Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Zweiter Band. (2)

Freiheit und Sicherheit der Person. 
G. 57.) 181 
Insoweit bestrafte Personen nach den Landesgesetzen Aufenthaltsbeschränkungen 
durch die Polizeibehörde unterworfen werden können, soll es dabei sein Bewenden behalten 
(§. 3, Abs. 1). Solchen Personen, welche derartigen Aufenthaltsbeschränkungen in einem 
Bundesstaate unterliegen, oder welche in einem Bundesstaate innerhalb der letzten zwölf 
Monate wegen wiederholten Bettelns oder wegen wiederholter Landstreicherei bestraft 
worden sind 1, kann der Aufenthalt in jedem anderen Bundesstaate, als demjenigen, in 
welchem sie staatsangehörig sind?, von der Landespolizeibehörde verweigert werden (a. a. O., 
Abs. 2). Die besonderen Privilegien einzelner Ortschaften dagegen, welche Aufenthalts- 
beschränkungen gestatten, sind aufgehoben (a. a. O., Abs. 3).9 
Da der erste Abs. des §. 3 des Freizügigkeitsgesetzes in betreff der Aufenthalts- 
beschränkungen bestrafter Personen ausdrücklich auf die Landesgesetze als fortbestehend 
  
bei Gneist in Stengels Wörterb., Bd. I, S. 454; 
für das Einzelne den trefflichen Art. „Polizeiauf- 
sicht" von Herm. Seuffert, ebendas. Bd. II, 
S. 258 f. und eine eingehende Darstellung bei 
v. Conta, Die Ausweisung (1904) S. 146 ff. 
1 Der §. 3, Abs. 2 des Freizücgigkeitsgesetzes 
stellt für die Aufenthaltsverweigerung in einem 
Bundesstaate nicht die „wiederholte Bestrafung“ 
wegen Bettelns oder Landstreichens zur Bedingung, 
sondern die Bestrafung wegen „wiederholten“ 
Bettelns oder „wiederholter“ Landstreicherei inner- 
halb der letzten zwölf Monate (Reskr. des Min. d. 
Inn. v. 23. Juni 1874, M. Bl. d. i. Verw. 
1874, S. 203), s. dazu auch Entsch. d. R. Ger. 
in Straff., Bd. VI, S. 378. 
* Die Worte: „in jedem anderen Bundesstaate“ 
sind dahin zu verstehen, daß unter dem Aus- 
drucke: „anderer Staat“ diejenigen Staaten be- 
griffen sind, in welchen die betr. Person keinen 
Unterstützungswohnsitz resp. keine Heimat besitzt. 
So Riedel, Komm. z. Verf. Urk., S. 231, 
Anm. 5; ebenso jetzt auch Laband, Bod. I, 
S. 116; ferner Seydel in Hirths Ann. 1890, 
S. 90 ff., 173 ff.; Zorn. St. R., Bd. I, S. 388, 
Anm. 34. Die richtige Ansicht, die ich bereits 
in der 1. Aufl. meines St. R., Bd. I, S. 290, 
Anm. 22 vertreten hatte (1880), daß die ent- 
gegengesetzte Ansicht die Möglichkeit der 
Ausweisung aus dem Reichsgebiet über- 
haupteinschließt, somit eines der obersten 
Prinzipien des Reichsstaatsrechtes (s. S. 
150, 172 f.) verletzt, hat das Reichsamt des Inn. 
schon 1833 mit Recht für „selbstverständlich"“ er- 
klärt. Trotzdem wurde die andere Ansicht von 
den angesehensten Schriftstellern des Reichsstaats- 
rechtes, bes. von Laband, weiter vertreten, so 
daß der Bundesrat der Verwirrung durch Plenar- 
beschluß ein Ende machen mußte. Die Sache ist 
in der Tat so „selbstverständlich“, daß sie nie eine 
„Streitfrage“ sein konnte. G. Meyer-Anschütz, 
Lehrb. (6) S. 796 u. Verw. R., Bd. I, S. 120, 
N. 14 hält auch jetzt noch fest, daß die Aufent- 
haltsbeschränkungen von der Staatsangehörigkeit 
„durchaus unabhängig“ seien, so daß den betr. 
Personen auch der Aufenthalt in ihrem Heimats- 
staat untersagt werden darf. Ubereinst. m. d. 
Text auch Rehm bei Conrad, Bd. III, S. 676. 
Uber die Verhandlungen im Reichsamt d. Iunn. 
und im Bundesrat zu der Streitfrage s. Cahn, 
Komm. S. 63 ff. Der Bundesrat hat unterm 
9. Juli 1894 folgende „Grundsätze“ über die 
Ausführung von 8. 3 des Freizügigkeitsgesetzers 
Pr. M. Bl. d. i. Verw. 189.4, S. 
  
147) ange- 
nommen: 1. Reichsangehörigen, welche Aufent- 
haltsbeschränkungen der im §. 3, Abs. 1 des Frei- 
zügigkeitsgesetzes vom 1. Nov. 1867 bezeichneten Art 
unterliegen, oder innerhalb der letzten zwölf Monate 
wegen wiederholten Bettelns oder wiederholter 
Landstreicherei bestraft worden sind, wird der 
Aufenthalt in einem Bundes staate nicht 
verweigert werden, wenn sie in diesem 
Staate die Staatsangehörigkeit oder 
einen Unterstützungswohnsitz (Heimats-= 
recht) besitzen. Zur Verweigerung des Aufent- 
halts genügt eine einmalige Bestrafung innerhalb 
der zwölfmonatigen Frist, sofern nur vor Beginn 
desselben bereits eine Bestrafung stattgefunden hat. 
2. Die Ausweisung darf in den Fällen des 
§. 3, Abs. 2 des Freizügigkeitsgesetzes nicht flr 
länger als die Dauer der Aufenthaltsbeschränkungen, 
beziehungsweise der von der Verbüßung der 
letzten Strafe wegen Bettelns oder Landstreicherei 
zu berechnenden zwölf Monate verfügt werden. 
3. Aus Bundesstaaten, in welchen auf Grund 
bundesrechtlicher Bestimmungen bereits nach ein- 
maliger Bestrafung wegen Bettelns oder Land 
streicherei eine Aufenthaltsbeschränkung polizeilich 
verfügt werden kann, wird wegen einer derartigen 
Aufenthaltsbeschränkung eine Ausweisung nicht er- 
folgen. 4. Bei Ausweisungen auf Grund des §F. 3, 
Abs. 2 des Freizügigkeitsgesetzes sind bezüglich des 
Verfahrens die Bestimmungen des Gothaer Ver- 
trags vom 15. Juli 1851 (§§. 8—12) und die 
zur Ausführung desselben später getroffenen Ver- 
einbarungen zur Anwendung zu bringen. 
3 Die Bestimmung des Abs. 3 des §. 3 be- 
ruht auf einem Amendement des Abg. v. Kirch- 
mann und hat diejenigen gesetzlichen Vorschriften 
im Sinne, welche das Recht zur Ausweisung 
bestrafter Personen für einzelne Orte, z. B. Ber- 
lin, über die sonstigen Grenzen hinaus ausdehnen. 
(Vgl. die Erklär. des Abg. v. Kirchmann in 
der Sitz. v. 21. Okt. 1867, Stenogr. Ber. des 
Reichstages 1867, S. 557). Vgl. übrigens § 12 
des Freizügigkeitsgesetzes v. 1. Nov. 1867, desgl. 
die vor. Note. 
* Wenn der §. 3, Abs. 1 des Freizügigkeits- 
gesetzes v. 1. Nov. 1867 bestimmt, daß es, inso- 
weit bestrafte Personen nach den Landesgesetzen 
Aufenthaltsbeschränkungen durch die Polizeibe- 
hörde unterworfen werden können, dabei sein 
Bewenden behält, so sind hierdurch einmal die in 
den zur Zeit des Erlasses des G. v. 1. Nov. 
1867 bestehenden Landesgesetzen begründeten Be- 
schränkungen der Aufenthaltsfreiheit aufrecht er- 
halten, zugleich aber die Möglichkeit eröffnet
	        
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