Das Recht der freien Meinungsäußerung. 257
(§. 59.)
Demnach ist keinerlei präventives Einschreiten der Polizei auf Grund ihrer allgemeinen
Befugnisse gegen Inhalt und Verbreitung von Druckschriften zulässig, auch nicht wegen
des gewählten Titels, da auch dieser zum Inhalt gehört.¼ Das Preßgesetz findet, wie
der §. 2 desselben bestimmt, Anwendung auf alle Erzeugnisse der Buchdruckerpresse, so-
wie auf alle anderen, durch mechanische oder chemische Mittel bewirkten, zur Verbreitung
bestimmten Vervielfältigungen von Schriften und bildlichen Darstellungen mit oder ohne
Schrift, und von Musikalien mit Text oder Erläuterungen, und was in dem Gesetze
von „Druckschriften“ verordnet ist, gilt für alle jene Erzeugnisse, ausgenommen nur
Stimmzettel, die lediglich den Namen der zu wählenden Person enthalten." Als „Ver-
breitung“ einer Druckschrift im Sinne des Preßgesetzes gilt (§. 3) auch das Anschlagen,
Ausstellen oder Auslegen derselben an Orten, wo sie der Kenntnisnahme durch das
Publikum zugänglich ist; diese vom Gesetz gegebenen Beispiele entfließen dem Gedanken:
Verbreiten ist Zugänglichmachen für jedermann; das Moment der Gewerbsmäßigkeit
liegt darin nicht notwendig, wie schon der Wortlaut des Gesetzes (§. 5) ergibt.? Eine
Entziehung der Befugnis zum selbständigen Betriebe irgend eines Preßgewerbes kann,
wie der Abs. 1 des §. 4 des Reichspreßgesetzes vorgeschrieben hat, weder im administrativen,
noch im richterlichen Wege stattfinden 31, im übrigen aber sind, wie der Abs. 2 a. a. O.
anordnet, für den Betrieb der Preßgewerbe die Bestimmungen der Reichsgewerbeordnung
maßgebend.
Das Preßgesetz v. 12. Mai 1851 5 hatte (§. 1) vorgeschrieben, daß zum Gewerbe-
vorgesetzten Dienstbehörde abhängig gemacht wird.
Dies nehmen auch v. Schwarze, S. 31, und
Thilo, S. 26, an. Vgl. auch über die Stellung
der Beamten zur Politik überhaupt Entsch. des
O. V. G., Bd. XIV, S. 404. Das Reichspreß-
gesetz hat der Zeitungskautionen nicht besonders er-
wähnt, weshalb alle über die Bestellung derselben
erlassenen gesetzlichen Bestimmungen (insbesondere
der §§. 11—21 des Preßgesetzes v. 12. Mai 1851)
durch den §. 1 des Reichspreßgesetzes für auf-
gehoben zu erachten sind.
1 Entsch. d. O. V. G., Bd. XXIII, S. 276,
Bd. XXVIII, S. 326, Bd. XXX, S. 418,
Bd. XXXIV, S. 431.
* R. G. v. 12. Nov. 1884 (R. G. B.,
S. 17), im übrigen über den Begriff „Druck-
schrift" überhaupt und im besonderen Sinne des
Preßgesetzes v. Liszt, S. 13 ff. Ob Photo-
graphien unter das Preßgesetz fallen können, ist
bestritten; v. Liszt, S. 17 verneint es, im
Gegensatz zu den Kommentatoren des Gesetzes.
Daß das öffentliche unentgeltliche Verteilen von
Reklamezetteln eine Verbreitung von Druckschriften
im Sinne des Preßgesetzes ist, hat das O. V. G.,
Entsch. XXIII, S. 276, mit Recht festgestellt.
Auf öffentliche Aufführungen bezieht sich das
Preßgesetz nicht, s. v. Bar in deutscher Juristen-
zeitung 1903, Nr. 9.
* S. die eingehende Erörterung bei v. Liszt,
S. 149 ff.
* Hierdurch ist die Bestimmung des §. 143 der
Reichsgewerbeordnung v. 21. Juni 1869 aufge-
hoben, wonach es bei den Vorschriften der Lan-
desgesetvee, welche die Entziehung der Befugnis
zum selbständigen Betriebe eines Gewerbes durch
richterliches Erkenntnis als Strafe im Falle
einer durch die Presse begangenen Zuwiderhand-
lung vorschreiben oder zulassen, noch bewenden
sollte, und nur diejenigen Bestimmungen der
Landesgesetze für aufgehoben erklärt wurden, nach
welchen die Befugnie zur Herausgabe von Druck-
v. Rönne-Zgorn, Preuß. Staatsrecht. 5. Aufl. II.
schriften und zum Vertriebe derselben in nerhalb
des Bundesgebietes im Verwaltungswege ent-
zogen werden durfte.
5 Vor Erlaß des Preßgesetzes v. 12. Mai 1851
hatte das Gewerbepolizeiedikt v. 7. Sept. 1811,
§§. 126—130 (G. S. 1811, S. 275) bestimmt,
daß zum selbständigen Betriebe des Gewerbes als
Buch= und Kunsthändler, Buchdrucker, Leihbiblio-
thekar und Antiquar eine Konzession der Regie-
rung erforderlich sein solle. Diese Vorschrift er-
neuerte die Kab. O. v. 23. Okt. 1833 (G. S.
1833, S. 290) unter Ausdehnung derselben auf
Lithographen, und das Zirk. Reskr. der Min. der
geistl. u. Unterrichtsang. und des Inn. v. 7. Nov.
1833 (v. Kamptz, Ann., Bd. XVII, S. 1046)
erteilte die Instruktion für die Regierungen über
die bei solchen Konzessionierungen zu befolgenden
Grundsätze. Demnächst bestimmte der §. 48 der
Gewerbeordnung v. 17. Jan. 1845 (G. S. 1845,
S. 50), daß alle Gewerbetreibende der Presse und
auch die Inhaber von Lesekabinetten, sowie Ver-
käufer von Flugschriften und Bildern, desgleichen
Steindrucker, einer Konzession der Regierung be-
dürfen sollten, welche nur dann zu erteilen sei, wenn
diese Behörde sich Uberzeugung von der Unbe-
scholtenheit und Zuverlässigkeit, sowie von einer
zum Betriebe des Gewerbes genügenden allge-
meinen Bildung des Unternehmers verschafft habe.
Allein schon infolge der Bestimmung des Art. 24
der Verf. Urk. v. 5. Dez. 1848, „daß die Preß-
freiheit nicht durch Konzessionen, noch durch Be-
schränkung der Druckereien oder des Buchhandels
eingeschränkt werden dürfe“, waren alle jene älteren
Vorschriften für aufgehoben zu erachten, was auch
durch das Zirk. Reskr. der M. d. Inn., für H.,
G. u. öff. Arb. und der Fin. v. 9. Aug. 1849
(M. Bl. d. i. Verw., S. 171) ausdrücklich an-
erkannt wurde. Als nun aber der Art. 24
der oktroyierten Verf. Urk. in dem entsprechenden
Art. 27 der revidierten Verf. Urk. dahin einge-
schränkt worden war, daß in letzterem die oben
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