Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Zweiter Band. (2)

Das Recht der freieu Meinungsäußerung. 
C. 59.) 251 
1. „Jeder Preuße hat das Recht, durch Wort, Schrift, Druck und bildliche Dar- 
stellung seine Meinung frei zu äußern. 
Die Zensur darf nicht eingeführt werden, jede 
andere Beschränkung der Preßfreiheit nur im Wege der Gesetzgebung“ (Art. 27).12 
2. „Vergehen, welche durch Wort, Schrift, Druck oder bildliche Darstellung be- 
gangen werden, sind nach den allgemeinen Strafgesetzen zu bestrafen“ (Art. 28).2 
Somit erkennt die Verfassungsurkunde die Freiheit der Meinungsäußerung" in Rede 
und Schrift, wie bildlicher Darstellung dergestalt an, daß sie eine vorbeugende Verhinde- 
  
41 Also nicht durch Verordnung (vgl. den Be- 
richt der Kommission der II. Kammer in den 
Stenogr. Ber. 1849—50, S. 629—630), außer 
auf Grund des Art. 63 Verf. Urk. Die Ver- 
ordnung v. 1. Juni 1863 (G. S., S. 349) 
hatte den Verwaltungsbehörden die Besugnis bei- 
gelegt, das fernere Erscheinen einer inländischen 
Zeitung oder Zeitschrift zeitweise oder dauernd 
zu verbieten, und das Staatsministerium ermäch- 
ngt, auswärtige Blätter zu verbieten. Das Haus 
der Abgeordneten versagte dieser Verordnung seine 
Genehmigung, indem es erklärte, „daß eine Be- 
schränkung der Preßfreiheit auf dem Wege der 
Verordnung überhaupt nicht statthaft und daß 
die Verordnung v. 1. Juni 1863 ihrem Inhalte 
nach der Verfassung zuwiderlaufend sei.“ 
war auch die Ansicht v. Rönnes in der 4. Aufl., 
Bd. II, S. 131. Die gedachte Verordnung wurde 
daher durch die Verordnung v. 21. Nov. 1863 
(G. S., S. 705) wieder außer Kraft gesetzt. Vgl. 
die Materialien in der 3. Aufl. dieses Werkes, 
Bd. I, Abt. 2, S. 96, sub IV, S. 166—167. Über 
das sog. Notverordnungsrecht auf Grund des 
Art. 63 s. unten Bd. III in der Lehre von der Ge- 
setzgebung, wo näher dargelegt ist, daß die von 
v. Rönne für dieses Verordnungerecht gezogenen 
Schranken zu eng sind. Selbstverständlich aber 
ist jede Notverordnung außer Kraft zu setzen, wenn 
eines der beiden Häuser des Landtages seine 
„Genehmigung“" versagt. Vgl. auch den Ab- 
schnitt über das Vereins= und Versammlungsrecht, 
S. 273 ff.; ferner Arndt im Archiv für öffent- 
liches Recht, 1889, Bd. IV, S. 438—456. 
* Der Senat für Svassachen des Obertribunals 
führt in dem Beschluß v. 13. Febr. 1863 aus, 
daß der Art. 27 der Verf. Urk. unter „Beschrän- 
kungen der Preßfreiheit“ nur solche versteht, welche 
die freie Meinungsäußerung in Beziehung auf 
die materiellen Bestandteile der Gedankenausdrücke 
in Grenzen ziehen; als ein solcher Bestandteil 
könne aber die bloße äußere Bezeichnung einer 
Zeitschrift als „Kreisblatt“ nicht angesehen und 
könne daher durch Polizeiverordnung verboten 
werden: auch das Preßgesenz schließe den Erlaß 
einer Polizeiverordnung nicht aus (Oppenhoffs 
Rechtspr., Bd. III, S. 290). S. dagegen die unten 
S. 257, N. 1 zitierten Entsch. des O. V. G., 
welche auf entgegengesetztem Standpunkte für das 
geltende Recht stehen. Ebenso hat derselbe Senat 
d. Ob. Trib. unterm 18. O kt. 1866 erkannt, daß aus 
dem Art. 27 der Verf. Urk. nicht gefolgert werden 
könne, daß die Beschränkung der Preßfreiheit nur 
durch von dem Könige mit Zustimmung der 
beiden Häuser des Landtages erlassene Gesetze zu- 
lässig sei, sondern es sei durch den Auedruck: 
„im Wege der Gesetzgebung“ alles umfaßt zu 
betrachten, was dem Gebiete der Gesetzgebung 
angehört und mittelbar oder unmittelbar im Ge- 
Dies 
  
gerichts in 
l vqtauchunschdeL-.V.G.,Bd.xx1,5.4oo. 
setze seine Begründung findet; der Umfang dieses 
gesetzlichen Gebietes schließe auch die von den 
Orts= oder Bezirkebehörden in dem Kreise der 
ihnen durch das G. v. 11. März 1850 (über die 
Polizeiverwaltung) verliehenen Zuständigkeit er- 
lassenen Polizeiverordnungen in sich, welche 
Strafen androhen, die nach Art. 8 der Verf. Urk. 
in Gemäßheit des Gesetzes zu verhängen sind 
und in dem Sinne Gesetzeskraft haben, daß ihre 
Bestimmungen von den Gerichten zur Anwendung 
gebracht werden müssen, so daß also eine polizei- 
liche Verordnung, welche innerhalb des durch das 
G. v. 11. März 1850 der polizeilichen Lokalgesetz- 
gebung einzuräumenden Wirkungskreises ergangen 
ist, und den Voraussetzungen dieses Gesetzes ent- 
spricht, nicht aus dem Grunde, weil sie die Tätigkeit 
der Presse beschränkt, für ungültig zu erachten sei 
(Oppenhoffs Rechtspr., Bd. VII, S. 555; Golt- 
dammers Archiv, Bd. XV, S. 68, 69). Die Rich- 
tigkeit dieser Ansicht des Obertribunals kann indes 
nicht anerkannt werden; dergleichen Polizeiverord- 
nungen können weder unter den §. 5, noch unter den 
#§. 11 des G. v. 11. März 1850 fallen, weil sie nicht 
in das Gebiet der durch diese Paragraphen festge- 
setzten Zuständigkeiten gehören, also nach §. 15 a. 
a. O. ungültig sind. Mit Hilfe solcher von den 
Lokal= oder Bezirkspolizeibehörden erlassenen Polizei- 
verordnungen würde die verfassungsmäßige Preß- 
freiheit vollständig illusorisch gemacht werden können. 
* Hierdurch sind die Staatsbürger nicht be- 
schränkende, z. B. nur die Beamten angehende, 
Beschränkungen der Preßfreiheitnichtausgeschlossen, 
Entscheidung des O. V. G., Bd. XIV, S. 404. 
Bedenklich die Entscheidung desselben Gerichts- 
hofes in der Jur.-Zeitung 1902, S. 178, wonach 
Photographien Preßerzeugnisse sind, auch wenn 
sie nach der Natur ausgenommen sind. 
4 Der Art. 24 der Verf. Urk. v. ö. Dez. 1848, 
welcher dem Art. 27 der Verf. Urk. v. 31. Jan. 
1850 zugrunde liegt, hatte statt der Worte: 
„seine Meinung frei zu äußern“ die Worte: „seine 
Gedanken frei zu äußern“. Diese Anderung 
wurde deshalb getroffen, um den Artikel mit dem 
entsprechenden 8. 141 des zwischen Preußen, 
Sachsen und Hannover vereinbarten Entwurfs 
einer deutschen Reichsverfassung in Übereinstimmung 
zu bringen ##oL. Stenogr. Ber. der II. Kammer 
1849—50, S. 629). Die württembergische Verf. 
Urk., §. 24, sichert den Staatsbürgern die „Denk- 
freiheit“ zu, welche sich ganz von selbst versteht, 
wenn darunter nur begriffen wird, was der Wort- 
sinn besagt (Gedanken sind zollfrei). Ugl. indes 
über die Auelegung dieses Ausdrucks v. Mohls 
würuembergicches Staatsrecht, 3. Ausgabe, Bd. I, 
302 ff. Uber Entfaltung bestimmter Farben 
als „Meinungräußerung“ s. Entsch. d. Kammer- 
Johow, Sonrbuch= Bd. V. S. 367;
	        
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