210 Das Staatsbürgerrecht. (§. 58.)
und die Regulierung der gutsherrlich-bäuerlichen Lasten verlangen. Auch die Verwaltungs-
behörden befolgten bis zum Jahre 1852 die Ansicht, daß die in Rede stehenden früheren
Spezialgesetze durch die gedachten Bestimmungen der Verfassungsurkunde aufgehoben seien.
Diese Ansicht wurde indes durch das auf einem Beschlusse des Staatsministeriums be-
ruhende Reskript des Ministers des Innern v. 11. Juni 1852 : verworfen, welches
ausführt, daß die Befreiung der Mennoniten von der Wehrpflicht auf einem Spezial=
privilegium beruhe, welches weder durch das Gesetz v. 3. Sept. 1814 über die Ver-
pflichtung zum Kriegsdienste, noch durch die erwähnten Bestimmungen der Verfassungs-
urkunde berührt werde. Die Beschränkung im Erwerbe von Grundeigentum hänge mit
dem Privilegium der Befreiung von der Wehrpflicht zusammen, und die Mennonitensteuer
müsse so lange forterhoben werden, bis ein besonderes Gesetz sie aufhebe. Die bisherigen
Gesetze hinsichtlich der Mennoniten seien daher nach wie vor zur Anwendung zu bringen, und
diejenigen Mennoniten, welche im Widerspruche mit denselben seit dem Jahre 1848 durch Kauf,
Tausch, auf Grund des Ablösungsgesetzes v. 2. März 1850, oder auf irgend einc andere
Weise das Eigentum an sogen. nicht mennonitischen Grundstücken erworben haben oder
künftig erwerben sollten, seien aufzufordern, entweder sich der Militärpflicht zu unterwerfen,
oder sich des Eigentums an den erwähnten Grundstücken wieder zu entäußern, was die
Regierungen überwachen sollten. Das Reskript des Ministers des Innern v. 2. Jan.
1854 8 sprach sich in gleichem Sinne aus, indem dasselbe bestimmte, daß diejenigen
Mennoniten, welche der Militärpflicht nicht genügen, auch den mit Rücksicht hierauf fest-
gesetzten Beschränkungen und Lasten unterworfen bleiben, während umgekehrt Mennoniten,
welche die Wehrpflicht leisten, schon nach den Spezialgesetzen über die Verhältnisse der
Mennoniten auch von den gedachten Beschränkungen und Lasten befreit bleiben. Indes
traf das letztgedachte Reskript die Abänderung, daß früher nur emphyteutisch im Besitze
der Mennoniten befindlich gewesene Grundstücke im Besitze derselben, unbeschadet ihrer
Militärfreiheit, verbleiben können." Bei den wiederholt im Abgcordnetenhause statt-
gefundenen Verhandlungen über das Verhältnis der in Rede stehenden Bestimmungen
der Verfassungsurkunde zu den Spezialgesetzen über die Rechtsverhältnisse der Mennoniten
wurde die Notwendigkeit anerkannt, diese Rechtsverhältnisse anderweitig durch ein mit
den Grundsätzen der Verfassungsurkunde im Einklange stehendes Gesetz zu regeln. “
1 Vgl. das Erk. des Rev.-Kolleg. für Landes= aller Preußen ausgesprochen habe, so folge hieraus,
kulturs. v. 6. Aug. 1851, in der Zeitschr. des und aus dem Schlußsat des Art. 12, daß auch
Rev.-Kolleg., Bd. IV. S. 339. alle Mennoniten verpflichtet seien, sich der Er-
:M. Bl. d. i. Verw. 1852, S. 161. füllung der Militärpflicht zu unterziehen, wo-
M. Bl. d. i. Verw. 1854, S. 9. gegen dann aber die bioher für die Befreiung
“ Ganz entgegengesetzte Grundsätze hatte da= hiervon erhobene Mennonitensteuer wegfallen
gegen der gröstere Teil der Gerichte beobachtet. müsse. Dies erkannte auch der (damalige) Min.
Insbesondere hatte das Appellationsgericht zu d. Inn. v. Manteuffel in der Sitzung der
Marienwerder, in dessen Bezirke der Hauptteil der II. Kammer v. 19. Febr. 1850 (Stenogr. Ber.
mennonitischen Bevölkerung wohnt, ungeachtet der 1819—50, Bd. V. S. 2909) als richtig an, und
wiederholt versuchten Belehrung des Justizministers, das Plenum der II. Kammer genehmigte dann
die Ansicht festgehalten, daß die früheren Be= zwar nicht den Antrag der Kommission, sprach
schränkungen der Mennoniten hinsichtlich des Er= jedoch die Erwartung aus, daß die Staateregierung
werbes von Grundstücken infolge der Verfassung einen Gesetzentwurf zur Regelung des Gegen-
aufgehoben seien, und daher die Gerichte zur Be= standes einbringen werde. In der Session von
richtigung der Besitztitel auf Mennoniten auch 1851 wurde von dem Finanzminister bei Beratung
an früher nicht mennonitischem Eigentum an der Mennonitensteuer die baldige Vorlage eines
gewiesen (vugl. den Bericht der Justizkommission diese Abgabe aufhebenden Gesetzes zugesichert (val.
des Abg. H. v. 10. Mai 1861 in den Stenogr. Stenogr. Ber. des Abg. H. 1850—51, Rd. I,
Ber. 1861, Bd. VII, S. 1515, und Drucks. 1861, S. 180,, und ebenso in der Session von 1852,
Nr. 215). Vgl. auch das Erk. des Rev. Kolleg. wogegen in der Session von 1853 seitens der
für Landeskulturs. v. 6. Aug. 1851 (Zeitschr, des! Staateregierung erklärt wurde, „daß das Privi
Rev.-Kolleg., Bd. 1V, S. 399). legium der Mennoniten hinsichtlich der Militär=
5 Schon im Jahre 1850 beantragte die Finanz= freiheit durch die Verfassung nicht alteriert sei,
und Budgetkommission der II. Kammer in dem daß aber diejenigen Mennoniten, welche sich über
Berichte v. 14. Febr. 18510), die Mennonitensteuer die mit diesem Privilegium zusammenhängende
von der Einnahme abzusetzen, weil keine militär-= Beschränkung im Erwerbe von Grundstücken hin-
freien Mennoniten mehr existierten. Da näm= wegsetzen, zum Militärdienste heranzuziehen seien“.
lich der Art. 34 der Verf. Urk. die Wehrpflicht Im Jahre 1859 wurde eine wiederum die verfas-