14 Das Staatsbürgerrecht. (8. 50.)
würde nach Art. 14 gefolgert werden müssen, daß alle Eide nach christlichem Ritus ge-
schworen werden müßten; es sei aber gerade das Gegenteil der Fall, da der Schwörende
die Bekräftigungsformel seiner Religion beziehungsweise Konfession anzuwenden hat.
Nur aus einem Bedürfnisse des Staates sei der Eid hervorgegangen und nur den
Zwecken des Staates solle er dienen. Es hieße also nur die Kirche vorschieben, wollte
man den Eid als eine mit der Religionsübung im Zusammenhange stehende Einrichtung
ausgeben. Wenn er das aber nicht sei, dann sei auch die Eidesabnahme, die Tätigkeit
des Richters bei der Eidesleistung, eine solche um so weniger. Auch die Behauptung,
daß Juden zur Abnahme eines christlichen Eides nicht befähigt seien, beruhe auf einer
„Begriffsverwirrung“. Die Gesetze bestimmten nicht, daß der Richter, der einen christ-
lichen Eid abnimmt, der christlichen Religion angehören müsse; ein von einem jüddischen
Richter abgenommener christlicher Eid würde unzweifelhaft gültig sein. Nur die Kennt-
nis der Vorschriften über die bei Abnahme von Eiden zu beobachtenden Förmlichkeiten
sei erforderlich, um jemanden zu ihrer Anwendung zu befähigen. Die Bedenken gegen
Abnahme christlicher Eide durch Juden beruhten also lediglich auf der Anschauung, daß
solche nicht angemessen sei und das christliche Gefühl verletze; allein daraus folge
keineswegs die Unfähigkeit des Juden zu der Abnahme des Eides, und es könne da-
durch also auch die Anwendbarkeit des Art. 4 nicht ausgeschlossen werden. — Die
Behauptung, daß der Eid eine mit der Religionsübung im Zusammenhange stehende
Handlung sei, ist nach Ansicht v. Rönnes (4. Aufl., Bd. II. S. 272) für begründet
nicht zu erachten. „Wenn“, so wird dort ausgeführt, „in dem Art. 14 von Religions-
übung ## die Rede ist, so kann darunter nur die Erfüllung einer religiösen Pflicht aus
religiösen Gründen (z. B. ein Gottesdienst, eine häusliche Andacht usw.) verstanden werden;
der Eid aber wird nicht geschworen, um einer religiösen Pflicht zu genügen, sondern er
ist nur ein Mittel, um die weltliche Ordnung zu unterstützen. Das Mittel ist aller-
dings einer höheren Sphäre, der Religion, entnommen; allein es ist der Eid niemals
eine vreligiöse Ubunge. Der Richter, welcher den Eid abnimmt, ist dabei nur eine
Urkundsperson und ein Assistent; er hat nur die Verwarnung zu erteilen und dann die
Eidesworte vorzusprechen, und es ist nicht gesetzlich vorgeschrieben, daß er ein Christ
sein müsse“. 1 Die Richtigkeit dieser Auffassung ist in grundsätzlicher Beziehung zweifel-
haft.: Allerdings ist der Eid, insbesondere der gerichtliche Eid, eine Rechtsvorschrift der
Staatsgesetzgebung und diese ist interkonfessionell. Der Eid selbst aber ist seiner
Natur nach eine religiöse, folglich konfessionelle Handlung. Er bileibt dies
selbst dann, wenn die Formel wie durch die jetzige französische Gesetzgebung auf die Worte:
„ich schwöre“ eingeschränkt wird. Die Reichsinstizgesetze haben die Formel: „so wahr
mir Gott helfe“ (Z. P. O. §. 481, St. P. O. S. 62) ohne konfessionellen Zusatz.
Neuerdings ist die Forderung konfessioneller Eidesformeln und der Abnahme des Eides
durch christliche Richter vielfach erhoben worden, auch von der evangelischen General-
synode der alten Provinzen der preußischen Monarchie und die Beifügung konfessioneller
Zusätze zur Schwurformel mehrfach gestattet worden, so insbesondere in der Militärstraf-
gerichtsordnung v. 1. Dez. 1898 (R. G. Bl. 1189). Der Reichszjustizgesetzgebung wider-
sprechen konfessionelle Zusätze, da jene Gesetzgebung sich in der Frage der Eidesformel
1 Vgl. hierüber auch die Erörterungen der
Abg. Wentzel, Stenogr. Ber. des Abg. H. 1859,
die Verhandlungen der Generalsynode S. 130 ff.
Das Reichsgericht hat — Entsch. i. Straff. X,
Bd. I. S. 478, u. Frh. v. Vincke, ebendas.,
S. 485 ff., u. 1860, Bd. II, S. 874 ff.
Vgl. Hubrich, Konfessioneller Eid oder
religionslose Beteuerung (1900), der das gesamte
neuere Material verarbeitet und sich für den kon-
fessionellen Eid erklärt; dagegen v. Schulte in
der Deutschen Juristenzeitung, III. Jahrg. Nr. 1.
In England kann gemäß G. v. 21. Dez. 1888
jeder Eid durch eine feierliche Versiche-
rung an Eidesstatt ersetzt werden; s.
Hubrich, S. 52 f., über die Entstehung der
reichsgesetzlichen Eidesformel s. S. 82 ff., über
S. 182 — die freiwillige Hinzufügung konfessio-
neller Zusätze zur reichegesetzlichen Eidesformel
für zulässig erklärt, in der Literatur ist Über
diese Frage ein lebhafter Streitentbrannt Oubrich
S. 147 ff.), der Reichstag hat unterm 28. April
1898 (Stenogr. Ber. S. 2028) den Zusatz zur
Eidesformel beschlossen: „dem Schwörenden ist
gestattet, den Schlußworten der Eidesformel eine
seinem Bekenntnis entsprechende Bekräftigungs-
sormel hinzuzufügen“; einen völligen gesetzgebe-
rischen Abschluß hat die Frage bis jetzt jedoch
nicht gefunden.