Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Zweiter Band. (2)

Freiheit und Sicherheit der Person. (8. 57.) 163 
jedes Eindringen in die Wohnung, sowie jede Haussuchung und Beschlagnahme von 
Briefen und Papieren ohne gesetzliche Grundlage verfassungswidrig. Statthaft sind diese 
Maßregeln nur insoweit, als das Gesetz sie erlanbt, und nur unter Beobachtung der 
Formen des Gesetzes. 
Art. 39 der Verfassungsurkunde bestimmt indes in bezug auf die zum Heere ge- 
hörigen Personen eine Ausnahme von dem durch den Art. 6 gewährleisteten Schutz, in- 
dem jener Artikel vorschreibt, „daß auf die gedachten Personen die im Art. 6 enthaltenen 
Bestimmungen nur insoweit Anwendung finden sollen, als die militärischen Gesetze und 
Disziplinarvorschriften nicht entgegenstehen“. Auch Art. 6 kann im Falle der Verhängung 
des Belagerungszustandes außer Kraft gesetzt werden; Art. 111, Verf. Urk. 
1. Das Eindringen in eine Wohnung wider den Willen des Inhabers kann ge- 
schehen: a) zum Zwecke der Durchsuchung wegen einer begangenen Straftat, entweder 
um den Schuldigen zu ergreifen oder um Beweismittel aufzufinden; die gesetzliche Grund- 
lage geben hier lediglich die Vorschriften der Strafprozeßordnung (§§. 102—110); b) zur 
Vornahme anderweitiger amtlicher Funktionen der Behörden (z. B. Volkszählung, Steuer- 
erhebung, Exekution eines Zidvilurteils) oder wegen einer Gefahr für die Bewohner; in 
dieser Beziehung bleiben die Vorschriften des Gesetzes v. 12. Febr. 1850 zum Schutze 
der persönlichen Freiheit maßgebend. 
Die Bestimmungen des Gesetzes v. 12. Febr. 1850 über die strafprozessualische 
Durchsuchung sind, wie bemerkt, durch die Vorschriften der §§. 102—110 der Reichs- 
strafprozeßordnung ersetzt worden.? Nach letzteren kann bei demjenigen, welcher als 
Täter oder Teilnehmer einer strafbaren Handlung oder als Begünstiger oder Hehler ver- 
dächtig ist, eine Durchsuchung der Wohnung oder anderer Räumes, auch von Kirchen 
und Klöstern jeder Art, ferner von Dienstgebäuden, jedoch vorbehaltlich des §. 96 der 
Strafprozeßordnung, sowie seiner Person" und der ihm gehörigen Sachen, sowohl zum 
Zwecke seiner Ergreifung, als auch dann vorgenommen werden, wenn zu vermuten ist, 
daß die Durchsuchung zur Auffindung von Beweismitteln führen werde (§. 102). Bei 
anderen Personen sind Durchsuchungen nur behufs der Ergreifung des Beschuldigten, 
oder behufs der Verfolgung von Spuren einer strafbaren Handlung, oder behufs der Be- 
schlagnahme bestimmter Gegenstände und nur dann zulässig, wenn Tatsachen vorliegen, 
aus denen zu schließen ist, daß die gesuchte Person, Spur oder Sache sich in den zu 
durchsuchenden Räumen befinde (§. 103, Abs. 1). Diese Beschränkung findet jedoch keine 
Anwendung auf die Räume, in welchen der Beschuldigte ergriffen worden ist, oder welche 
er während der Verfolgung betreten hat, oder in welchen eine unter Polizeiaufsicht stehende 
Person wohnt oder sich aufhält (§. 103, Abs. 2). Die Wohnung, die Geschäftsräume 
und das befriedete Besitztum („Haussuchung“) dürfen zur Nachtzeit nur bei Verfolgung 
auf frischer Tat, oder bei Gefahr im Verzuge, oder dann durchsucht werden, wenn es 
sich um die Wiederergreifung eines entwichenen Gefangenen handelt (§. 104, Abs. 1). 
Diese Beschränkung findet jedoch keine Anwendung auf Wohnungen von Personen, welche 
mter Polizeiaufsicht stehen 5, sowie auf Räume, welche und so lange sie zur Nachtzeit 
jedermann zugänglich, oder welche der Polizei als Herbergen oder Versammlungsorte be- 
strafter Personen, als Niederlagen von Sachen, welche mittels strafbarer Handlungen er- 
langt sind, oder als Schlupfwinkel des Glücksspiels oder gewerbsmäßiger Unzucht be- 
  
worden“ (Stenogr. Ber. der II. K. 1849—50, 
Bd. I. S. 491, 493). Die II. K. ist indes ohne 
Diskussion der jetzigen Fassung beigetreten, welche 
die I. K. auf Vorschlag ihres Zentralausschusses 
angenommen hatte (a. a. O., S. 522). 
1 Vgll. H. Seuffert in Stengels Wörterb., 
Bd. 1, S. 290 ff. u. die dort angeg. Literatur. 
Vgl. zum folgenden Löwe, St. P. O., S. 376 f. 
2: „Als „Wohnung"“ des Verdächtigen ist 
jede von ihm tatsächlich bewohnte Räumlichkeit 
  
auch schließt das Vorhandensein von Mitbe- 
wohnern die Anwendbarkeit des §. 102 der 
Reichsstrafprozeßordnung nicht aus. Unter den 
„anderen Räumen“ sind solche Räume zu ver- 
stehen, welche, ohne Bestandteile der Wohnung 
zu sein, dem Verdächtigen zur Benutzung oder 
Mitbenutzung überlassen sind", vgl. Löwe, St. 
P. O., a. a. O. 
Vgl. dazu Entsch. des Reichsgerichts in Straf- 
sachen, Bd. XIV, S. 192, über Schonung des 
anzusehen, auch dann, wenn ein anderer rechtlich Schamgefühls bei Frauen. 
als Inhaber derselben zu erachten sein sollte; 
5 R. Str. G. B., §. 39, Nr. 3. 
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