Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Zweiter Band. (2)

Freiheit und Sicherheit der Person. (8. 57.) 195 
VII. Obgleich das Freizügigkeitsgesetz v. 1. Mai 1867 in §. 1 jedem Reichs- 
angehörigen das Recht gewährt hat, sich an jedem Orte des Bundesgebietes aufzuhalten 
oder niederzulassen, wo er eine eigene Wohnung oder ein Unterkommen sich zu verschaffen 
imstande ist, so stand doch der vollständigen Verwirklichung der hierdurch den Reichsan- 
gehörigen dargebotenen Vorteile noch das Hindernis entgegen, daß in einigen Teilen des 
Bundesgebietes durch die bestehende Gesetzgebung die Eheschließung von Reichsangehörigen 
aus polizeilichen Rücksichten ! erschwert war. Die Annahme eines festen Wohnsitzes, die 
Verheiratung und die mit letzterer verbundene Gründung eines eigenen Haushaltes bilden 
eine zusammenhängende Reihe von Akten, durch deren Gesamtheit der Einzelne erst die 
volle Grundlage seiner sozialen und sittlichen Existenz gewinnt, deren Vollziehung ihm 
daher ermöglicht werden muß, wenn das Recht der wirtschaftlichen Selbstbestimmung zur 
Wahrheit werden soll. Die persönliche Freizügigkeit entbehrt einen wesentlichen Teil 
ihres Wertes, wenn sie nicht in dem Rechte, an dem Orte der Niederlassung eine Ehe 
zu schließen, ihre vollständige Entwicklung und ihren Abschluß findet. Hiermit waren, 
so nahm man an, solche Vorschriften der Gesetzgebung unvereinbar, welche aus polizei- 
lichen Rücksichten das Recht, durch Eingehung einer Ehe eine Familie zu gründen, be- 
schränken. In den älteren Provinzen des Preußischen Staates, wie in dem Königreiche 
Sachsen, bestanden zwar solche Beschränkungen der Eheschließung nicht mehr; wohl aber 
war dies in anderen Teilen des Bundesgebietes, und insbesondere auch in den im Jahre 
1866 mit dem Pnreußischen Staate vereinigten Ländern und in den Hohenzolleruschen 
Landen, der Fall, und zwar beruhten die betreffenden Beschränkungen teils auf der Kom- 
munal= und Niederlassungsgesetzgebung, teils auf allgemeinen staatspolizeilichen Rück- 
sichten." Alle Erschwerungen und Hindernisse dieser Art hat nunmehr 
das Bundesgesetz v. 4. Mai 1868, über die Aufhebung der polizeilichen 
Beschränkungen der Eheschließungs, beseitigt.“ 
  
regelt. Über die grundsätzlich andere Ordnung v. 16. April 1868 (a. a. O., Bd. I, S. 94—112) 
des Armen- und Heimatswesens in Bayern vgl. u. v. 18. desselben Monats (a. a. O., S. *5123—129 
Seydel, Bayr. St. R., Bd. III, 90 ff., bes. 110 ff.; Vgl. über das Gesetz G. Meyer-Ausch ütz, Lehrb., 
Reger, Das bayr. Gesetz über Heimat, Verehee= S. 808, Verw. R., Bd. I., S. 124 ff. 
lichung und Aufenthalt v. 16. April 1868 in der “ Das für das Gebiet des Nordd. Bundes 
Fassung v. 30. Juli 180, 6. Aufl., 1902; Reger, ergangene G. v. 4. Mai 1868 hat demnächst auch 
Handausgabe des bayr. Gesetzes über die öff. Armen= Geltung erlangt für Baden und Südhessen zuf. 
u. Krankenpflege v. 29. April 1869 in der Fassung des Art. 80, Ziff. 1, Nr. 7 der mit Baden und 
der Bek. v. 30. Juli 1899, 5. Aufl., 1904; Kutzer, Hessen vereinbarten Bundesverfassung (B. G. 
Das bayr. Heimatrecht, 1904 (sostematisches Werk); Bl. 1870, S. 647), und für Württemberg zuf. 
Krech, Armenwesen in Bayern und Elsaß= des Art. 1 und Art. 2, Nr. 6 des Bündnisver- 
Lothringen im Handwörterbuch der Staatswissen= trages v. 25. Nov. 1870 (ebendas., S. 651 ff.). 
schaft, Bd. I, S. 1087 ff.; ogl. auch Wilden, Dagegen hat das Gesetz keine Geltung für Bayern, 
zur Ausdehnung des Reichsarmenrechts auf Elsaß= vielmehr ist in dem Schlußprotokolle v. 23. Nov. 
Lothringen, 1904. Z„ 1870 und dem Bündnisvertrage mit Bayern, 
1 Nämlich aus dem Grunde, um der Über= Ziff. I (B. G. Bl. 1871, S. 23) ausdrücklich 
völkerung, der Zunahme des Proletariats und festgestellt und anerkannt worden, daß, da das 
der Überbürdung der zur Armenpflege Verpflichteten Gesetzgebungsrecht des Reiches bezüglich der Hei- 
vorzubeugen. mats= und Niederlassungsverhältnisse sich auf das 
: Vgl. hierüber die Motive des Bundesgeselzes! Königreich Bayern nicht erstreckt, die Gesetzgebung 
v. 4. Mai 1333, über die Aufhebung der polizei des Reiches auch nicht zuständig sei, das Verehe- 
lichen Beschcänkungen der Egyeschliezung, in den lichungswesen in der bezeichneten Richtung der 
Stenogr. Ber. des Reichstages 1863, Bd. ll. poltzeilichen Einschränkungen mit verbindlicher 
Attenst. Ne. 15, S. 70, zumnm §F. 1 des Entw., Kraft für Bayern zu regeln, und daß also das für 
und den Komm. Ber. v. 2. April 1863 a. a. O., den Nordd. Bund erlassene G. v. 1. Mai 1868, 
Aktenst. Nr. 37, S. 105. — Uber das vormalige betr. die Aufhebung der polizeilichen Beschränkungen 
Königreich Hannover: Grefe, Hannovers Recht, der Eheschließung, nicht auf Bayern auszudehnen 
3. Aufl., Teil II, S§. 7 u. 3, S. 13 ff. und fir sei. Auch in dem Reichslande Elsaß-Lothringen 
das ehemalige Kurfürstentum He sen: Klauhold, hat das gedachte Gesetz keine Geltung erlangt. 
Kurhessisches Re hisbuh, §. 162, S. 97 ff. In Bayern kann der Eheschließung von seiten 
2 B. G. Bl. 133, S. 11). — Vgl. den Eut= der (Gemeinde aus folgenden Gründen wider. 
wurf des Gesetzes nebst Motiven in den Stenogr. sprochen werden: „1. wenn und solange gegen 
Ber. des Reichstages 1863, Bd7. II. Aktenst. den Munn oder die Braut wegen Verbrechens 
Nr. 15, S. 63 ff., den Komm. Ber. v. 2. April oder Vergehens öffentliche Klage erhoben ist: 
1333, ebendaf. Aktenst. Nr. 37, S. 100 ff., und 2. wenn der Mann oder die Braut wegen Ver 
die Plenarverhandl. darüber in den Sitzungen brechens oder Vergehens verurteilt worden ist und 
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