Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Zweiter Band. (2)

(S. 60.) 285 
gebung ihrer dienstlichen Eigenschaft! erscheinen. Sind sie nicht Polizeibeamte, so müssen 
sie durch besondere Abzeichen erkennbar sein. Den Abgeordneten muß ein angemessener 
Platz eingeräumt, ihnen auch auf Erfordern durch den Vorsitzenden Auskunft über Name, 
Stand und Wohnort jedes Redners, selbst wenn es sich nur um einen Zwischenruf 
handelt, gegeben (§. 4) und sie so in die Lage gesetzt werden, „über alle Vorgänge in 
der Versammlung Aufklärung zu erhalten“. „Zur Angemessenheit des Platzes wird 
in erster Reihe gehören, daß er dem Abgeordneten die Möglichkeit bietet, seines Amtes 
zu walten. Der Abgeordnete wird also einen Platz beanspruchen dürfen, von dem aus 
er die Vorgänge in der Versammlung verfolgen kann, der so gelegen ist, daß er ohne 
Belästigung von dem Vorsitzenden Erkundigungen einziehen kann und von dem aus er 
endlich sich allen Versammelten bemerklich machen kann, wenn er eine amtliche Mit- 
teilung an die Versammelten richten will. Es wird zur Angemessenheit ferner erforder- 
lich sein, daß der Platz nicht durch irgend welche besondere Umstände geeignet sei, die 
Anweisung dieses Platzes als unvereinbar mit der Würde der vertretenen Behörde er- 
scheinen zu lassen.“3 
Die Strafen der Zuwiderhandlung hiergegen bestimmt der §. 14 der Verord- 
nung.“ 
5. Die Abgeordneten der Polizeibehörde sind, vorbehaltlich des gegen die Beteiligten 
gesetzlich einzuleitenden Strafverfahrens, befugt, sofort jede Versammlung aufzulösens, 
a) wenn die Bescheinigung der erfolgten Anzeige (§§. 1 und 3) nicht vorgelegt werden 
kann; b) wenn in der Versammlung Anträge oder Vorschläge erörtert werden, die eine 
Aufforderung oder Anreizung zu strafbaren Handlungen enthalten; der strafbare Inhalt 
einer Rede kann eine solche enthalten, doch ist dies nicht an sich notwendig der Fall"; 
c) wenn in der Versammlung Bewaffnete, auch nur ein Einziger, erscheinen, die, der 
Aufforderung des Abgeordneten der Obrigkeit entgegen, nicht entfernt werden (§. 5). 
Die Auflösung einer Versammlung durch den dieselbe überwachenden Beamten ist aber 
auch in anderen, als in den in §. 5 ausdrücklich bezeichneten Fällen zulässig, da den 
Versammlungen gegenüber die allgemeinen Gesetze in Kraft bleiben; alle allgemein 
polizeilichen Gesichtspunkte der Ruhe, Sicherheit und Ordnung, nicht aller- 
dings die bloße Möglichkeit von Störungen oder unlautere Motive des Unternehmers, 
können somit dem Polizeivertreter als berechtigter Grund der Auflösung 
zur Seite stehen.' Über die Auflösung von Versammlungen, die in nichtdeutscher 
Sprache abgehalten werden, s. unten S. 293f. 
6. Sobald ein Abgeordneter der Polizeibehörde die Versammlung für aufgelöst er- 
klärt hat, sind alle Anwesenden verpflichtet, sich sofort, auf Verlangen des Polizeivertreters 
Versammlungs= und Vereinsrecht. 
  
1 Diese Kundgebung kann sowohl durch eine 
den Versammelten in ausdrücklichen Worten ab- 
gegebene Erklärung, als auch durch konkludente 
Handlungen erfolgen, die das Erscheinen des Ab- 
geordneten in dienstlicher Eigenschaft unzweifelhaft 
kundmachen (Erk. des Ob. Trib. v. 24. Jan. 
1877, Oppenhoffs Rechtspr., Bd. XVIII, S. 61, 
Goltdammers Archiv, Bd. XXV, S. 83). 
: Caspar, So. 77 f., bes. auch über die Be- 
deutung des „angemessenen“ Platzes. Die An- 
sicht des O. V. G., die Anwesenheit der Polizeiver- 
treter sei eine „bloß passive“, ist schon dem Wortlaut 
des Gesetzes gegenüber ein kaum begreiflicher Irr- 
tum; die Anwesenheit des Polizeivertreters kann 
jeden Augenblick während der Versammlung sehr 
„aktiv“ werden, sei es aus Gründen der allgemeinen 
Polizei, sei es der besonderen Versammlungspolizei. 
7 Caspar, S. 78. 
* Nämlich Geldbuße von 30—300 Mark oder 
Gefängnisstrafe von 14 Tagen bis zu 6 Monaten 
gegen jeden Vorsteher, Ordner oder Leiter. 
* Uber die Voraussetzungen der Auflösung der 
  
Versammlung „wegen Erörterung von Anträgen 
und Vorschlägen, die eine Aufforderung oder An- 
reizung zu strafbaren Handlungen enthalten“, 
vgl. die Aufsätze in der Deutschen Gerichtszeitung 
1862, S. 260 und 264; Delius, S. 24; 
Thilo, S. 47; Caspar, S. 81; Schwartz, 
Verf. Urk., S. 395, im übrigen die strafrechtliche 
Literatur zu R. St. G. B., §§. 85, 110—112. 
* O. V. G., Entsch. v. 3. Juni 1902, Zeit- 
schrift „Selbstverwaltung“ 1902, S. 615 und 
Deutsche Jur. Ztg. 1903, S. 84e, die nicht un- 
bedenklich sein dürfte. 
* Ebenso Caspar, S. 79; Schwartz, Verf. 
Urk., S. 394 (Uberfüllung, Feuersgefahr und 
dergleichen). Mit Recht bezeichnet Caspar 
die Aufgabe der Polizeivertreter als „ein 
zwiefaches Aufsichtsrecht", einmal gemäß 
den „allgemeinen Aufgaben der Polizei- 
behörde“, sodann gemäß den Spezialvor- 
schriftendes Vereinsgesetzes. Vgl. auch Entsch. 
d. O. V. G., Bd. I, S. 347, XI, S. 382, XlIII, 
S. 102, VI, S.371, XXIII, S. 413, XNXXI, S. 410.
	        
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