238 Das Staatsbürgerrecht.
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jetzt der Gegenstand, unter Aufhebung aller früheren mit diesem Gesetze nicht vereinbaren
Bestimmungen, gleichmäßig für das ganze Reichsgebiet geregelt worden. Der Grund-
gedanke des Gesetzes ist, daß die Benutzung des Grundeigentums in der nächsten Um-
gebung der Festungen denjenigen Beschränkungen unterworfen sein soll, welche die Rück-
sicht auf die Verteidigungsfähigkeit der Festungen erforderlich macht (§J. 10. Die Um-
gebung wird zu diesem Zwecke in mehrere Rayons eingeteilt, für welche das Maß der
Beschränkungen, mit Rücksicht auf die Anforderungen der Berteidigungsfähigkeit verschieden
festgestellt ist. Für die auf Grund des Gesetzes eintretenden Beschränkungen wird an
Grundbesitzer volle Entschädigung seitens des Reiches in Kapital oder Rente gewährt
(§§. 34—47). Für solche Beschränkungen, welche bereits vor Erlaß des Gesetzes in
der Umgebung der Festungen bestanden, wird keine Entschädigung gewährt (§. 34, Ziff. 1).
d) Einen reichsrechtlichen Vorbehalt für Gewährung des Enteignungsrechtes enthält
noch Art. 41 der Reichsverfassung; derselbe ist jedoch ohne praktische Bedeutung geblieben.
In Elsaß-Lothringen, wo allein Reichseisenbahnen vorhanden sind, erfolgt die Enteignung
nach Maßgabe des älteren französischen Rechtes.]
III. Die Freiheit des Grundeigentums.
I. Die preußische Staatsregierung ist seit langer Zeit darauf bedacht gewesen, zur
Kräftigung des Landes und seiner Bewohner den Grundbesitz von allen dessen ersprieß-
lichere Benutzung hemmenden Beschränkungen zu befreien, und insbesondere diejenigen
Verhältnisse zu lösen, welche als Reste einer vergangenen Zeit den dem Bauernstande
angehörigen Personen und Grundstücken gegentiber den Gutsherren und ihrem Grund-
besitze eine Abhängigkeit und Gebundenheit auferlegten.) Das Edikt v. 9. Okt. 1807“
hob die Erbuntertänigkeit mit allen ihren Folgen und Lasten gänzlich auf, und gestattete
allen Ständen gleichmäßig den Erwerb von adligen, bürgerlichen und bäuerlichen Grund-
stücken (§. 1). Dasselbe sprach ferner die bis dahin beschränkt gewesene Teilbarkeit an
sich veräußerlicher Grundstücke aller Art, lediglich unter Vorbehalt der Rechte der Real-
gläubiger und der Vorkaufsberechtigten, aus (§. 4). Das Edikt zur Beförderung der
Landeskultur v. 14. Sept. 18115 erklärte dann alle Beschränkungen des Grundeigentums,
die aus der bisherigen Verfassung" entspringen, für gänzlich aufgehoben, und bestimmte,
daß jeder Grundbesitzer ohne Ausnahme befugt sein solle, über seine Grundstücke insofern
frei zu verfügen, als nicht Rechte, welche Dritten darauf zustehen, und welche aus Fidei-
kommissen, Majoraten, Lehnsverband, Schuldverpflichtungen, Servituten und dergleichen
herrühren, dadurch verletzt werden, weshalb denn auch, mit Ausnahme dieser Fälle, jeder
auf Grund des §. 47 desselben von der Reichs-
rayonkommission erlassenen Instruktion v. 4. Jan.
1873 über die Handhabung des Gesetzes auch ab-
gedruckt in dem Werke: „Die Militärgesetze des
Deutschen Reiches, mit Erläuterungen heraus-
gegeben auf Veranlassung des preußischen Kriegs-
ministeriums“, Bd. 1, Abt. III, S. 192 ff.
1 S. hierüber G. Meyer, Verw. R., Bd. I,
S. 283, Nr. 6.
2 G. Meyer-Anschütz, Lehrb. (6), S. 305;
Verw. N., Bd. 1I, S. 288 ff., sowie die dort N. 1
zitierte ältere und neuere Literatur.
3 Eine gedrängte Skizze der Entwicklung seit
den ältesten Zeiten germanischen Volkstumes bei
G. Meyer, Verw. R., Bd. 1, S. 288—29911, für
Preußen insbesondere vgl. Bornhak, Gesch. d.
preuß. Verw. R., Bd. 11I, S. 8 ff.; Staaterecht
Bd. III, S. 262 ff. Näheres besonders bei
Knapp, Die Bauernbefreiung, 2 Bde. (1887).
" Mylins. N. C. C. Tom. XII., p. 251, Nabes
Samml., Bd. IX, S. 85, für die frühere Zeit
A. L. R., Bd. II, S. 7, §S. 14 ff.
5 G. S. 1811, S. 300.
* Unter dem Ausdrucke: „Verfassung“ versteht
der §. 1 des Landeskulturedikts hier nicht allein
das Rechtsverhältnis der Untertanen zur Staats-
gewalt (Staats-, Landesverfassung), sondern auch
das Rechtsverhältnis mehrerer in einem gesell-
schaftlichen Verbande stehenden Personen zur Ge-
sellschaft (Provinzial-, Kreis-, Gemeinde-, Städte-,
Korporations-, ländliche, Orts= und Hofesverfas-
sung), sowie die Normen dafür. Es sind daher
durch den §. 1 des Edikts alle Beschränkungen
des Grundeigentums, welche überhaupt auf
öffentlich= rechtlichen Beziehungen beruhen, für
aufgehoben zu erachten. Dabei macht es keinen
Unterschied, ob die bisherigen Beschränkungen
sich auf allgemeine Landesgesetze, oder Sta-
tuten, oder Gewohnheiten gründen: vgl. das
Nähere Hering, Uber die Agrargesetzgebung
in Preußen 1834; Dönniges, Die Landes-
kulturgesetzggebung in Preußen 1843; Lette
und v. Nönne, Landeskulturgesetzgebung des
Preußischen Staates, Bd. II, Abt. 1, S. 80 f.
und Glatzel, Preußische Agrargesetzgebung, Rück-
blick und Ausblick, 1895.