Versammlungs= und Bereinsrecht. (8. 60.) 279
sehr eingeschränkte Amwendung. In dieser Beziehung bestimmte nämlich die Verfassungs-
urkunde in den Art. 38 und 391:
a) „Die bewaffnete Macht darf weder in noch außer dem Dienste beratschlagen oder
sich anders, als auf Befehl versammeln. Versammlungen und Vereine der Landwehr
zur Beratschlagung militärischer Einrichtungen, Befehle und Anordnungen sind auch dann,
wenn dieselbe nicht zusammenberufen ist, untersagt“ (Art. 38).2
b) „Auf das Heer finden die in den Art. 29 und 30 enthaltenen Bestimmungen
nur insoweit Anwendung, als die militärischen Gesetze und Disziplinarvorschriften nicht
entgegenstehen“ (Art. 39).
Die Reichsgesetzgebung enthält in dieser Beziehung lediglich die Vorschrift des §. 49,
Abs. 2 des Reichsmilitärgesetzes v. 2. Mai 1874 3, daß die Teilnahme an politischen
Vereinen und Versammlungen den zum aktiven Heere“ gehörigen Militärpersonen unter-
sagt ist.
6. Für Beamte bestehen keine besonderen Vorschriften bezüglich des Vereins= und
Versammlungsrechtes; es genügt hier das allgemeine Disziplinarrecht, s. Bd. 1I, S. 469 ff.
7. Die Art. 29 und 30 der Verfassungsurkunde können nach Art. 111 derselben
für den Fall eines Krieges oder Aufruhrs bei dringender Gefahr für die öffentliche Sicher-
heit zeit= und distriktsweise außer Kraft gesetzt werden.
III. Die in Art. 30 (Abs. 2) der Verfassungsurkunde vorbehaltenen gesetzlichen
Bestimmungen zur Regelung der Ausübung des Versammlungs= und Vereinigungs-
rechtes, insbesondere zur Aufrechthaltung der öffentlichen Sicherheit?, von denen somit die
Ausübung dieses Rechtes überhaupt rechtlich bedingt ist, sind in der Verordnung? v.
11. März 1850 über die Verhütung eines die gesetzliche Freiheit und Ordnung gefährden-
den Mißbrauches des Versammlungs= und Vereinigungsrechtes s ergangen.
Diese für den
: Vgl. Über die Entstehungsgeschichte dieser
Artikel v. Rönne, Verf. Urk., S. 82—85.
* Nach §F. 22 des Vereinsgeseves v. 11. März
1850 werden Zuwiderhandlungen gegen die Vor-
schrift dieses Artikels nach den Bestimmungen des
§. 125, Tl. I des Militärstrafgesetzbuches bestraft,
also jetzt nach §§. 101 und 113 des Reichsmilitärstraf-
gesetzbuches v. 20. Juni 1872 (R. G. Bl., S. 192).
?* R. G. Bl. 1874, S. 59.
4 Zum „aktiven Heere“ gehören (nach §. 38
des Reichsmilitärgesetzes v. 2. Mai 1874): 1. die
Militärpersonen des Friedensstandes, und zwar:
a) die Offiziere, Arzte und Militärbeamten des
Friedensstandes vom Tage ihrer Anstellung bis
zum Zeitpunkte ihrer Entlassung aus dem Dienste;
b) die Kapitulanten vom Beginne bis zum Ab-
laufe oder bis zur Aufhebung der abgeschlossenen
Kapitulation; c) die Freiwilligen und die aus-
gehobenen Rekruten von dem Tage, mit welchem
ihre Verpflegung durch die Militärverwaltung
beginnt, Einjährig-Freiwillige von dem Zeit-
punkte ihrer definitiven Einstellung in einen
Truppenteil an, sämtlich bis zum Ablaufe des
Tages ihrer Entlassung aus dem aktiven Dienste;
2. die aus dem Beurlaubtenstande (Abschnitt V)
zum Dienste einberufenen Offiziere, Arzte, Militär-
beamten und Mannschaften von dem Tage, zu
welchem sie einberufen sind, bis zum Ablaufe des
Tages der Wiederentlassung, sowie alle in Kriegs-
zeiten zum Heeresdienste aufgebotenen oder frei-
willig eingetretenen Offiziere, Arzte, Militär-
beamten und Mannschaften, welche zu keiner der
vorgenannten Kategorien gehören, von dem Tage,
zu welchem sie einberufen sind, bezw. vom Zeit-
punkte des freiwilligen Eintritts an bis zum
Ablaufe des Tages der Entlassung; 3. die Zivil-
beamten der Militärverwaltung vom Tage ihrer
Anstellung bis zum Zeitpunkte ihrer Entlassung
aus dem Dienste.
5 Ugl. hierüber Haldy, Belagerungszustand
(Bonner Diss.) S. 37 ff.
* Vgl. unter II zu 3.
! G. S. 1850, S. 277.— Aus welchem Grunde
dies Gesetz in der Gesetzsammlung als „Verord-
nung“ bezeichnet wird, ist nicht erfindlich, da
dasselbe, wie seine Verkündigungeformel ergibt,
unter Zustimmung beider Kammern ergangen, mit-
hin ein Gesetz im Sinne des Art. 30 (vgl. Art. 62)
der Verf. Urk. ist. — Nach Art. II des Ein-
führungsgesetzes zum Strafgesetzbuch v. 14. April
1851, bezw. s. 2 des Einführungsgesetzes v. 31. Mai
1870 zum Strafgesetzbuch für den Norddeutschen
Bund (B. G. B. 1870, S. 195) ist dies Gesetz
neben dem Strafgesetzbuche in Kraft geblieben.
(Vgl. auch S§. 6, Nr. 2 des Einführungsgesetzes
zur sleiheraforegfordnng v. 1. Febr. 1877,
R. G. Bl., 347.)
* Bereits# unterm 8. März 1849 brachte das
Staatsministerium auf Grund königlicher Er-
mächtigung vom 2. desselben Monats bei der (dem-
nächst aufgelösten) II. Kammer den Entwurf eines
auf die Art. 27 und 28 der Verf. Urk. v. 5. Dez.
1848 gestützten Gesetzes, betreffend die Verhütung
eines die gesetzliche Freiheit und Ordnung gefähr-
denden Mißbrauches des Versammlungs= und Ver-
einigungsrechtes ein (Stenogr. Ber. der aufge-
lösten II. Kammer von 1849, S. 71 und 120
—121), welcher auch zur Beratung und Beschluß-
nahme, allein wegen der unterm 27. April 1849
erfolgten Auflösung der II. Kammer nicht an die
I. Kammer gelangt ist (vgl. den Kommissionsbe-
richt der II. Kammer und die Diskussionen dar-