Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Zweiter Band. (2)

204 Das Staatsbürgerrecht. (8. 58.) 
sofern gemacht, als durch spezielle Vorschriften Befähigungsnachweise oder Konzessionen 
vorgeschrieben worden sind.. Da nun der Art. 4 der Verfassungsurkunde ausspricht, „daß 
auch die öffentlichen Ämter, unter Einhaltung der von dem Gesetze festgestellten Be— 
dingungen, für alle dazu Befähigten gleich zugänglich sein sollen“, und der Art. 12 der 
Verfassungsurkunde den Genuß der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte für unab- 
hängig von dem religiösen Bekenntnisse erklärt, so ist grundsätzlich die Freiheit aller 
Staatsbürger, sich jeder im Rahmen der Rechtsordnung zulässigen Beschäftigung zu 
widmen, ganz unbeschränkt. 1 Insbesondere sind auch die nach der früheren Gesetzgebung 
bestandenen Beschränkungen der Juden im Gewerbebetriebe und Handel weggefallen, was 
bezüglich derjenigen Juden, welche Reichsangehörige sind, auch durch die Bestimmung des 
Abs. 3 des §. 1 des Freizügigkeitsgesetzes noch speziell ausgesprochen und durch das 
Reichsgesetz v. 3. Juli 1869 betreffend die Gleichberechtigung der Konfessionen in bürger- 
licher und staatsbürgerlicher Beziehung wiederholt bestätigt worden ist. — Ganz von 
selbst versteht sich indes, daß jeder Staatsbürger bei der freien Wahl des Lebensberufes 
oder des Gewerbes denjenigen Bedingungen unterworfen bleibt, welche für die verschiedenen 
Berufsarten oder Gewerbe durch die darauf bezügliche Spezialgesetzgebung vorgeschrieben 
sind. Insbesondere aber sind diejenigen Beschränkungen, welche das Staatsdienstverhältnis 
in dieser Beziehung auferlegt, eine Folge des letzteren und ohne Einfluß auf den Grundsatz. 
8. 58. 
Freiheit und Sicherheit des Eigentums. 
I. Freiheit für Erwerb und Besitz von Eigentum. 
I. Jeder Staatsbürger ist fähig, Eigentum und Vermögen jeglicher Art, auch 
Grundeigentum, zu erwerben und zu besitzen, insofern nicht durch die Gesetze Ein- 
schränkungen dieses Rechtes besonders angeordnet sind. Insbesondere hat auch der 
  
1 In bezug auf den Eintritt eines Preußen 
in „fremde Staatsdienste“ bestimmte §. 24 des 
Gesetzes v. 31. Dez. 1842 über die Erwerbung 
und den Verlust der Eigenschaft als preuß. Unter- 
tan usw. (G. S. 1843, S. 15), daß der Ein- 
tritt eines Untertans in fremde Staatsdienste erst 
nach erfolgter Entlassung desselben aus dem 
preußischen Untertanenverhältnisse zulässig sein soll, 
und der §. 26 setzt fest, daß, wer mit Verletzung 
dieser Vorschrift in fremde Staatsdienste tritt, nach 
den darllber bestehenden Gesetzen bestraft werden 
soll. Allein diese Bestimmungen sind als obsolet 
zu erachten, da das Reichsstrafgesetzbuch (S. 140 
u. §. 360, Nr. 3) nur die unerlaubte Aus- 
wanderung Militärpflichtiger, Reservisten und 
Wehrmänner mit Strafe bedroht, und die Straf- 
vorschrift des A. L. R., Teil II, Tit. 17, §. 139 
(nach dem Grundsatze des Art. II des Einfüh- 
rungsgesetzes zum preußischen Strafgesetzbuche, 
bezw. des §. 2 des Einführungsgesetzes zum 
Reichsstrafgesetzbuche) für aufgehoben zu erachten 
ist. Das Reichsgesetz v. 1. Juni 1870 über die 
Erwerbung und den Verlust der Reichs= und 
Staatsangehörigkeit (B. G. Bl. 1870, S. 355 ff.) 
hat (§. 22) nur vorgeschrieben, daß, wenn ein 
Deutscher ohne Erlaubnis seiner Regierung in 
fremde Staatodienste tritt, die Zentralbehörde seines 
Heimatsstaater berechtigt sein soll, ihn seiner 
Staatsangehörigkeit verlustig zu erklären, wenn 
er einer ausdrücklichen Aufforderung zum Aus- 
tritte binnen der darin bestimmten Frist keine 
  
Folge leistet, woraus sich ergibt, daß ihm seine 
Staatsangehörigkeit verbleibt, wenn er mit Er- 
laubnis seiner Regierung bei einer fremden Macht 
dient (vgl. hierüber Bd. I, S. 627). Dagegen ver- 
steht es sich von selbst, daß Staatsbeamte alle- 
mal eines förmlichen Abschiedes bedürfen, wenn 
sie aus dem preußischen Staatsdienste in den 
Dienst eines fremden Staates treten wollen (I. 
L. R., Teil II, Tit. 10, §§. 94—97), und daß 
sie durch willkürliche Verlassung des Amtes die 
Strafe der Dienstentlassung nach Vorschrift der 
Disziplinargesetze v. 7. Mai 1851, §. 8, und 
v. 21. Juli 1852, §. 9 (G. S. 1851, S. 218, 
und 1352, S. 465) verwirken. 
à Dieser Grundsatz, welcher in der Verf. Urk. 
nicht ausdrücklich ausgesprochen worden ist, findet 
sich im A. L. R., Teil I, Tit. 8, §. 6: „Ein jeder, 
den die Gesetze nicht besonders ausschließen, kann 
durch sich selbst oder durch andere Eigentum er- 
werben.“ — Indirekt hatte Art. 42 der Verf. 
Urk. vor dessen Abänderung durch das G. v. 
14. April 1356 in bezug auf Grundeigentum den 
Grundsatz ausgesprochen, indem derselbe bestimmte: 
„Das Recht der freien Verfügung über das Grund- 
eigentum unterliegt keinen anderen Beschränkungen, 
als denen der Gesetzgebunz“, und: „Für die tote 
Hund sind Beschränkungen des Rechts, Liegenschaften 
zu erwerben und über sie zu verfügen, zulässig.“ 
Der jetzige Art. 42 enthält diese — selbstverständ- 
lichen — Sätze nicht mehr. Uber die „tote Hand“ 
s. Richter-Dove-Kahl, Kirchenr., S. 1282.
	        
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