[Freiheit und Sicherheit des Eigentums. (§. 58.) 205
Art. 10 der Verfassungsurkunde ausdrücklich ausgesprochen, daß die Strafe des „bürger-
lichen Todes“"1 nicht stattfindet. Die Einschränkungen aber, welche in betreff des Rechtes
des freien Erwerbes und Besitzes von Grundeigentum in der früheren Gesetzgebung be-
gründet waren, sind zum größten Teil aufgehoben worden 2, die noch bestehenden 3 be-
ziehen sich meist auf gewisse Beamtenverhältnisse. Die Vorschriften über Erwerb und
Besitz von Eigentum enthält das Privatrecht; das öffentliche Recht ist daran nur in
gerin gem Umfang beteiligt.“
1. Die wichtigste Beschränkung dieser Art bestand früher hinsichtlich der sogen.
adligen Güter, zu deren Besitz nur der Adel berechtigt war (A. L. R., II, 9, §. 37),
wogegen Personen bürgerlicher Herkunft dazu besonderer landesherrlicher Erlaubnis be-
durften (§. 51 a. a. O.)."“ Andererseits bestanden auch wieder gesetzliche Beschränkungen
bezüglich der Erwerbung bäuerlicher Grundstücke seitens der Gutsherrschaften (A. L. R.,
II, 7, §§. 14 und 15) und bezüglich der Erwerbung und Zusammenziehung städtischer
Grundstücke (A. L. R., II, 8, §§. 78—85). Diese Beschränkungen sind indes durch
den §. 1 des Edikts v. 9. Okt. 1807 5 vollständig beseitigt und die völlige Freiheit
des Güterverkehrs hergestellt worden. 5
1 Die Strafe des „bürgerlichen Todes“ hatte
den Verlust der Rechtsfähigkeit zur Folge und er-
schien als die aufs höchste gesteigerte Ehrlosigkeit.
Der Code pénal (Art. 18) erklärt diese Strafe
als mit der Verurteilung zulebenswieriger Zwangs-
arbeit und zur Deportation verbunden. Das
preußische Strafgesetzbuch v. 14. April 1851 hat
sie nicht aufgenommen, sondern Art. 10 der Verf.
Urk. hat sie staatsgrundgesetzlich für immer ab-
geschafft. Auf dem gleichen Standpunkte steht das
R. Str. G. B. Über die Motive vgl. die Mit-
teilungen in Goltdammers Materialien zum
Strafgesetzbuch, Bd. I, S. 116—121.
* Eine Ausnahme von der allgemeinen Er-
werbsfähigkeit aller Staatsbürger besteht in betreff
der Mönche und Nonnen, welche das Kloster-
gelübde als votum solenne abgelegt haben. Diese
werden nach preußischem Landrecht — in Modi-
fikation der allgemeinen Vorschriften des Kirchen-
rechtes — in Ansehung aller weltlichen Geschäfte
als verstorben angesehen; sie sind unfähig, Eigen-
tum oder andere Rechte zu erwerben, zu besitzen
oder darüber zu verfügen, und bei Erb= und
anderen Anfällen werden sie als gar nicht vor-
handen erachtet (A. L. R., Teil II, Tit. 11,
§§. 1199—1204). Diese Ausnahme, welche be-
zweckt, zu verhindern, daß Mönche und Nonnen
Erbschaften erwerben und dadurch auf ihr Kloster
bringen können (vgl. Suarez, Revisorenbe--
merkungen in v. Kamptz, Jahrbuch, Bd. LI,
S. 130), ist durch die Verf. Urk. keineswegs auf-
gehoben; denn die Bestimmung des Art. 10 der-
selben: „der bürgerliche Tod findet nicht statt“,
hebt den „bürgerlichen Tod“ nur als Strafmittel
auf und berührt nicht die Folgen des Kloster-
gelübdes. Dies hat auch das Ob. Trib. in dem
Erk. v. . Febr. 1861 (Stiiethorsts Archiv,
Bd. X, 228) angenommen. Vgl. auch über
die fortbestrhende Geltung der §§. 1199— 1201,
A. L. R., Teil 1I, Tit. 11, v. Rönnes Er-
gänzungen und Erläuterungen des A. L. R.,
6. Ausgabe, Bd. IV, S. 230 (zu den 8§. 1199 ff.
a. a. LO.). Vgl. Richter-Dove-Kahl, Kirchenr.,
S. 1076, und die dort zitierte Literatur. Ferner
Schwartz, Verf. Urk., S. 72. Nach franz. Recht
hat die Ablegung des votum solenne überhaupt
keine zivilrechtlichen Wirkungen. Das Einführungs-
gesetz zum B. G. B. behält für diesen Punkt im
Art. 87 die landesrechtlichen Vorschriften vor; s.
dazu Posener, Reichs= und Landesrecht, S. 102.
3 Von den gesetzlich bestehenden Beschränkungen
in betreff des Eigentumserwerbes gewisser juristischer
Personen und Korporationen handelt es sich hier
nicht. Hier bestehen für Erwerb wie Veräuße-
rung mehrfache Beschränkungen, deren Darstellung
jedoch nicht in diesen Zusammenhang gehört.
“ Vgl. über die rechtshistorische Entwicklung
dieses Satzes E. Meier, Reform der preußischen
Verwaltung, S. 116 ff.
5 Der Abs. 1 dieses Paragraphen bestimmt:
„Jeder Einwohner Unserer Staaten ist
ohne alle Einschränkung in Beziehung auf
den Staat zum eigentümlichen und Pfand-
besitz unbeweglicher Grundstücke aller
Art berechtigt; der Edelmann also zum Be-
sitze nicht bloß adliger, sondern auch unadliger,
bürgerlicher oder bäuerlicher Güter aller Art, und
der Bürger und Bauer zum Besitze nicht bloß
bürgerlicher, bäuerlicher und anderer unadliger,
sondern auch adliger Grundstücke, ohne daß der
eine oder der andere zu irgend einem Güterer-
werb einer besonderen Erlaubnis bedarf, wenn-
gleich nach wie vor jede Besitzveränderung den
Behörden angezeigt werden muß. Alle Vorzüge,
welche bei Gütererbschaften der adlige vor dem
bürgerlichen Erben hatte und die bisher durch den
persönlichen Stand des Besitzers begründete Ein-
schränkung und Suepension gewisser gutsherrlicher
Rechte fallen gänzlich weg“ (G. S. 1807, S. 171).
s In Gemäßheit dieses Gesetzes ist durch die
Kab. O. v. 7. Febr. 1845 (G. S. 1845, S. 96)
auch in den ehemals königlich sächsischen Landes-
teilen die Anordnung, das Personen bäuer-
lichen Standes weder Lehnrittergüter erwerben,
noch Mitbelehnschaft daran erlangen können, außer
Kraft gesetzt worden. — Uber die nach dem Edikt
v. 9. Okt. 1807 (§§. 6 u. 7) noch bestehen ge-
bliebenen Einschränkungen in bezug auf Einziehung
und Zusammenschlagung der Bauergüter und die
Bedeutung dieser Vorschriften in Verbindung mit
dem §. 77 des Ablösungegesetzes v. 2. März 1850
vgl. Lette und v. Rönne, Landeskulturgesetz-
gebung des Preußischen Staates, Bd. II, Abt. I,
S. 43—47 ff.