Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Zweiter Band. (2)

196 
Dasselbe bestimmt: 
Das Staatsbürgerrecht. 
C. 57.) 
a) Reichsangehörige bedürfen zur Eingehung einer Ehe oder zu der da- 
mit verbundenen Gründung eines eigenen Haushaltes weder des Besitzes, 
noch des Erwerbes einer Gemeindeangehörigkeit (Gemeindemitgliedschaft) 
oder des Einwohnerrechtes, noch der Genehmigung der Gemeinde (Guts- 
herrschaft) oder des Armenverbandes, noch einer obrigkeitlichen Erlaubnis. 
Insbesondere darf die Befugnis zur Verehelichung nicht beschränkt werden wegen Mangels 
eines bestimmten, die Großjährigkeit übersteigenden, Alters oder des Nachweises einer 
Wohnung, eines hinreichenden Vermögens oder Erwerbes, wegen erlittener Bestrafung, 
bösen Rufes, vorhandener oder zu befürchtender Verarmung, bezogener Unterstützung oder 
aus anderen polizeilichen Gründen. 
Auch darf von der ortsfremden Braut ein Zuzugs- 
geld oder eine sonstige Abgabe nicht erhoben werden 1 (F. 1). 
b) Die polizeilichen Beschränkungen der Befugnis zur Eheschließung, die in Ansehung der 
Ehen zwischen Juden und für die Angehörigen einzelner bürgerlicher Berufsstände bestehen, werden 
aufgehoben. Die Bestimmungen über die Genehmigung der Eheschließung der Militärpersonen?, 
  
sich weder über Abbüßung noch Nachlaß der 
Strafe auszuweisen vermag; 3. wenn der 
Mann oder die Braut zu einer Zuchthausstrafe 
oder wegen Verbrechens oder Vergehens gegen 
die Sittlichkeit oder wegen Raubes, Diebstahls, 
Unterschlagung, Betrugs, Hehlerei, Fälschung, 
Gaukelei zu einer Freiheitsstrafe von wenigstens 
vier Wochen verurteilt worden ist und seit Ab- 
büßung oder Nachlaß der Strafe drei Jahre noch 
nicht verflossen sind, sowie wenn der Mann 
oder die Braut innerhalb der unmittelbar vor- 
hergehenden drei Jahre mindestens dreimal wegen 
Arbeitsscheu, Landstreicherei oder Bettelns ver- 
urteilt worden ist; 4. wenn die Braut wegen 
gewerbsmäßiger Unzucht verurteilt worden ist und 
seit Abbüßung oder Nachlaß der Strafe drei Jahre 
noch nicht abgelaufen sind, sowie wenn die Braut 
innerhalb der unmittelbar vorhergehenden drei Jahre 
wegen gewerbsmäßiger Unzucht polizeilicher Aufsicht 
unterstellt war; 5. wenn der Mann innerhalb der 
unmittelbar vorhergehenden drei Jahre öffentliche 
Armenunterstützung beansprucht oder erhalten hat; 
6. wenn und solange der Mann oder die Braut 
sich mit den der Gemeindekasse oder Armenkasse 
der Heimatsgemeinde gegenüber obliegenden 
Leistungen im Rückstande befindet; 7. wenn und 
solange der Mann unter Vormundschaft steht 
oder das Entmündigungsverfahren gegen ihn 
eingeleitet, oder über sein Vermögen das Konkurs- 
verfahren eröffnet ist“. (Art. 32 des G. v. 16. April 
1868 in der Fassung v. 30. Juli 1899 des Ge- 
setzes über Heimat, Verehelichung und Aufenthalt.) 
Vgl. dazu Seydel, Bayr. St. R., Bd. III, S. 111, 
Bd. V, S. 186 ff.; Regers zit. Handausgabe, S. 
106 ff. Der Nichtwiderspruch der Gemeinde findet 
seinen Auedruck in dem Verehelichungszeugnis, 
das zur Cheschlieszung erforderlich ist; Ehen, die 
ohne solched abgeschlossen werden, sind zwar bürger- 
lich gültig, gewähren aber kein Heimats= und 
Armenrecht, Abs. 2 des Art. 31 d. G. v. 16. April 
1868; vgl. RNehm im Archiv für öff. Recht, 
Bd. VIII, S. 147 u. Cntsch. d. R. G. i. Strass., 
Bd. XXXII, S. 204; G. Meyer-Anschütz, 
Lehrb. (6), S. 808 f.; Verw. R., Ld. I, S. 121, N. 7. 
1 Daraus, daß der §. 1 des Geserzes alle darin 
erwähnten Veschränkungen der Befugnis zur Che- 
schließung für Neichsangehörige aufhebt, solgt von 
selbst die Beseitigung der an dieselben sich knüpfen- 
  
den pekuniären Lasten, namentlich also der Ge- 
bühren und Stempel für die Ausfertigung der 
obrigkeitlichen Genehmigung, die Verpflichtung 
der ortsfremden Braut, für den vorgeschriebenen 
Eintritt in die Heimatsgemeinde ihres künftigen 
Ehegatten eine Abgabe zu entrichten usw. (vgl. 
Motive zum §. 1 des Entwurfes, Stenogr. Ber. 
des Reichstages 1868, Bd. II. S. 70). Der 
zweite Satz des §. 1 des Gesetzes war in dem 
Entwurfe des Gesetzes nicht enthalten, son- 
dern ist auf den Antrag der Kommission des 
Reichstages hinzugefügt worden, jedoch mit der 
ausdrücklichen Verwahrung, daß aus der in dem- 
selben enthaltenen Spezialisierung der wesentlichsten 
und drückendsten polizeilichen Beschränkungen der 
Eheschließung nicht geschlossen werden dürfe, daß 
andere Beschränkungen ähnlicher Natur nach wie 
vor erlaubt seien, sondern daß vielmehr in Zu- 
kunft jede Vorschrift verboten sei, welche über- 
haupt den Charakter einer solchen polizeilichen Be- 
schränkung trage (vgl. Bericht der Kommission des 
Reichstages zum §. 1 des Entwurfes, a. a. O., 
S. 107). Die kurhessische Verordnung v. 22. Dez. 
1824, welche zugunsten der in dem Gebiete des vor- 
maligen Kurfürstentums Hessen bestehenden Land- 
krankenhäuser eine sogen. Trauungesteuer einge- 
führt und die Vollzichung der Eheschließung von 
der Entrichtung dieser Steuer abhängig gemacht 
hatte, wurde, als nicht im Einklange mit dem G. 
v. 4. Mai 1868 stehend, aufgehoben durch das G. 
v. 15. März 1869 (G. S. 1869, S. 113). 
* Dahin gehören z. B. die für die Gewerbe- 
gehilfen und Gesellen an manchen Orten be- 
standenen besonderen Eheverbote (vgl. Motive des 
Entwurfes, §. 2; Stenogr. Ber. des Reichstages 
1868, Bd. II, S. 70). 
3 Tie Militärpersenen des Friedensstandes, so- 
wie die vorläufig in die Heimat beurlaubten 
RNekruten und Freiwilligen, nicht dagegen die Per- 
sonen des Veurlaubtenstandes, bedürsen zu ihrer 
Verehelichung der Genchmigung der vorgesetzien 
Militärkehörde Reichomilitärgesetz v. 2. Mai 
1874, &. 40, 60, Ziff. 4, §. 61; R. G. Bl. 
1874, S. 56, 61; vgl. auch §. 15 des Reichs- 
gesettes v. 9. Nov. 1867, B. G. Bl. 1867, 
S. 135). Die Zivilbeamten der Militärverwal- 
tung ledürsen einer solchen Genehmigung nicht 
(ogl. Stenogr. Ver. des Reichstages 1874, Bd. II,
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.