Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Zweiter Band. (2)

176 Das Staatsbürgerrecht. 
(§. 57.) 
der Erwerb von Grundeigentum verweigert werden (a. a. O., Abs. 3).1 Daraus folgt, 
daß von dem vorgängigen Erwerbe von Gemeindeangehörigkeit oder Blürgerrecht der 
Aufenthalt oder die Niederlassung nicht abhängig gemacht werden darf; wohl aber darf 
dieser Erwerb nach erfolgter Niederlassung gefordert werden.? Negativ ergibt sich ferner 
aus dem Grundsatz der Freizügigkeit die notwendige Folge, daß jedes deutsche Ge- 
richt befugt ist, in jedem anderen deutschen Gerichtsbezirk Verhaftungen 
vornehmen zu lassen. Dieser Rechtsgrundsatz war vorbereitet durch das Rechtshilfe- 
gesetz v. 21. Juni 1869, §. 23 und ist nunmehr durch das Gerichtsverfassungsgesetz 
§. 161 und die Strafprozeßordn. §§. 131, 132, 187 in vollem Umfange verwirklicht.? 
« Durch die Bestimmung des Abs. 3 des §. 1 des Gesetzes v. 1. Nov. 1867 sind 
innerhalb des ganzen Gebietes des Deutschen Reiches insbesondere auch diejenigen Vor- 
schriften der Landesgesetze beseitigt, welche den Juden Beschränkungen in bezug auf die 
freie Wahl des Aufenthalts und der Niederlassung auferlegten. 
Rechtshistorisch mag zu letzterem Punkte bemerkt werden: Was diejenigen Landesteile des 
Preußischen Staates betrifft, in welchen das (Heimats-) Gesetz v. 31. Dez. 1842 An- 
wendung findet", so hatte der §. 13 desselben bestimmt, daß durch dieses Gesetz in den 
Vorschriften über die Beschränkung der Juden in der Wahl ihres Aufenthaltes nichts 
geändert werde. Bereits das (für den ganzen damaligen Umfang der Monarchie er- 
gangene) Gesetz v. 23. Juli 1847 über die Verhältnisse der Juden hatte indes (§. 1) 
verordnet, daß den jüdischen Untertanen im ganzen Umfange der Monarchie gleiche bürger- 
liche Rechte mit den christlichen Untertanen zustehen sollten, soweit nicht das erwähnte 
Gesetz selbst ein anderes bestimmt, und der §. 72 desselben hatte alle von dessen Be- 
stimmungen abweichenden, allgemeinen und besonderen gesetzlichen Vorschriften für auf- 
  
  
1 Der Abs. 3 des §. 1, welcher in dem Entw. 
des Gesetzes nicht enthalten war, wurde von dem 
Präsidenten des Bundeskanzleramtes als Über- 
flüssig bezeichnet, weil er lediglich Konsequenzen 
aus den Vordersätzen ziehe (vgl. Stenogr. Ber. 
des Reichstages 1867, Bd. 1, S. 535). Der 
Berichterstatter (Abg. Braun) bestritt dies, in- 
dem er durch die Bestimmungen des Abs. 1 zu 
1 u. 2 nur die „interterritorialen“, nicht aber 
die „interkonfessionellen“ und „interkommunalen“ 
Beschränkungen für aufgehoben hielt, also z. B. 
nicht beseitigt die Territorialgesetze, wonach in 
gewissen Städten Juden nicht wohnen dürfen, 
Grundstücke nur von Gemeindeangehörigen, und 
Wohnhäuser nur von Vollbürgern erworben werden 
dürfen (a. a. O., S. 548). Der Präsident des 
Bundeskanzleramtes erklärte hierauf: „es sei der 
Abs. 1 nicht dahin zu verstehen, daß er sich bloß 
auf das Verhältnis der einzelnen Bundesstaaten 
zu einander beziehen solle, sondern derselbe be- 
ziehe sich auch auf die Verhältnisse jeder 
einzelnen Kommune in jedem einzelnen 
Bundesstaate; es dürfe daher schon auf Grund 
des Abs. 1 niemand aus dem Grunde, weil er 
nicht Heimatsangehöriger ist, versagt werden, sich 
niederzulassen, oder ein Grundstück zu erwerben, 
oder ein Gewerbe zu betreiben. Ebenso dürfe 
schon auf Grund des Abs. 1, Nr. 1 u. 2 jeder 
Bundesangehörige, mag er einem Glaubensbe- 
kenntnisse angehören, welchem er will, an jedem 
Orte ohne Unterschied sich niederlassen und Grund- 
eigentum erwerben, die Landeegesetzgebung mag 
lauten, wie sie will. Allerdings treffe dies aber 
nicht zu für die Nr. 3, so also, daß, wenn der 
Abs. 3 nicht angenommen werde, in einem Lande, 
wo z. B. den Inden der Betrieb eines Gewerbes 
untersagt ist, es hierbei bewendet“ (a. a. O., 
S. 550). Auch der großherzogl. hessische Bun- 
  
deskommissar bemerkte, „daß, wenn der §. 1 in 
seiner jetzigen Fassung angenommen werde, für 
die Befugnisse, welche unter Ziffer 1 u. 2 des 
Abs. 1 bezeichnet sind, der Beweis der Gemeinde- 
angehörigkeit nicht verlangt werden könne, sondern 
der Beweis der Bundesangehörigkeit genügen 
müsse, und daß auch der Beweis eines bestimmten 
Glaubensbekenntnisses nicht verlangt werden 
könne“ (a. a. O., S. 554). Hiernach ist der 
S. 1 unzweifelhaft dahin zu verstehen, daß durch 
die Nr. 1 und 2 des Abs. 1 in jedem Bundes- 
staate alle daselbst etwa noch bestehenden gesetz- 
lichen Beschränkungen der Wahl des Aufenthaltes 
und der Niederlassung (mit alleiniger Ausnahme 
der in den 88. 3—5 des Gesetzes zugelassenen), 
sowie des Grundeigentumserwerbes für die Ein- 
heimischen, wie für die anderen Bundesangehörigen 
aufgehoben sind; daß dagegen rücksichtlich des 
Gewerbebetriebes nur die im Abs. 3 des §. 1 
bezeichneten Schranken überall wegfsallen; die 
näheren Vorschriften hierüber in der Gewerbe- 
ordnung v. 21. Juni 1869 (B. G. Bl. 1869, 
S. 245), welche für den Gewerbebetrieb jedoch 
gleicherweise alle Schranken der angegebenen Art 
beseitigt, ja selbst grundsätzlich für den Gewerbe- 
betrieb nicht einmal zwischen In= und Aus- 
ländern unterscheidet, s. G. Meyer-Anschütz, 
Lehrbuch, 6. Aufl., S. 807, 808. 
: Entsch. des O. V. G., Bd. XV, S. 26 ff. u. 
die dort zit. Außerungen von Delbrück bei Be- 
ratung des Gesetzes (Stenogr. Ber. 1867, S. 544 f.; 
das O. V. G. hält diesen Grundsatz fest bezüglich 
des sog. „Bürgereides“ der hannöverschen Städte- 
ordnung, Entsch., Bd. XXXVII, S. 109 „ 
3 G. Mener-Anschütz, vehrb., 6. Aufl., S. 796; 
Laband, Bod. I. S. 117, Bd. III, S. 390 ff. 
* Ugl. das Armenrecht, Bd. III. 
5 G. S. 1847, S. 263.
	        
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