Versammlungs- und Vereinsrecht.
zu vereinigen“ (Art. 30, Abs. 1).7
G. 60.) 277
Verein ist »jede dauernde Vereinigung
Mehrerer zur Verfolgung bestimmter gemeinschaftlicher Zwecke c, im Sinne
der Verfassung: zur Behandlung öffentlicher Angelegenheiten.
3. „Das Gesetz? regelt, insbesondere zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicher-
heits, die Ausübung des in den Art. 29 und 30 gewährleisteten Rechtes““ (Art 30,
der Zentralausschuß der Nationalversammlung
erklärt, „weil sonst das Vereinigungsrecht durch
Gesetze ganz würde aufgehoben werden können,
während es ausreichend sei, die Grenze lediglich
durch die Strafgesetze zu normieren“ (a. a. O.,
S. 767). Hiernach ist unzweifelhaft, daß der
Art. 30 (Abs. 1) im allgemeinen nur solche Ver-
einigungen verbietet, welche Zwecke verfolgen, die
den Strafgesetzen zuwiderlaufen, mithin nicht ge-
stattet, im Wege der Gesetzgebung das allgemeine
Verbot anderer Gattungen von Vereinen festzu-
setzen. Dagegen ist es nach Abs. 3 des Art. 30
allerdings zulässig, „politische Vereine“ im Wege
der Gesetzgebung nicht bloß zu beschränken, son-
dern auch vorübergehend zu verbieten (s. zu Ziff. 4).
Aus der Fassung des Abs. 1 des Art. 30 er-
gibt sich hiernach, daß, was die Unzulässigkeit
und Strafbarkeit der Vereinigungen ihrem Zwecke
nach betrifft, die Vorschriften hierüber lediglich
in das Strafgesetzbuch gehören. Dementsprechend
ist denn auch der Gegenstand in der auf Grund
der Verf. Urk. erlassenen späteren Spezialgesetz-
gebung behandelt worden. Das Vereinzgesetz
v. 11. März 1850 hat sich lediglich darauf be-
schränkt, die Ausübung des Vereinsrechtes für
nicht verbotene Verbindungen zu regeln und die
damit verbundenen Strafbestimmungen zu er-
teilen. Dagegen find die Bestimmungen darüber,
welche Verbindungen als den Strafgesetzen zu-
widerlaufend zu erachten und deshalb gänzlich
verboten sind, in den §§. 98 und 99 des Straf-
gesetzbuches v. 14. April 1851 (jetzt 8§8§. 128 und
129 des Reichsstrafgesetzbuchs) getroffen worden.
Nach diesen Vorschriften ist die Teilnahme an
einer Verbindung strafbar entweder a) wegen der
Organisation derselben (§. 98, jetzt S. 128), oder
b) wegen der Zwecke und Beschäftigungen der-
selben (§. 99, jetzt 8. 129). Der §. 128 verbietet
und erklärt für strafbar die Teilnahme an einer
Verbindung, deren Dasein, Verfassung oder Zweck
vor der Staatsregierung geheim gehalten werden
soll, oder in welcher gegen unbekannte Oberen
Gehorsam, oder gegen bekannte Oberen unbeding-
ter Gehorsam versprochen wird, und der §. 129
verbietet und stellt unter Strafe die Teilnahme
an einer Verbindung, zu deren Zwecken oder Be-
schäftigungen es gehört, Maßregeln der Verwal-
tung oder die Vollziehung von Gesetzen durch
ungesetzliche Mittel zu verhindern oder zu ent-
kräften. (Über die viel weiter gehenden Verbote
des A. L. R., Teil II, Tit. 6, und des Edikts
v. 20. Okt. 1798 vgl. S. 273, Note 2.) Auch die
§§. 115, 116, 127 R. St. G. B. kommen in Be-
tracht, s. darüber die Darstellungen des Straf-
rechtes; ferner gehört hierher das R. G. v. 4. Juli
1872 über das Verbot des Jefjuitenordens und
der diesem verwandten Orden und Kongregationen
s. hierüber die Lehr= und Handbücher des Kirchen-
rechtes), endlich auch das G. v. 24. April 1854
(G. S., S. 214), welches dem Gesinde, Dienst-
leuten und landwirtschaftlichen Handarbeitern Be-
schränkungen (§. 3) auferlegt; dagegen sind die
früheren Beschränkungen für gewerbliche Arbeiter
aufgehoben durch die Reichsgewerbeordnung (Re-
daktion v. 26. Juli 1900) 8§. 152, 153.
1 Durch die (in den Amtsblättern publizierte)
Kab. O. v. 22. Febr. 1842 (vgl. M. Bl. d. i.
Verw. 1842, S. 97, Nr. 150) ist die Bildung
von Vereinen ehemaliger Krieger zum mili-
tärischen Begräbnisse verstorbener Kameraden ge-
nehmigt und die Bestimmung getroffen worden,
daß solche Vereine, wenn ihre Bestätigung durch
die Ortsobrigkeit erfolgt ist, hierdurch ein für
allemal die Erlaubnis zur militärischen Begleitung
der Leichen verstorbener Waffengefährten erhalten.
Das Oberverwaltungsgericht hat in dem Erkennt-
nisse v. 11. Dez. 1878 (M. Bl. d. i. Verw. 1879,
S. 73) ausgeführt, daß die Bestimmungen dieser
Kabinettsorder durch die Vorschriften der Art. 29
und 30 der Verf. Urk., bezw. des Vereinsgesetzes
v. 11. März 1850 unberührt bleiben und als
fortgesetzt geltend zu erachten find. Von der-
selben Auffassung ausgehend hat das Reskr. des
M. d. Inn. v. 19. Nov. 1875 (M. Bl. d. i. Verw.
1876, S. 5) ausgeführt, daß solche Kriegervereine
den beschränkenden Bestimmungen des Vereins-
gesetzes v. 11. März 1850 nicht unterliegen und
insbesondere berechtigt sind, bei ihren Aufzügen
behufs feierlicher Beerdigung ihrer verstorbenen
Waffengefährten in der durch die gedachte Kabinetts-
order genehmigten Ausrüstung und Bewaffnung
zu erscheinen, vorausgesetzt, daß sie den übrigen
Anordnungen der Kabinettsorder nachkommen
und insbesondere die im §. 6 derselben vorge-
schriebene Meldung bei der Ortspolizeibehörde
erstatten.
* Dadurch ist ausgeschlossen, über die Aus-
übung des Versammlungs= und Bereinigungs-
rechtes polizeiliche Verordnungen zu erlassen; nur
durch gesetzliche Vorschriften können Bestimmungen
darüber getroffen werden (vgl. den Bericht der
Kommission der II. Kammer in den Stenogr.
Ber. 1849—50, Bd. II, S. 632). Andererseits
aber werden durch diese Vorschrift nicht berührt
diejenigen polizeilichen Vorschriften, auch die auf
Verordnung beruhenden, welche andere Zweige
der Polizei regeln und dadurch mittelbar Einfluß
auf das Vereins= und Versammlungsrecht haben,
z. B. die allgemeine Polizeistunde, vgl. Caspar,
S. 52: Entsch. d. O. V. G., Bd. I, S. 347: Bd. VI,
S. 382: Md. XXIII, S. 399; Bd. XXXII, S.391;
Verbot öffentlicher Versammlungen aus Gründen
der Sonntagsheiligung während der Zeit des
Gottesdienstes, Entsch, des O. V. G., Bd. XXXV,
S. 424.
2 Diese Worte sind dazu bestimmt, den darin
ausgedrückten Zweck als den hauptsächlichsten von
der Gesetzgebung zu erreichenden zu bezeichnen,
welcher indes nicht der einzige ist, der in betreff
der zu regelnden Ausübung der in Rede stehen-