Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Zweiter Band. (2)

194 Das Staatsbürgerrecht. (8. 57.) 
verfügen seien. Eine Ausweisung aus dem gesamten Reichsgebiete war auch gegenüber 
inländischen Jesuiten nicht zulässig; äußersten Falles war auch hier der Heimatstaat zur 
Aufnahme verpflichtet (s. S. 181, N. 2). Gleichartige Vorschriften enthielten die Reichs- 
gesetze v. 4. Mai 1874 betr. die Verhinderung der unbefugten Ausübung von Kirchen- 
ämtern und v. 21. Okt. 1878 gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozial- 
demokratie. Alle diese Gesetzesvorschriften sind jedoch jetzt beseitigt, erstere durch das Gesetz 
v. 8. März 1904 (R. G. B., S. 139), das zweite Gesetz durch Gesetz v. 6. Mai 1890 
(R. G. Bl., S. 65), das dritte durch Zeitablauf. 
VI. Obgleich der Art. 3 der Reichsverfassung für den ganzen Umfang des Reichs- 
gebietes den Grundsatz der Freizügigkeit ausgesprochen hat, so hat derselbe doch im 
Abs. 3 bestimmt, daß hierdurch diejenigen Bestimmungen, welche die Armenversorgung 
und die Aufnahme in den lokalen Gemeindeverband betreffen, nicht berührt 
werden, und auch noch der §. 11, Abs. 1 des Freizügigkeitsgesetzes v. 1. Nov. 1867 
hat ausgesprochen, daß durch den bloßen Aufenthalt oder die bloße Niederlassung, wie sie 
das Freizügigkeitsgesetz gestattet, andere Rechtsverhältnisse, namentlich die Gemeindean- 
gehörigkeit und die Armenpflege, nicht begründet werden, so daß also durch das Frei- 
zügigkeitsgesetz ein gleiches Heimatsrecht, namentlich hinsichtlich der Armenpflege, nicht 
begründet worden ist. Die volle und gleichmäßige Freizügigkeit, sowie die unbeschränkte 
Befugnis zur gewerblichen Niederlassung, wie auch zur Verehelichung und Gründung 
eines eigenen Hausstandes, mußten indes so lange höchst ungleichmäßig wirken, als nicht 
die verschiedenartigen Bestimmungen der Landesgesetze über den Erwerb und Verlust des 
Heimatsrechtes und die damit zusammenhängende Verpflichtung zur Armenpflege, im Wege 
der Reichsgesetzgebung ebenfalls ihre Ausgleichung gefunden hatten. Das Recht zur Aus- 
weisung im Falle eingetretener Unterstützungsbedürftigkeit vor erfolgtem Erwerbe des 
Heimaterechtes oder Unterstützungswohnsitzes mußte, um allenthalben gleichmäßig zu wirken, 
eine Ausgleichung der diesen Heimatsrechtserwerb bedingenden Grundsätze und Vorschriften 
nach sich ziehen. Diese ist durch das zunächst für das Gebiet des vormaligen Nord- 
deutschen Bundes erlassene Gesetz v. 6. Juni 1870 über den Unterstützungs- 
wohnsitz: geschehen, welches demnächst infolge des Art. 80, Ziffer II der mit Baden 
und Hessen vereinbarten Bundesverfassung auch in Südhessen, und infolge des Reichs- 
gesetzes v. 8. Nov. 1871“ auch in Baden und Württemberg Geltung erlangt hat. Da- 
gegen gilt das Gesetz nicht für Bayern und für das Reichsland Elsaß-Lothringen, 
und demzufolge besteht also in betreff des Armenpflegerechtes und des Erwerbes und Ver- 
lustes des Unterstützungswohnsitzes zurzeit noch kein einheitliches Recht im Deutschen 
Reiche, sondern es ist ein solches durch das Gesetz v. 6. Juni 1870, über den Unter- 
stützungswohnsitz, nur für die Staaten des vormaligen Norddeutschen Bundes nebst Süd- 
hessen, Baden und Württemberg geschaffen, wogegen für Bayern und das Reichsland 
Elsaß-Lothringen zwar das Freizügigkeitsgesetz v. 1. Nov. 1867 in Kraft getreten ist, 
jedoch neben diesem die landesgesetzlichen Vorschriften über Armenpflegerecht und Heimats- 
unterstützungswohnsitz in Geltung geblieben sind. Insbesondere ist aber für Bayern und 
für das Reichsland Elsaß-Lothringen in ihrem Verhältnisse zu den übrigen Staaten des 
Reiches auch §. 7 des Freizügigkeitsgesetzes v. 1. Nov. 1867, welcher für die übrigen 
Bundesstaaten durch §. 1 des Gesetzes v. 6. Juni 1870, über den Unterstützungswohn- 
sitz, aufgehoben ist, aufrecht erhalten worden, welcher bestimmt, daß, wenn in den im §. 5 
des Freizügigkeitsgesetzes bezeichneten Fällen verschtedene Bundesstaaten beteiligt sind, das 
Verfahren sich nach dem Gothaer Vertrage v. Juli 1851 wegen gegenseitiger Ver- 
pflichtung zur libernahme der kenserann semee nach den zur Ausführung dieses 
Vertrages getroffenen Verabredungen regelt. 3 
  
Reichstages v. 19. Iunni 1872 Stenogr. Ber. recht. Das zwischen Württemberg und Elsaß- 
des Neichstages 1872, Bd. II, S. 1146, Sp. 2). 1 Lothringen bestehende Verhältnis ist durch ein 
1 Vgl. S. 190. armenrechtliches Ubereinkommen v. 5. März 1897 
* B G. l. 1870, S. 360 ff. (A. Vl., S. 139,, das zwischen dem Reichs- 
3 Ebendas. S. 647. lande und Preußen durch ein solches v. 18. Nov. 
* R. G. Bl. 1871, S. 391. 1899 u. Erlaß d. preuß. Min. d. Inn. v. 15. Dez. 
Vgl. das Nähere hierüber unten im Armen-- 1890 „Reger, Entscheid., Bd. XX, S. 369) ge-
	        
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