Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Zweiter Band. (2)

288 Das Staatsbürgerrecht. 
G. 60.) 
Sinne des Vereinsgesetzes ist. Werden dieselben auf die Aufforderung des auwesenden 
Abgeordneten der Obrigkeit nicht entfernt, so ist Grund zur Auflösung der Versammlung 
oder der Sitzung (8§. 5, 6) vorhanden (F. 8).1 
Wahlvereine 2 unterliegen den Beschränkungen dieses Paragraphen nicht (F. 21, 
Abs. 2), ebenso Vereine, die politische Dinge nicht in Versammlungen zu erörtern, sondern 
in anderer Weise zu beeinflussen sich zum „Vereinszweck“ gesetzt haben; wohl aber gelten 
für diese beiden Kategorien von Vereinen die übrigen Vorschriften des Vereinsgesetzes.! 
Die durch die Reichsgewerbeordnung §. 152 gewährte Koalitionsfreiheit der gewerblichen 
Arbeiter enthält eine Einschränkung der Vorschriften des §. 8 nicht; sobald gewerbliche 
Vereinigungen den Charakter politischer Vereine annehmen, unterliegen sie den einschränken- 
den Vorschriften des Vereinsgesetzes. 
Die Strafen gegen diejenigen, welche sich nach der polizeilich erklärten Auflösung 
der Versammlung nicht entfernen, bestimmt §. 15, die Strafen der Ubertretung der 
Vorschriften des §. 8 gibt S. 16.“ 
Wenn die Polizeibehörde einen politischen Verein vorläufig geschlossen hat (§. 8), 
so ist sie gehalten, binnen 48 Stunden nach der Schließung davon und von den Gesetz- 
widrigkeiten, welche zur Schließung Anlaß gegeben haben, der Staatsanwaltschaft An- 
zeige zu machen. Die polizeiliche Schließung ist also immer nur eine vorläufige, aber 
ohne Suspensiveffekt der etwa erhobenen Beschwerde. Findet die Staatsanwaltschaft die 
angeblichen Gesetzwidrigkeiten nicht geeignet, eine Anklage darauf zu gründen, so hat die 
Ortspolizeibehörde auf die ihr durch die Staatsanwaltschaft binnen weiteren 8 Tagen zu 
erteilende Nachricht die Schließung des Vereins aufzuheben. Andernfalls muß die Staats- 
anwaltschaft binnen 8 Tagen entweder die Anklage erheben oder binnen gleicher Frist die 
Voruntersuchung beantragen. Alsdann ist von dem Gerichte sofort Beschluß darüber zu 
fassen, ob die vorläufige Schließung des Vereins bis zum Erkenntnisse in der Haupt- 
sache fortdauern soll (§. 16, Abs. 4).7 
Die meisten deutschen Gesetzgebungen enthalten 
  
: Entsch. d. O. V. G., Bd. XX, S. 432 ff.; 
Caspar, S. 80, 107 f. 
V#gl. hierher Caspar, S. 118. Das Reichs- 
wahlgesetz v. 31. Mai 1869 (B. G. Bl. S. 
145) hat ausgesprochen, daß die Wahlberech- 
tigten das Recht haben, zum Betriebe der den 
Reichstag betreffenden Wahlangelegenheiten Ver- 
eine zu bilden und in geschlossenen Räumen 
unbewaffnet öffentliche Versammlungen zu ver- 
anstalten, daß jedoch (§. 17) hierdurch die Be- 
stimmungen der Landesgesetze über die Anzeige 
der Versammlungen, sowie über die Uberwachung 
derselben unberührt bleiben. Das preußische 
Recht beschränkt die Teilnahme an Wahlvereinen 
nicht auf die Wahlberechtigten; es besteht also 
nach dem Buchstaben des Gesetzes eine sehr 
klaffende Divergenz zwischen dem preußischen und 
Reichsrecht; s. dazu Caspar, S. 119 f. b) Ein 
politischer Verein ist nur dann ein „Wahlverein“ 
und als solcher von den für jene geltenden Be- 
schränkungen befreit, wenn er lediglich in Be- 
ziehung auf konkrete anstehende Wahlen eine Wirk- 
samkeit entfaltet (Erk. des Oberappellationsgerichts 
zu Berlin v. 27. Jan. 1869, J. M. Bl. 1869, 
S. 50, Goltdammers Archiv, Bd. XVII, S. 286). 
6) Wahlvereine im Sinne des §. 21 sind nur 
diejenigen, welche lediglich die erleichterte Vor- 
bereitung konkret anstehender oder bevorstehender 
Wahlen zum Gegenstande haben sollen, die Aus- 
nahme des §. 21 ist daher nicht auf die fort- 
gesetzte Bearbeitung der Vereinsmitglieder im 
Sinne eines bestimmten Programms zur Ver- 
wirklichung desselben durch künftige, noch unbe- 
stimmte Wahlen auszudehnen (Erk. des Ob. Trib. 
  
v. 15. Dez. 1875, Oppenhoffs Rechtsprechung, 
Bd. XVI, S. 800, Goltdammers Archiv, #e. 
XXIII, S. 632); Caspar, S. 118. 
- Cafvar, S. 107, 118. 
" Schwart, Verf. Urk., S. 404 f.; Entsch. 
des Reichsgerichts i. Straff. XVI, S. 383; Entsch. 
d. O. V. G., Bd. XXXVIII, S. 405. 
5 Nämlich Geldbuße von 15—150 Mark, oder 
Gefängnis von 8 Tagen bis zu 3 Monaten. 
* §. 16 bestimmt: „Wenn ein politischer 
Verein die in §. 8 zu a und b gezogenen Be- 
schränkungen überschreitet, so haben Vorsteher, 
Ordner und Leiter, die diesen Bestimmungen ent- 
gegengehandelt haben, eine Geldbuße von 5 bes 
50 Talern, oder Gefüngnis von 8 Tagen bis za 
3 Monaten verwirkt. Der Richter kann außer- 
dem nach der Schwere der Umstände auf Schließung 
des Vereins erkennen. Auf diese Schließung muß 
erkannt werden, wenn Vorsteher, Ordner und 
Leiter sich wiederholt strafbar gemacht haben. 
Wer sich bei einem auch nur vorläufig (§. Z) 
geschlossenen politischen Vereine als Mitglied ferner 
beteiligt, wird mit Geldstrafe von 5—50 Talern 
oder Gefängnisstrafe von 8 Tagen bis zu 3 Monaten 
belegt. Wer der Vorschrift des S. 8 a entgegen 
sich als Mitglied aufnehmen läßt, hat eine Geld- 
buße von 5—50 Taler verwirkt.“ 
J* a) Über den Rechtscharakter der Schließung 
als Sicherung, nicht als Strafe, die sich hieraus 
ergebenden prozessualen Folgen s. Entsch. d. Reichs- 
gerichts in Straff. XV, S. 380; Caspar, S. 115; 
Schwartz, Verf. Urk., S. 414 ff. Die Revifion 
kann nur die Notwendigkeit, nicht aber die Auge- 
messenheit der Schließung anfechten; die Prüfung
	        
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