192 Das Staatsbürgerrecht. (8. 57.)
einem Staate des Deutschen Reiches innerhalb der letzten 12 Monate wegen
wiederholten Bettelns 1 oder wegen wiederholter Landstreicherei: bestraft worden ists;
b) auf Grund des §. 4 des Gesetzes vom 1. Nov. 1867, wenn die Gemeinde gegen-
über dem Neuanziehenden, welcher etwa bereits seinen vorübergehenden Aufenthalt an dem
Orte genommen haben sollte, den Nachweis geführt hat, daß derselbe nicht hinreichende
Kräfte besitzt, um sich und seinen nicht arbeitsfähigen Angehörigen den notdürftigen Lebens-
unterhalt zu verschaffen, und wenn er solchen weder aus eigenem Vermögen bestreiten
kann, noch von einem dazu verpflichteten Verwandten erhält; c) auf Grund des §. 5
a. a. O., wenn sich nach dem erfolgten Anzuge, bevor noch der Neuangezogene einen
Unterstützungswohnsitz (Heimatsrecht) an dem Aufenthaltsorte erworben hat, die Not-
wendigkeit seiner öffentlichen Unterstützung offenbart, und wenn in diesem Falle die Ge-
meinde seines Aufenthaltsortes nachweist, daß die Unterstützung aus anderen Gründen
als wegen einer nur vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit notwendig geworden ist. In
den vorstehend (zu a, b und c) gedachten Fällen, aber auch nur in diesen Fällen, ist
nach den Grundsätzen des Freizügigkeitsgesetzes v. 1. Nov. 1867 die Polizeibehörde des
Ortes berechtigt, beziehungsweise in den zu b und c gedachten Fällen auf den Antrag
der betreffenden Gemeinde auch verpflichtet, die polizeiliche Ausweisung eines Reichsan-
gehörigen aus dem Orte seines Aufenthaltes zu bewirkens, jedoch immer nur in der-
die wegen Kontrebande oder Zolldefraudation zuf nung seiner Ehefrau zu treffen, wenn dieser
einer zeitigen Freiheitsstrafe von sechswöchentlicher letzteren gegenüber die polizeiliche Beschränkung
oder längerer Dauer verurteilt und demzufolge geltend gemacht werden soll. Entsch. d. O. V. G.,
der polizeilichen Aufsicht nach S. 1, Lit. n, oder Bd. XIX, S. 374.
nach §. 2, Lit. f des G. v. 12. Febr. 1850, betr. Das Reskr. des Min. d. Inn. v. 8. Juni
die Stellung unter Polizeiaufsicht (G. S. 1850., 1872 (M. Bl. d. i. Verw., S. 169) führt
S. 19 ff.) unterworsen sind. Die zit. Bestim= aus, daß eine Person, welche länger als zwei
mungen des letztgedachten Gesetzes sind weder Jahre ungehindert an einem Orte gewohnt hat,
durch den Art. 11 des Einführungsgesetzes zum als Neuanziehende im Sinne des §. 4 des G.
Preuß. ir hun v. 14. April 1851, noch v. 1. Nov. 1867 selbst für den Fall nicht ange-
durch den §. 2 des Einführungsgesetzes zum sehen werden kann, daß dieselbe dort nicht poli-
Neichsftrafgertruch aufgehoben, sondern für fort= zeilich gemeldet sein sollte, und daß daher in einem
geltend zu erachten, die Ortspolizei= und Grenz= solchen Falle eine Ausweisungsbefugnis nicht be-
zollbehörden daher auch jetzt noch berechtigt, solchen gründet sei. Die Richtigkeit dieser Ansicht ergibt
unter Polizeiaussicht gestellten Personen die im sich übrigens auch aus dem F. 10 des G. v.
8. 9 des G. v. 12. Febr. 1850 erwähnten. Be= 1. Nov. 1867.
schränkungen aufzuerlegen, und im Falle der liber- * Vor Erlaß des Freizügigkeitsgesetzes v. 1. Nov.
tretung kommt der §. 11 a. a. O. (jetzt §. 361,1867 nahm die Staatsregierung eine polizei-
Nr. 1 des Reichsstrafgesetzbuches) zur Anwendung liche Ausweisungsbefugnis auch auf Grund der
vgl. Erk. des Strafsen. des Ob. Trib. v. 10. Nov. Generalinstruktion des Polizeiministeriums v.
1852, J. M. Bl. 1852, S. 136, Goltdammers 12. Juli 1817, betr. die Aufenthaltskarten (v.
Arch., Bd. II, S. 115, desgl. das Zirk. Restr. Kamptz, Ann., Bd. 1, Heft 3, S. 114) in An-
der Min. der Fin. u. d. Inn. v. 6. Dez. 1851, spruch, indem die gesetzliche Kraft dieser Instruk-
M. Bl. d. i. Verw. 1852, S. 11). Der §. 150 tion auf den §. 18 des Paßedikts v. 22. Juni
des Vereinszollgesetzer v. 1. Juli 1869 (B. G. 1817 gestützt wurde (vgl. Zirk. Reskr. des Min. d.
Bl., S. 361) hat in dieser Beziehung aneèdrücklich Inn. v. 10. Aug. 1850, M. Bl. d. i. Verw.
auf das Fortbestehen der Landesgesengebung ver1850, S. 249, und den Ber. der Petitionskom-
wiesen. — S. jenzt auch Nußbaum, die landes- mission der II. Kammer in den Stenogr. Ber.
rechtlichen Aufenthaltobeschränkungen bestrafter Per-der II. Kammer 1850—51, Bd. IV, S. 829.
sonen; Zeitschrift f. d. gesamte Strafrechtowissene Allein die Frage, ob auf Grund der gedachten
schaft, Bd. XXV 1005, S. 345 ff.; v. Conta, Instruktion v. 12. Juli 1817 und in welchem
a. a. O., S. 152, 157. Umsange den Ortspolizeibehörden das Recht zu—
Reichostrafgesenzbuch, §. 361, Nr. 4, §. 362. stand, gegen prenßische Staatsangehörige, die sich
Chbendas. §. 361, Nr. 3, §. 362. im Orte aufhalten, eine polizeiliche Ortsverbannung
*Vgl. hierzu S. 181 f. Die gegen einen deut zu verhängen, unterlag auch schon nach dem
schen Slaateangehörigen auf Grund des §. 3, früheren Rechte den erheblichsten Bedenken; denn
Abs. 2 landeopolizeilich verfügte Ausweisung ans die Anwendung jener fremdenpolizeilichen Vor-
dem Gebiete des Bundesstaates wird mit Ablauf schriften auf unbestrafte Staatsangehörige war
von 17 Monaten seit der leinien? estrafung rechtss mit dem im Art. 5 der Verf. Urk. verbürgien
unwirkliam, N. G. in Strafs. v. 17. Juni 1881, Rechte der persönlichen Freiheit, in welchem das
Bd. VI, S. 378. — Der polizeilichen Aufent= Recht der Freiheit des Anfenthaltes inbegriffen ist,
haltebeschränkung hat ein rein zi#ilrechtlicher An- keinenfalls vereinbar (vgl. die Erklärung der Min.
spruch zu weichen, z. B. der des Chemanns, ent« v. Mantenssel in der Sitzung der II. Kammer
gegenstehende Anordnungen hinsichtlich der Woh # v. 29. Nov. 1850 in den Stenagr. Ber. S. 35..