Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Zweiter Band. (2)

(§. 57.) 193 
jenigen grundsätzlichen Beschränkung, daß, da kein Deutscher des Vaterlandes verwiesen 
werden darf, die Unterstützungswohnsitzgemeinde (Heimat) nicht ausweisen darf. 
Uorigens darf nach §. 6, Abs. 2 des Gesetzes v. 1. Nov. 1867, wie bereits bemerkt, 
die tatsächliche Ausweisung eines Armen niemals erfolgen, bevor nicht entweder die 
Annahmeerklärung der in Anspruch genommenen Gemeinde oder doch eine wenigstens einst- 
weilen vollstreckbare Entscheidung über die Fürsorgepflicht erfolgt ist. 
Der reichsgesetzlich festgestellte allgemeine Grundsatz der freien Wahl des Aufent- 
haltsortes und der Freizügigkeit der Reichsangehörigen hatte bis vor kurzem noch weitere 
Beschränkungen. 
Durch den §. 2 des Reichsgesetzes v. 4. Juli 1872, betreffend den Orden der 
Gesellschaft Jesu2, war bestimmt, daß die Angehörigen des Ordens der Gesellschaft 
Jesfu oder der ihm verwandten Orden oder ordensähnlichen Kongregationen 3, wenn sie 
Ausländer sind, aus dem Bundesgebiete ausgewiesen werden können, was lediglich selbst- 
verständlich ist“, und daß ihnen, wenn sie Inländer sind, der Aufenthalt in be- 
stimmten Bezirken oder Orten versagt oder angewiesen werden kann. 
Der §. 3 dieses Gesetzes hatte dem Bundesrate den Erlaß der zu dessen Ausführung 
erforderlichen Anordnungen übertragen, und dieser hatte laut Bekanntmachung des Reichs- 
kanzlers v. 5. Juli 1872, Ziffer 3 5 beschlossen, daß die zur Vollziehung des Gesetzes 
in den einzelnen Fällen zu treffenden Anordnungen von den Landespolizeibehörden " zu 
Freiheit und Sicherheit der Person. 
  
Auch aus dem Umstande, daß sowohl das G. 
v. 12. Febr. 1850 über die Stellung unter 
Polizeiaussicht, als auch das Strafgesetzbuch v. 14. 
April 1851 (§. 27, Nr. 1) nur in bestimmten 
Fällen der Landespolizeibehörde ausnahmsweise 
gegen gewisse Personen das Recht der Untersagung 
des Aufenthaltes an einzelnen bestimmten Orten 
(Recht der Konfination) beigelegt hatten, recht- 
fertigte sich der Schluß, daß die Anwendung einer 
solchen (die Freiheit der Person beschränkenden 
und in der Regel auch das Vermögen des davon 
Betroffenen schädigenden) Maßregel in anderen 
Fällen, als wo es das Gesetz ausnahmsweise zu- 
ließ, nicht statthaft sei, und daß also insbesondere 
den Polizeibehörden nicht die Befugnis zustand, 
die Ortsverweisung anders zu verhängen, als auf 
Grund eines gerichtlichen Erkenntnisses, welches 
die Stellung unter Polizeiaufsicht ausgesprochen 
hat. Nicht einmal die vormärzlichen Ministerien 
hatten aus der Instr. v. 12. Juli 1817 eine 
solche Befugnis der Polizeibehörden hergeleitet, 
wie dieselbe in den Jahren der v. Manteuffel- 
Westphalenschen Reaktionspcriode in Anspruch ge- 
nommen wurde. Die Reskr. der Min. d. Inn. u. 
der P. v. 17. Nov. 1829 u. v. 21. Juni 1837 
(v. Kamptz, Ann., Bd. XIII, S. 877, u. Bd. 
XXI, S. 478, hatten vielmehr ausgesprochen, 
„daß die verbrecherische Neigung eines Menschen 
an allen Orten gefährlich und für alle Behörden 
lästig, und deshalb nicht zu dulden sei, daß eine 
Behörde die Mühe und Aufsicht einer anderen zu- 
schiebe“, desgleichen, „daß allein wegen sittlicher 
Verderbtheit oder auch wegen eines Verbrechens, 
ohne daß darauf gerichtlich und rechtskräftig er- 
kannt worden, keine Relegation von einem Orte 
erfolgen dürfe“. Vgl. auch den Bericht der Kom- 
mission des Abg. H. für H. u. G. v. 30. Aug. 
1862 zu A (Drucks. des Abg. H. 1862, VII. 
Legislaturper., I. Session, Bd. V, Nr. 139, S. 1 ff. 
u. Stenogr. Ber. 1862, Bd. VII, S. 1378—82) 
u. die Verhandl. darüber in der Sitz. v. 4. Okt. 
1862 (Stenogr. Ber. 1862, Bd.lV, S. 2067—72). 
— Do jetzt der §. 10 des Reichsgesetzes v. 12. Okt. 
v. Rönne-Zorn, Preuß. Staatsrecht. 5. Ausfl. II. 
  
1867 über das Paßwesen (B. G. Bl. 1867, 
S. 33) die Erteilung von Aufenthaltskarten für 
neuanziehende Personen, sowie auch für Fremde 
verboten, beziehungsweise die Abschaffung dieser 
Einrichtung an Orten, wo sie bisher bestanden 
hat, vorgeschrieben hat, so folgt von selbst, daß 
damit auch die auf Grund der Generalinstruktion 
v. 15. Juli 1817 geübte Ausweisungsbefugnis 
der Polizeibehörde hinfällig geworden ist (vgl. die 
Erklärung des Präsidenten des Bundeskanzler- 
amtes in der Kommission des Reichstages, Stenogr. 
Ber. des Norddeutschen Reichstages 1867, Anl. 
RBd., Akienst. Nr. 109, S. 190), abgesehen da- 
von, daß auch der Abs. 1 des §. 12 des Frei- 
zügigkeitsgesetzes v. 1. Nov. 1867 jede willkür- 
liche polizeiliche Ausweisung Bundesangehöriger 
fÜr unstatthaft erklärt hat. 
1 Vgl. S. 186 v. 
* R. G. Bl. 1872, S. 253. 
Dies waren laut der Bekanntmachung des 
Reichskanzlers v. 20. Mai 1873 (R. G. Bl., 
S. 109, und Zentralblatt für das D. R., 
S. 159) zuf. des Beschl. des Bundesrates 
folgende Genossenschaften: die Kongregation der 
Redemptoristen (Congregatio Sacerdotum sub 
titulo danctissimi Redemptorisz), die Kongre- 
gation der Lazaristen (Congregatio Missionis), 
die Kongregation der Priester vom heiligen Geiste 
(Congregutio Sancti spiritus sub tutela imma- 
culati cordis Beatae Virginis Mariae) u. die 
Gesellschaft vom heiligen Herzen Jesu (Société 
du sacre coeur de Jesus). Bezüglich der Kon- 
gregation der Redemptoristen, sowie der Priester vom 
heiligen Geiste ist durch V. d. B. N. v. 18. Julie 
1894 (R. G. B. 503) die Aufhebung erfolgt und 
diese Kongregationen somit z wieder zugelassen 
worden. 
S. S. 173. 
* R. G. Bl. 1872, S. 254. 
* Der Auedruck: „Landespolizeibehörde“ ist 
im Gegensatze zu den „Ortepolizeibehörden“ zu 
verstehen. Vgl. hierüber die Erklärung des Präsi- 
denten des Neichskanzleramtes in der Sitzung des 
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