Freiheit und Sicherheit der Person. (8. 57.) 185
beschränkt, kann somit für die ganze Lebensdauer des betreffenden Indi-
viduums aufrecht erhalten werden.
b) Was ferner die Gründe der ausnahmsweise zulässigen Versagung des Auf-
enthaltes oder der Niederlassung aus Rücksicht auf das Kommunalinteresse der betreffenden
Gemeinde angeht, so beziehen sich hierauf die Bestimmungen der §§. 4 und 5 des Frei-
zügigkeitsgesetzes v. 1. Nov. 1867, welche aus den §§. 4 und 5 des Heimatsgesetzes v.
31. Dez. 1842 hervorgegangen sind. Diese Vorschriften sind lediglich armenrechtlicher
Natur: den Gemeinden ist grundsätzlich Schutz gewährt gegen den Zuzug
verarmter oder voraussichtlich der Armenpflege alsbald anheimfallender
Personen. Die Rechtspflicht zur Aufnahme beziehungsweise zum Behalten solcher Per-
sonen hat nur diejenige Gemeinde, in welcher die Person den Unterstützungswohnsitz —
den die moderne Entwickelung an die Stelle der alten, nicht mehr aufrechtzuerhaltenden
„Heimat“ gesetzt hat — nach Vorschrift des Gesetzes erworben hat.3 Die armenrecht-
lichen Einschränkungen der Freizügigkeit sind:
a) Die Gemeinde ist zur Abweisung eines neu Anziehenden befugt, wenn sie nach-
weisen kann, daß derselbe nicht hinreichende Kräfte“ besitzt, um sich und seinen nicht
arbeitsfähigen Angehörigen den notdürftigen Lebensunterhalt zu verschaffen, und wenn er
solchen weder aus eigenem Vermögen bestreiten kann, noch von einem dazu verpflichteten
Verwandten erhält. Den Landesgesetzen bleibt vorbehalten, diese Befugnisse der Ge-
meinden zu beschränken."“ Die Besorgnis vor künftiger Verarmung berechtigt den Ge-
meindevorstand nicht zur Zurückweisung (Ges. v. 1. Nov. 1867, §S. 4).
sie soll „eine Ausnahmemaßregel sein, welche nuur Note 8) beitritt. Vgl. auch Cahn, Komm.,
da verhängt werden darf, wo nach der konkreten S. 66, bef. auch über die vom Bundesamt für
Lage des einzelnen Falls das Zuziehen einer be= Heimatswesen aufgestellten Grundsätze bezüglich
straften Person an einen bestimmten Ort mit der armenrechtlichen Familiengemeinschaft („seine
Rücksicht auf die durch die Missetat an den Tag Angehörigen“); s. auch Z. Bl. d. D. R. 1883,
gelegte Gefährlichkeit und unter Berücksichtigung S. 87; Bazille-Köstlin, Das Recht der
der besonderen Verhältnisse des gewählten Aufente Staatsangehörigkeit (1902) S. 303—312.
haltsorts mit dem polizeilich zu schützenden öffent- 5 Die Motive zum §. 4 des Entw. des G.
lichen Interesse unvereinbar erscheint". Aber es bemerken hierzu: „Durch die Fassung dieses
muß sich um „neuanziehende"“ Personen handeln, Paragraphen ist angedeutet, wie es sich mit der
O. V. G., XXXVII, S. 450, nicht um bloß Beweislast hinsichtlich der hier in Betracht kommen-
vorübergehenden Aufenthalt, Bd. X, S. 339. den tatsächlichen Umstände verhält. Will die Ge-
1 S. dazu die Kritik von H. Seuffert in meinde den Aufenthalt wegen Arbeitsunfähigkeit
Stengels Wörterb., Bd. II, S. 261, deren Be= des Neuanziehenden versagen, so liegt ihr der Be-
rechtigung man wird anerkennen müssen. weis in dieser Beziehung erforderlichenfalls ob;
Dieser Entwicklung hat bis jetzt nur Bayern im Falle notorischer oder erwiesener Arbeitsunfähig-
Widerstand geleistet; s. darüber Seydel, Bayr. keit aber ist es Sache des Neuanziehenden, wenn er
St. R., Bd. III, S. 90 ff., Bd. V,. S. 203 ff. den Aufenthalt erlangen will, den Nachweis hin-
u. die dort zit. Literatur. reichenden Vermögens zu erbringen“ (Stenogr.
à Unterst. Wohns. G., S. 1. Auch diese Ent= Ber. des Reichstages 1867, Bd. II, Aktenst.
wicklung beruht bereits auf der preuß. Gesetz= Nr. 50, S. 121). Der der Gemeinde obliegende
gebung von 1842, s. Gneist bei Stengel, Bd. I. Beweis muß auf den gegenwärtigen und dauern-
S. 452. den Mangel der Erwerbsfähigkeit gerichtet sein;
* In bezug auf die gleichlautende Bestimmung durch Feststellung der Tatsache, daß der Anziehende
in §. 4 des preuß. Heimatsgesetzes v. 31. Dez. sich mit der Enriichtung öffentlicher Abgaben oder
1842 hat das Min. d. Inn. in dem Reskr. v. der Kosten des Elementarschulunterrichtes seiner
9. Juli 1843 (M. Bl. d. i. Verw., S. 216) und Kinder im Rückstande befinde, ist dieser Beweis
v. 25. Febr. 1860 (a. a. O., S. 70) angenom= noch nicht erbracht. (Vgl. die Reskr. des Min. d.
men, daß einer Person, welche hinreichende Inn. v. 50. April 1845 und v. 31. Aug. 1869,
Kräfte besitzt, sich und ihren nicht arbeitsfähigen M. Bl. d. i. Verw. 1845, S. 119, und 18689,
Angehörigen notdürftigen Lebensunterhalt zu ver--- S. 267; desgl. Arnold, Freizügigkeit usw.,
schaffen, und welche ein Unterkommen gefunden, S. 48, und Seydel in Hirths Ann., Jahrg.
die Aufnahme nicht um deshalb versagt werden 1876, S. 167.) Vgl. auch die von Arnold
kann, weil ihr die moralische Kraft nicht zuzu= (a. a. O., S. 48 —52) mitgeteilten Verhand
mauen, von ihren physischen Kräften den nötigen lungen des H. H. und des Abg. H. in den
Gebrauch zu machen, und daß daher Arbeitsun= Stenogr. Ber. des H. H. 1871, S. 29, 125 ff.,
fähigkeit infolge sittlicher Verkommenheit, Trunk= u. des Abg. H. 1871, S. 597 ff., S. 778.
sucht u. dergl. kein ausreichender Abweisungsgrund * Dieser Satz ist deshalb in das Gesetz auf!
ist. Dies nimmt auch Arnold Freizügigkeit genommen worden, weil manche Bundesstaaten
und Unterstützungswohnsitz, S. 48) an, welchem iz. B. das Königreich Sachsen, in der Beschrän-
Seydel (in Hirths Ann., Jahrg. 1876, S. 106, kung der Befugnisse der Gemeinden weiter gehen,