelten Arten der Haft enthielt das Reichsgesetz
keinerlei Vorschriften, es kamen für sie somit zunächst lediglich die allgemeinen — sehr un-
sicheren — Grundsütze über etwaige zivilrechtliche Haftung des schuldigen Beamten in Be-
tracht; die weitergehenden Anregungen des Reichstages fanden zunächst keine Verwirklichung.
Inzwischen ist durch Reichsgesetz v. 14. Juli 1904 (R. G. B., S. 321) das Prinzip
der Entschädigungspflicht des Staates auch auf unschuldig erlittene Untersuchungs-
haft" ausgedehnt worden für Personen, die im Strafverfahren freigesprochen oder durch
Gerichtsbeschluß außer Verfolgung gesetzt sind, wenn das Verfahren ihre Unschuld er-
geben oder wenigstens dargetan hat, daß gegen sie kein begründeter Verdacht vorliegt. 10
Der Entschädigungsanspruch steht zu demjenigen, der schuldlos die Haft erlitten
hat, sowie denjenigen Personen, denen gegenüber er kraft des Gesetzes unterhalts-
pflichtig ist; er umfaßt den dem Verhafteten durch die Verhaftung, beziehungsweise vor-
läufige Festnahme erwachsenen Schaden, bei dritten Personen den ihnen infolge der Ver-
1 R. G. Entsch. i. Strafs., Bd. I, S. 331,/ Urteil des O. V. G. v. 18. Okt. 1901, Entsch.,
Bd. II, S. 262, Bd. III, S. 185, Bd. XXI, Bd. 41, S. 447.
S. 10 u. a. m. A. A. H. Seuffert, a. a. O., s Vgl. Stenogr. Ber. des Reichstages 1898.
S. 675, f. N. * Stenogr. Ber. des Reichstages 1903 —4,
!* Ugl. dazu H. Seuffert, a. a. O., S. 692; S. 641 ff., 667 ff., 2661 ff., 2681 ff., 2888 ff.;
im übrigen die Hand= u. Lehrbücher des Strafe Romen, Entschädigung für unschuldig erlittene
rechts. Verhaftung und Bestrafung, 1904; Burlage,
2 S. Bd. I, S. 442 ff. Die Entschädigung der unschuldig Verhafteten
* H. Seuffert, a. a. O., S. 692. und der unschuldig Bestraften; Kommentar zu
* S. Bd. I, S. 579 ff. den Ges. v. 14. Juli 1904 u. 20. Mai 1898, Berlin
* S. Bd. I, S. 592 ff., dazun H. Seuffert, 1905. O. Kähler, Die Entschädigung für
a. a. O., S. 692 u. die dort zit. zivilistische Lit, Straf= und Untersuchungshaft, Halle 1904.
sowie oberstrichterliche Entsch., bes. R. G. i. Zivilfs. 10 Die Fälle, in denen trotzdem der Anspruch
B/D V. IV, Nr. 105, Bd. XI, Nr. 42. ausgeschlossen ist, s. §. 1, Abs. 3 d. G. v. 1898,
7 Vorsteher von Gesamtarmenverbänden sind §. 2 d. G. v. 1904; vgl. dazu auch §. 5 d.
mittelbare Staatsbeamte, es findet auf sie das letzteren Gesetzes über Wiederaufnahme des Ver-
Konfliktsgesetz v. 13. Februar 1854 Anwendung, fahrens zu ungunsten des Freigesprochenen.
v. Rönne-Zorn, Preuß. Staatsrecht, 5. Aufl. II. 11