Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Zweiter Band. (2)

Freiheit und Sicherheit der Person. (8. 57.) 169 
a) In Strafsachen ist die Beschlagnahme der an den Beschuldigten gerichteten 
Briefe und Sendungen auf der Post sowie der an ihn gerichteten Telegramme auf den 
Telegraphenanstalten zulässig; desgleichen ist zulässig an den bezeichneten Orten die Be— 
schlagnahme solcher Briefe, Sendungen und Telegramme, in betreff deren Tatsachen vor- 
liegen, aus welchen zu schließen ist, daß sie von dem Beschuldigten herrühren oder für 
ihn bestimmt sind, und daß ihr Inhalt für die Untersuchung Bedeutung! habe. (§. 99 
der Reichsstrafprozeßordnung). Zu der Beschlagnahme (§. 99) ist nur der Richter, bei 
Gefahr im Verzuge und, wenn die Untersuchung nicht bloß eine Übertretung betrifft, 
auch die Staatsanwaltschasft befugt. Die letztere muß jedoch den ihr ausgelieferten 
Gegenstand sofort, und zwar Briefe und andere Postsachen uneröffnet, dem Richter vor- 
legen. Die von der Staatsanwaltschaft verfügte Beschlagnahme tritt, auch wenn fie 
eine Auslieferung noch nicht zur Folge gehabt hat, außer Kraft, wenn sie nicht binnen 
drei Tagen von dem Richter bestätigt wird. Die Entscheidung über eine von der Staats- 
anwaltschaft verfügte Beschlagnahme sowie über die Eröffnung eines ausgelieferten Briefes 
oder einer anderen Postsendung erfolgt durch den zuständigen Richter (§. 100). Von 
den getroffenen Maßregeln (8§. 99, 100) sind die Beteiligten zu benachrichtigen, sobald 
dies ohne Gefährdung des Untersuchungszweckes geschehen kann. Sendungen, deren Er- 
öffnung nicht angeordnet worden, sind dem Beteiligten sofort auszuantworten. Dasselbe 
gilt, soweit nach der Eröffnung die Zurückbehaltung nicht erforderlich ist. Derjenige 
Teil eines zurückbehaltenen Briefes, dessen Vorenthaltung nicht durch die Rücksicht auf 
die Untersuchung geboten erscheint, ist dem Empfangsberechtigten abschriftlich mitzuteilen 
(§. 101 a. a. O.). Auskunfterteilung ist nur statthaft in dem Rahmen und unter den 
Voraussetzungen der Beschlagnahme; ebenso gerichtliche Zeugenvernehmung von Post- 
beamten. 
b) In betreff der Konkurssachen hat der §. 111, jetzt §. 121, der Konkursordnung 
vorgeschrieben, daß die Post= und Telegraphenanstalten verpflichtet sind, auf Anordnung 
des Konkursgerichts alle für den Gemeinschuldner eingehenden Sendungen, Briefe und 
Depeschen dem Konkursverwalter auszuhändigen, welcher zur Eröffnung derselben berechtigt 
ist, daß jedoch der Gemeinschuldner die Einsicht und, wenn ihr Inhalt die Masse nicht 
betrifft, die Herausgabe derselben verlangen kann; desgleichen, daß das Gericht die An- 
ordnung auf Antrag des Gemeinschuldners nach Anhörung des Verwalters aufheben oder 
beschränken kann. 
c)Für Zivilsachen ist eine Durchbrechung des Brief= und Telegraphengeheim- 
nisses nicht vorgesehen. Über Pfändung von Postsendungen gelten die allgemeinen Vor- 
schriften.“ 
d) Nach Verhängung des Belagerungszustandes haben die Post= und Telegraphen= 
behörden den Requisitionen der Militärbefehlshaber Folge zu leisten.“ 
  
1 Aus dieser Fassung des §. 99 ist nicht zu 
folgern, daß es bezüglich der an den Beschuldigten 
adressierten Sendungen kein Erfordernis der Be- 
schlagnahme sei, daß der Inhalt der Sendung 
mutmaßlich für die Untersuchung von Bedeu- 
tung sei. Die Tatsache, daß jemand sich in 
Untersuchung befindet, kann für sich allein kein 
Grund sein, die Korrespondenz desselben in Be- 
schlag zu nehmen; vielmehr setzt auch die Be- 
schlagnahme der an den Beschuldigten adressierten 
Sendungen voraus, daß durch die Lage der Sache 
ein Anlaß zu dieser Maßregel gegeben ist. Vgl. 
Löwe, Strafprozeßordnung, S. 369 ff. 
* Die Befugnis zur Beschlagnahme von 
Briefen und anderen Postsendungen steht also 
hiernach nur dem Richter, ausnahmsweise auch 
der Staatsanwaltschaft zu; die Behörden und 
Beamten des Polizei= und Sicherheitsdienstes 
haben diese Befugnis nicht, auch diejenigen Be- 
amten nicht ausgenommen, welche Hilfsbeamte 
  
der Staatsanwaltschaft (vgl. Ger. Verf. G., . 153) 
sind. Auch bereits vor Erlaß der Reichsstraf- 
prozeßordnung hat übrigens die Staatsregierung 
angenommen, daß die polizeiliche Beschlagnahme 
versiegelter Briefe gesetzlich unstatthaft sei, und es 
haben die Postbehörden, unter Zustimmung der 
Min. für Handel und Gewerbe und der Justiz, 
die Requisitionen der Polizeibehörden auf Be- 
schlagnahme der Post anvertrauter Briefe ab- 
gelehnt und nur die Requisitionen der Gerichte 
bezw. der Staatsanwaltschaften berücksichtigt. Vgl. 
die Mitteilung hierüber in Goltdammers Arch., 
Bd. III, S. 86 ff. 
* Sydow, a. a. O. 
v. Grimm, a. a. O., 
»S. Sydow, a. S. 
bach- v. Grimm, ga. a. O., S. 63. 
5 R. Verf., Art. 68 m. G. v. 4. Juni 851, 
8. 4, dazu Sydow, a. a. S. 246 f.; Dam- 
bach-v. Grimm, a. a. O. 67. 
. 346.; Dambach 
246; Dam-
	        
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