Versammlungs- und Vereinsrecht. (S. 60.) 287
zu erörtern! und damit auf sie einzuwirken, gilt außer vorstehenden Bestimmungen noch
nachstehende Beschränkung: sie dürfen keine Frauen, Schüler — Angehörige von Hoch-
schulen gehören dazu nicht? — und Lehrlinge als Mitglieder aufnehmen, also auch
nicht ausschließlich aus Frauen bestehen. Das Vereinsgesetz hatte in §. 8 noch weiter
vorgeschrieben: „sie dürfen nicht mit anderen Vereinen gleicher Art zu gemeinsamen
Zwecken in Verbindung treten, insbesondere nicht durch Komitees, Ausschüsse, Zentral-
organe oder ähnliche Einrichtungen oder durch gegenseitigen Schriftwechsel“. Dieses
Verbot ist durch Reichsgesetz v. 11. Dez. 1899 (R. G. B., S. 699) aufgehoben,
welches bestimmt: „Inländische Vereine jeder Art dürfen miteinander in Ver-
bindung treten. Entgegenstehende landesgesetzliche Bestimmungen sind aufgehoben.“
Damit wurde eine Vorschrift des preußischen Rechtes beseitigt, welche schon seit langer
Zeit ein leerer Buchstabe geworden war." Werden die obigen Beschränkungen über-
schritten, so ist die Ortspolizeibehörde berechtigt, vorbehaltlich des gegen die Beteiligten
gesetzlich einzuleitenden Strafverfahrens, den Verein bis zur ergehenden richterlichen Ent-
scheidung (§. 16) zu schließen. Frauen, Schüler oder Lehrlinge dürfen aber auch
den Versammlungen und Sitzungen solcher Vereine nicht beiwohnen, auch dann nicht,
wenn im einzelnen Fall lediglich gesellige Zwecke verfolgt werden, falls es sich um eine
Versammlung eines Vereines handelt, der im übrigen unzweifelhaft politischer Verein im
weil eine mit Absicht vorgenommene Handlung
eben eine beabsichtigte, eine im Zwecke der Hand-
lung liegende ist. Es ist möglich und rechtlich
zulässig, schon aus einem einzigen gehaltenen
Vortrage politischen Inhalts tatsächlich die Über-
zeugung zu gewinnen, daß ein Verein bezweckt
hat, auch politische Gegenstände in seinen Ver-
sammlungen zu erörtern. Ein Verein, der im
allgemeinen nicht auf öffentliche Angelegenheiten
einzuwirken bezweckt, tritt mit dem Augenblicke,
wo er in einem einzelnen Falle eine derartige
Einwirkung beschließt und ausübt, in die Kate-
gorie eines solchen (Erk. eines (nicht bezeichneten)
Appellationsgerichts v. 23. Okt. 1865, M. Bl.
d. i. Verw. 1864, S. 209). d) Die Erörterung
sozialer Fragen mit der Richtung auf Beein-
flussung der staatlichen Einrichtungen und An-
ordnungen ist eine politische und Vereine, welche
sich damit befassen, sind folgeweise politische.
Die Suafbarkeit politischer Vereine aus dem
é. 16 ist dadurch nicht bedingt, daß Erörterung
politischer Gegenstände in Versammlungen bereits
stattgefunden hat, sondern nur dadurch, daß sie
bezweckt ist (Erk. des Ob. Trib. v. 26. Nov.
1875, Entsch., Bd. LXXVI, S. 394, Oppen-
hoffs Rechtsprechung, Bd. XXIIII, S. 759,
Goltdammers Archiv, Bd. XVIII, S. 630).
e) Politischer Gegenstand ist derjenige, welcher
den Staat und seine Einrichtungen betrifft. Auch
die sozialen Fragen, wenn sie gleich zunächst und
an sich in der Art ihrer Besprechung und Er-
örterung nicht notwendig politische zu sein brauchen,
nehmen diesen Charakter sofort an, wenn sie mit
dem Staate in praktische Beziehung treten,
namentlich zu ihrer Lösung Mittel und Wege zur
Geltung gebracht werden sollen, welche eine Ande-
rung der bestehenden Einrichtungen des Staates
und hierunter auch der geltenden Staatsein-
richtungen als Mittel zur Verwirklichung des als
nützlich oder notwendig Erkannten fordern (Erk.
des Ob. Trib. v. 2. Febr. 1876, Oppenhoffs
Rechtspr., Bd. XVII, S.70, Goltdammers Archiv,
Bd.KXIV, S.66). f) Ein politischer Verein im
Sinne des Vereinsgesetzes ist jeder Verein, welcher
die Erörterung politischer Fragen bezweckt, sollte
auch nicht feststehen, daß er in Wirklichkeit solche
Erörterungen vorgenommen hat (Erk. des Ob.
Trib. v. 15. Dez. 1875, Oppenhoffs Rechtspr.,
Bd. XVI, S. 800, Goltdammers Archiv, Bd.
XXIII, S. 632, v. 15. Juni 1877, Oppenhoffs
Rechtsprechung, Bd. XVIII, S.431, Goltdammers
Archiv, Bd. XXV, S. 638, und v. 20. März
1878, Oppenhoffs Rechtspr., Bd. XIX, S. 151).
g) Die Einwirkung auf Kommunalwahlen ist
unzweifelhaft ein politischer Zweck; ob die Förde-
rung der Feuerbestattung als ein solcher anzu-
sehen ist, muß bezweifelt werden: das O. V. G.,
Entsch., Bd. XXXIX, S. 440 besjaht die Frage:
vgl. über die tatsächlichen Voraussetzungen auch
Bd. XXXIV, S. 439, serner ältere Entscheidungen
Bd. XX, S. 432, Bd. XXIII, S. 399; dazu
Deutsche Juristenzeitung, Bd. VII, S. 486.
1 „Erörtern“ heißt: eine Sache nach ihrem
Wesen und Grunde untersuchen, auseinandersetzen,
auseinanderlegen. Es ist nicht nötig, daß die
Gründe Für und Wider entwickelt werden oder
der Erörternde eine eigene Meinung ausspricht;
auch eine einseitige Beleuchtung und Betrachtung,
sowie ein objektiv gehaltener Vortrag erfüllt den
Begriff (Erk. eines (nicht bezeichneten] Appellations-
gerichts v. 23. Okt. 1863, M. Bl. d. i. Verw.
1864, S. 209); Delius, S. 8; Zander,
S. 21: Caspar, S. 43; Schwarss, Verf.
Urk., S. 382. Doch fordert das O. V. G. eine
„bestimmte“ politische Angelegenheit, Entsch., Bd.
XXXVIII, S. 417.
2 Delins, S. 21, N. 7: Caspar, S. 108.
3 Caspar, S. 108, Entsch. des Reichsgerichts
i. Strass. Bd. XV, S. 305.
* Damit istanch die umfangreiche bei v. Rönne,
4. Aufl., Bd. II, S. 195, N. 2 mitgeteilte
Judikatur und Kaguistik gegenstandslos geworden,
jedoch nur für „inländische“ Vereine. Ausdrück-
liche Vorschriften bezüglich der Verbindung in-
ländischer mit ausländischen Vereinen enthält die
bayrische, sächsische, anhaltische Gesetzgebung; vgl.
G. Meyer-Anschütz, St. N., 6. Aufl., S. 842,
N. 11.