Freiheit und Sicherheit des Eigentums. 211
(§. 58.)
Das Reichsgesetz v. 9. Nov. 1867 betreffend die Verpflichtung zum Kriegsdienste 1 hat
nunmehr die Befreiung der Mitglieder der Mennoniten= und Qukerfamilien von der
Allgemeinen Wehrpflicht definitiv beseitigt, indem der §. 1 desselben dieser Ausnahme
von dem Grundsatze der Wehrpflicht aller Deutschen nicht gedenkt.? Infolgedessen und
unter Bezugnahme hierauf bestimmte nunmehr die Kabinettsorder v. 3. März 18683,
daß die Mitglieder der älteren Mennonitenfamilien, wenn sie sich nicht freiwillig zum
Waffendienste bereit erklären, zur Genügung ihrer Militärdienstpflicht als Nichtkombattanten“
auszuheben seien, und die beiden Zirkularreskripte des Ministeriums des Innern vom
5. Mai 1868? sprachen sodann aus, daß die durch das Bundesgesetz v. 9. Nov. 1867
erfolgte Aufhebung der bisherigen Befreiung der Mennoniten von der persönlichen Er-
füllung der Wehrpflicht, deren Ausführung durch die Kabinettsorder v. 3. März 1868
näher geordnet worden war, in notwendiger Folge den Wegfall derjenigen besonderen Zah-
lungen und der Beschränkungen im Genusse der bürgerlichen Rechte, welche den Menno-
niten lediglich als Ersatz für die gewährte Exemtion von der Wehrpflicht durch die
Verordnungen über die Rechtsverhältnisse der Mennoniten auferlegt waren, bedinge. Die
Staatsregierung hatte die Ansicht gewonnen, daß der Wegfall jener Zahlungen und Be-
sungsmäßige Regelung der Verhältnisse der Menno-
niten anregende Petition der Staatsregierung zur
Berücksichtigung überwiesen (vgl. Stenogr. Ber.
des Abg. H. 1859, S. 670 ff.). In der Session
von 1861 beantragte der Abgeordnete Lietz die
Annahme eines Gesetzentwurfes, betr. die Regu-
lierung der Verhältnisse der Mennoniten (Stenogr.
Ber. des Abg. H. 1861, Bd. IV, Anl. Nr. 12,
S. 142, u. Drucks., Bd. J, Nr. 17), über welchen
die Justizkommission unterm 10. Mai 1861
(Stenogr. Ber. 1861, Bd. VII, Anl. Nr. 194,
S. 2512 ff., u. Drucks. 1861, Bd. VII, Nr. 215)
ausführlich berichtet hat. Ihr Antrag, „den Ge-
setzentwurf der Regierung mit der wiederholten
Aufforderung zu überweisen, ein die Verhältnisse
der Mennoniten in Ausführung der Bestimmungen
der Verf. Urk., mit ausdrücklicher Aufhebung der
früheren Spezialgesetze, regelndes Gesetz bald-
möglichst der Landesvertretung vorzulegen“, ist
von dem Abg. H. in der 63. Sitzung v. 4. Juni
1861 (Stenogr. Ber. 1861, Bd. III, S. 1611—18)
zum Beschlusse erhoben worden. Hierbei hat auch
die Staatsregierung die Notwendigkeit des Er-
lasses eines Gesetzes zur Regelung der Verhält-
nisse der Mennoniten ausdrücklich anerkannt, zu-
leich aber auf die Schwierigkeit der Lösung der
Hrag- hingewiesen. Abgesehen von der Frage,
ob das Gesetz nicht auch die Verhältnisse der
Quäker und Philipponen zu regeln habe, sei
einerseits die den Mennoniten möglichst zu ge-
währende Toleranz und das Interesse der Landes-
kultur gegenüber der zu befürchtenden Auswande-
rung, andererseits die allgemeine Wehrpflicht zu
wahren. — In der Session von 1862 legte der
Abgeordnete Lietz den früher von ihm einge-
brachten Gesetzentwurf abermals vor (Drucks. des
Abg. H. 1862, VI. Legislaturperiode, Bd. II, Nr. 72,
u. Stenogr. Ber. 1862, Bd. II, S. 395, Anl.
Nr. 65); der Gegenstand gelangte jedoch wegen
der Auflösung des Abg. H. nicht zur Beratung.
1 B. G. Bl. 1867, S. 131.
2 Der von der Bundesregierung vorgelegte
Entwurf des Gesetzes über die Verpflichtung zum
Kriegsdienste enthielt im §. 1 eine Bestimmung,
welche zugunsten der bisher berechtigten Men-
noniten-- und Quäkerfamilien eine solche Aus-
nahme gestatten wollte (vgl. Stenogr. Ber. des
Nordd. Reichstags 1867, Bd. II, Aktenst. Nr. 18,
S. 53, u. Motive, S. 55), und die Kommission
zur Vorberatung des Entwurfs beantragte auch
in dem Berichte v. 12. Okt. 1867 die Annahme
dieser Bestimmung (vgl. ebendas. Aktenst. Nr. 96,
S. 157); allein das Plenum des Reichstags be-
schloß in der Sitzung v. 18. Okt. 1867 die
Streichung der vorgeschlagenen Ausnahme (a. a. O.,
Bd. I, S. 474). Hie Altesten der Mennoniten
in der Provinz Preußen haben im Jahre 1868 bei
dem H. H. petitioniert, „dahin zu wirken, daß das
Reichswehrgesetz v. 9. Nov. 1867, insoweit es
die Mennoniten betrifft, nicht zur Ausführung
komme, und die Gewissensfreiheit der Mennoni-
ten durch Befreiung vom Militärdienste auch
ferner gewahrt werde“, und das H. H. hat beschlossen,
diesen Antrag der Staatsregierung zur Berück-
sichtigung zu überweisen (vgl. Stenogr. Ber. des
H. H. 1867—68, Anl. Bd. S. 359, Aktenst. Nr.
105 zu 4, und Sitzung v. 22. Febr. 1868 in
den Stenogr. Ber. des H. H. 1867—68, Bd. I,
S. 222— 227), obgleich von seiten der Staats-
regierung (a. a. O., S. 222—223) erklärt wurde,
daß es ihr unmöglich sei, dahin zu wirken, daß
das Bundesgesetz nicht zur Ausführung komme.
Im Jahre 1869 haben demnächst die Altesten und
Mitglieder der Mennonitengemeinden in Ost= und
Westpreußen eine Petition an den Reichstag des
Nordd. Bundes gerichtet, worin sie die Wieder-
herstellung der ihnen früher zugestandenen Wehr-
freiheit bcantragen. Auf den Antrag der Petitions-
kommission des Reichstags in deren Ber. v.
25. April 1869 (Stenogr. Ber. 1869, Aktenst.
Nr. 34 zu D, S. 466) beschloß indes der Reichs-
tag (in der Sitzung v. 2. Juni 1869, Stenogr.
Ber. 1869, S. 1231 ff.), über die Petition zur
Tagesordnung überzugehen. Vgl. den hierdurch
für erledigt erachteten Verbesserungsantrag des
Abgeordneten v. Brauchitsch in den Stenogr.
Ber. des Reichstags 1869, Aktenst. Nr. 201,
S. 644.
3 M. Bl. d. i. Verw. 1868, S. 147.
4 Nämlich als Krankenwärter für die Laza-
rette, oder als Schreiber usw. für die Landwehr-
bezirkskommandos, sowie als Okonomiehandwerker
und als Trainfahrer.
* M. Bl. d. i. Verw. 1868, S. 150 u. 151.
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