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Dasselbe bestimmt:
Das Staatsbürgerrecht.
C. 57.)
a) Reichsangehörige bedürfen zur Eingehung einer Ehe oder zu der da-
mit verbundenen Gründung eines eigenen Haushaltes weder des Besitzes,
noch des Erwerbes einer Gemeindeangehörigkeit (Gemeindemitgliedschaft)
oder des Einwohnerrechtes, noch der Genehmigung der Gemeinde (Guts-
herrschaft) oder des Armenverbandes, noch einer obrigkeitlichen Erlaubnis.
Insbesondere darf die Befugnis zur Verehelichung nicht beschränkt werden wegen Mangels
eines bestimmten, die Großjährigkeit übersteigenden, Alters oder des Nachweises einer
Wohnung, eines hinreichenden Vermögens oder Erwerbes, wegen erlittener Bestrafung,
bösen Rufes, vorhandener oder zu befürchtender Verarmung, bezogener Unterstützung oder
aus anderen polizeilichen Gründen.
Auch darf von der ortsfremden Braut ein Zuzugs-
geld oder eine sonstige Abgabe nicht erhoben werden 1 (F. 1).
b) Die polizeilichen Beschränkungen der Befugnis zur Eheschließung, die in Ansehung der
Ehen zwischen Juden und für die Angehörigen einzelner bürgerlicher Berufsstände bestehen, werden
aufgehoben. Die Bestimmungen über die Genehmigung der Eheschließung der Militärpersonen?,
sich weder über Abbüßung noch Nachlaß der
Strafe auszuweisen vermag; 3. wenn der
Mann oder die Braut zu einer Zuchthausstrafe
oder wegen Verbrechens oder Vergehens gegen
die Sittlichkeit oder wegen Raubes, Diebstahls,
Unterschlagung, Betrugs, Hehlerei, Fälschung,
Gaukelei zu einer Freiheitsstrafe von wenigstens
vier Wochen verurteilt worden ist und seit Ab-
büßung oder Nachlaß der Strafe drei Jahre noch
nicht verflossen sind, sowie wenn der Mann
oder die Braut innerhalb der unmittelbar vor-
hergehenden drei Jahre mindestens dreimal wegen
Arbeitsscheu, Landstreicherei oder Bettelns ver-
urteilt worden ist; 4. wenn die Braut wegen
gewerbsmäßiger Unzucht verurteilt worden ist und
seit Abbüßung oder Nachlaß der Strafe drei Jahre
noch nicht abgelaufen sind, sowie wenn die Braut
innerhalb der unmittelbar vorhergehenden drei Jahre
wegen gewerbsmäßiger Unzucht polizeilicher Aufsicht
unterstellt war; 5. wenn der Mann innerhalb der
unmittelbar vorhergehenden drei Jahre öffentliche
Armenunterstützung beansprucht oder erhalten hat;
6. wenn und solange der Mann oder die Braut
sich mit den der Gemeindekasse oder Armenkasse
der Heimatsgemeinde gegenüber obliegenden
Leistungen im Rückstande befindet; 7. wenn und
solange der Mann unter Vormundschaft steht
oder das Entmündigungsverfahren gegen ihn
eingeleitet, oder über sein Vermögen das Konkurs-
verfahren eröffnet ist“. (Art. 32 des G. v. 16. April
1868 in der Fassung v. 30. Juli 1899 des Ge-
setzes über Heimat, Verehelichung und Aufenthalt.)
Vgl. dazu Seydel, Bayr. St. R., Bd. III, S. 111,
Bd. V, S. 186 ff.; Regers zit. Handausgabe, S.
106 ff. Der Nichtwiderspruch der Gemeinde findet
seinen Auedruck in dem Verehelichungszeugnis,
das zur Cheschlieszung erforderlich ist; Ehen, die
ohne solched abgeschlossen werden, sind zwar bürger-
lich gültig, gewähren aber kein Heimats= und
Armenrecht, Abs. 2 des Art. 31 d. G. v. 16. April
1868; vgl. RNehm im Archiv für öff. Recht,
Bd. VIII, S. 147 u. Cntsch. d. R. G. i. Strass.,
Bd. XXXII, S. 204; G. Meyer-Anschütz,
Lehrb. (6), S. 808 f.; Verw. R., Ld. I, S. 121, N. 7.
1 Daraus, daß der §. 1 des Geserzes alle darin
erwähnten Veschränkungen der Befugnis zur Che-
schließung für Neichsangehörige aufhebt, solgt von
selbst die Beseitigung der an dieselben sich knüpfen-
den pekuniären Lasten, namentlich also der Ge-
bühren und Stempel für die Ausfertigung der
obrigkeitlichen Genehmigung, die Verpflichtung
der ortsfremden Braut, für den vorgeschriebenen
Eintritt in die Heimatsgemeinde ihres künftigen
Ehegatten eine Abgabe zu entrichten usw. (vgl.
Motive zum §. 1 des Entwurfes, Stenogr. Ber.
des Reichstages 1868, Bd. II. S. 70). Der
zweite Satz des §. 1 des Gesetzes war in dem
Entwurfe des Gesetzes nicht enthalten, son-
dern ist auf den Antrag der Kommission des
Reichstages hinzugefügt worden, jedoch mit der
ausdrücklichen Verwahrung, daß aus der in dem-
selben enthaltenen Spezialisierung der wesentlichsten
und drückendsten polizeilichen Beschränkungen der
Eheschließung nicht geschlossen werden dürfe, daß
andere Beschränkungen ähnlicher Natur nach wie
vor erlaubt seien, sondern daß vielmehr in Zu-
kunft jede Vorschrift verboten sei, welche über-
haupt den Charakter einer solchen polizeilichen Be-
schränkung trage (vgl. Bericht der Kommission des
Reichstages zum §. 1 des Entwurfes, a. a. O.,
S. 107). Die kurhessische Verordnung v. 22. Dez.
1824, welche zugunsten der in dem Gebiete des vor-
maligen Kurfürstentums Hessen bestehenden Land-
krankenhäuser eine sogen. Trauungesteuer einge-
führt und die Vollzichung der Eheschließung von
der Entrichtung dieser Steuer abhängig gemacht
hatte, wurde, als nicht im Einklange mit dem G.
v. 4. Mai 1868 stehend, aufgehoben durch das G.
v. 15. März 1869 (G. S. 1869, S. 113).
* Dahin gehören z. B. die für die Gewerbe-
gehilfen und Gesellen an manchen Orten be-
standenen besonderen Eheverbote (vgl. Motive des
Entwurfes, §. 2; Stenogr. Ber. des Reichstages
1868, Bd. II, S. 70).
3 Tie Militärpersenen des Friedensstandes, so-
wie die vorläufig in die Heimat beurlaubten
RNekruten und Freiwilligen, nicht dagegen die Per-
sonen des Veurlaubtenstandes, bedürsen zu ihrer
Verehelichung der Genchmigung der vorgesetzien
Militärkehörde Reichomilitärgesetz v. 2. Mai
1874, &. 40, 60, Ziff. 4, §. 61; R. G. Bl.
1874, S. 56, 61; vgl. auch §. 15 des Reichs-
gesettes v. 9. Nov. 1867, B. G. Bl. 1867,
S. 135). Die Zivilbeamten der Militärverwal-
tung ledürsen einer solchen Genehmigung nicht
(ogl. Stenogr. Ver. des Reichstages 1874, Bd. II,