186 Das Staatsbürgerrecht.
(S. 57.)
8) O ffenbart sich nach dem Anzuge die Notwendigkeit einer öffentlichen Unter-
stützung 1, bevor der --Neuanziehende an dem Aufenthaltsorte einen Unterstützungswohnsitz
(Heimatsrecht erworben hat, und weist die Gemeinde nach, daß die Unterstützung aus
anderen Gründen, als wegen einer nur vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit oder eines
vorübergehenden Notstandes? notwendig geworden ist, so kann die Fortsetzung des Auf-
enthaltes versagt werden (Ges. v. 1. Nov. 1867, §. 55.3 Die Entscheidung selbst er-
folgt jedoch durch die Polizeibehörde als Staatsbehörde, nicht durch die Gemeindebehörde;
letztere hat lediglich in dem zu führenden Nachweise die Unterlage zu beschaffen.
Daraus
ergibt sich sodann die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte zur Entscheidung über dics-
bezügliche polizeiliche Verfügungen.“
+) Die tatsächliche Ausweisung eines Armen aus einem Orte darf niemals eher
erfolgen,
als nicht entweder die Annahmeerklärung der zur Fürsorge für den Auszu-
weisenden verpflichteten Gemeinde oder doch eine wenigstens einstweilen vollstreckbare Ent-
scheidung über die streitig gewordene Fürsorgepflicht erfolgt ist. (Ges. v. 1. Nov. 1867,
§. 6, Abs. 2.)
deutschen Einzelstaat in einen anderen,
stützungswohnsitz begründet ist, erfolgen.
Auf dieser Rechtsgrundlage aber kann auch eine Ausweisung aus einem
nämlich in denjenigen,
Ebenso kann auf der Grundlage der in
in welchem der Unter-
als das Gesetz v. 1. Nov. 1867. Es ist nicht
beabsichtigt, den Landesgesetzen, sofern sie dem
Grundsatze der Freizügigkeit eine weitergehende
Anwendung geben als das Bundesgesetz, hierin
eine Beschränkung aufzuerlegen. (Vgl. Motive
des Entw. in den Stenogr. Ber. des Reichs-
tages 1867, Bd. UI, S. 121, u. Konmn. Ber.
a. a. O., S. 189.)
1 Die Motive zum §. 4 des Entw. des Ge-
setzes (jetzt §. 5) bemerken, daß die Frage, was
als „öffentliche Unterstützung“" zu betrachten ist,
sich nach den Gesetzen oder der Verwaltungs=
praxis des betreffenden Staates richtet (vgl. Stenogr.
Ber. des Nordd. Reichstages 1867, Md. II, Aktenst.
Nr. 50, S S. 121, Sp. 1); ogl. auch Cahn,
Komm., S. 67.
7 Gussch- d. B. A. f. Heimatwesen Bd. XII,
S. 86; vgl. auch Bd. V, S. 125, Bd. Xll,
S. 110; ferner Entsch. d. O. V. G., Bd. VII,
S. 309.
* Die Motive (a. a. O.) bemerken hierzu, daß
eine vorauesichtlich länger dauernde Unterstützungs-
bedürftigkeit in einer nicht bloß vorübergehenden
Arbeitonnsähigkeit, jedoch auch in anderen Ver-
hältnissen ihren Grund haben könne. Wenn der
§. 5 des Freizügigkeitsgesetes als Vorbedingung
für die Wiederausweisung eines bereits ange-
zogenen Einwohners resp. seiner Familie neben
dem Eintritte des tatsächlichen Unterstützungobe-
dürfnisses noch den Nachweis verlangt, daß das
Bedürfuis aus anderen Gründen, als einer vor-
übergehenden Arbeitenunfähigkeit veranlaßt worden
sei, so liegt darin auch die Wiederausweisungs-
befugnis der Gemeinden in solchen Nällen ein-
getretener Armennnterstützung, welche überhaupt
nicht durch die Arbeitdunfähigkeit eines Ein-
mohners, sondern durch andere äustere Momente
veranlastt worden sind. Daher reicht eine Armen-
Unterstünung, welche vor Ermerbung der Unter-
stünungewohnsines der Familie nicht wegen körper-
licher Arbeitounfähigteit des Familienhauptes,
sondern aus Veranlassung einer über dasselbe auf
längere oder kürzere Zeit verhängten Strafhaft
gewährt worden ist, aus, um den Begriff der
Zustandes der Verarmung im Sinne des s. 5
des Freizügigkeitsgesetzes zu geben, welchen das
Gesetz als Vorbedingung der Befugnis zur Wie-
derausweisung hinstellt. A. A. Reskr. des Min.
d. Inn. v. 29. Juli 1869, M. Bl. d. i. Verw.
1869, S. 268; s. dagegen Arnold, Tie Frei-
zügigkeit und das Unterstützungswohnsitzgesetz,
S. 59; wogegen Eger, Unterstützungowohnsitz,
S. XV und Rocholt, System des d. Armen-
pfleger., S. 75 der Auffassung des Min. d. Inn.
beitreten; s. auch oben N. 1. Aus dem Um-
stande, daß einer Frauensperson, welcher die nach-
gesuchte Niederlassung gestattet worden, eine Extra-
unterstützung gewährt und die Unterbringung be-
hufs Abhaltung ihrer Niederkunft in ein Hospital
erfolgt ist, kann die Zulässigkeit ihrer Wiederaus-
weisung nicht gefolgert werden, sondern es ist in
einem solchen Falle nur eine vorübergehende
Arbeitsunfähigkeit anzunehmen (Restr. des Min. d.
Inn. v. 27. Juli 1871, M. Bl. d. i. Verw. S. 249.
4 S. die Begründung in Entsch. d. O. V. G.,
Md. VII, S. 366 ff.
5 Wenn es sich um Ausweisung nach erfolgtem
Anzuge aus einer Gemeinde Bayerns oder Elsaß-
Lothringens in einen anderen Bundesstaat oder
umgekehrt handelt, so kann diese Maßregel nicht
eher in Vollzug gesetzt werden, als die Üver-
nahmepflicht nach Maßgabe des Gothaer Ver-
trages v. 15. Juli 1851 feststeht. Vgl. das
Nähere über diesen Gegenstand unten bei Armen-
pflege; vgl. Bühl, Das Armenwesen (19045,
S. 58 ff.
" R. G. v. 2. März 1894 üb. d. Unterstütz.
« ohns,§§’.»1, 31; G. Meyer-Anschütz, Lehrb.,
. 796. Uber den Vorbehalt für Bayern und
Els.Lothr. der hier nur formeller Art ist, s. unten.
Bgl. auch G. Meyer, Verw. R., Bd. I. S. 123;
Tourbic, im Arch. f. öff. R., Bd. III, S. 153,
413. Daß die Landesverweisung von Einzelstaat
zu Einzelstaat überhaupt in Kraft geblieben sei,
behaupten in vollständiger Verkennung der staats-
rechtlichen Grundlage des Reiches Seydel in
Hirths Ann. 1890, S. 91 ff., 176: E. Mayer,
ebendas. S. 562 ff.; s. dagegen G. Meyer,
Verm. R., Bd. I, S. 120, N. 8 Rehm, in
Conrads Handwörterb., Bd. 1, S. 855, 1045.