336 Die Staatsbehörden. (8. 65.)
1. Die Städteordnung v. 30. Mai 1853 für die sechs östlichen Provinzen! (§F. 2)
und die Städteordnung v. 19. Mai 1856 für die Provinz Westfalen? (§. 2) gleich-
lautend, „daß den städtischen Gemeindebezirk alle diejenigen Grundstücke bilden, welche
demselben bisher angehört haben“, und „daß Grundstücke, welche bisher noch keinem
Gemeinde= oder selbständigen Gutsbezirke angehört haben, nach Vernehmung der Be-
teiligten: und Anhörung des Kreistages durch Beschluß des Bezirksausschusses, für
Berlin des Oberpräsidenten, mit dem Stadtbezirke vereinigt werden können“."“ Ferner
wird dann bestimmt, „daß eine Vereinigung eines ländlichen Gemeinde= oder selbständigen
Gutsbezirkes mit einer Stadtgemeinde nur unter Zustimmung der Vertretung der be-
teiligten Gemeinden, sowie des beteiligten Gutsbesitzers nach Anhörung des Kreistages
mit Genehmigung des Königs erfolgen kann“.3 Diese Vorschrift hat nunmehr eine
wesentliche und grundsätzliche Veränderung erfahren durch Landgemeindeordnung §. 2
für die östlichen Provinzen. Danach können Landgemeinden und Gutsbezirke mit einem
Stadtbezirk nach Anhörung der beteiligten Gemeinden und Gutsbesitzer sowie des Kreis-
ausschusses durch königliche Verordnung vereinigt werden, wenn die Beteiligten hiermit
einverstanden sind. Wenn ein Einverständnis der Beteiligten nicht zu erzielen ist, so
kann die Zustimmung derselben, sofern das öffentliche Interesse dies erheischt, durch Be-
schluß des Bezirksausschusses ersetzt werden. Gegen diesen Beschluß steht den Betciligten
sowie dem Vorsitzenden des Bezirksausschusses — letzterem gemäß L. V. G., §. 123 —
die weitere Beschwerde an den Provinzialrat zu. Gegen dessen Beschluß steht dem Ober-
präsidenten, falls er das öffentliche Interesse für gefährdet erachtet, die Beschwerde an
das Staatsministerium offen, dessen mit Gründen zu versehender Beschluß durch den Ober-
präsidenten den Beteiligten zuzustellen ist (L. G. O., §. 2, Ziff. 3 in Verbindung mit Ziff. 6).
Die Abtrennung einzelner Teile von einem Gemeinde= oder Gutsbezirk und deren
Vereinigung mit einem Stadtbezirk kann, wenn die Beteiligten damit einverstanden sind
oder wenn das öffentliche Interesse es erheischt, durch Beschluß des Bezirksausschusses
nach Anhörung des Kreistages erfolgen. Gegen diesen Beschluß haben die Beteiligten
sowie der Vorsitzende des Bezirksausschusses die Beschwerde an den Provinzialrat, und
gegen dessen Beschluß der Oberpräsident die Beschwerde an das Staatsministerium (L. G. O.,
§. 2, Ziff. 4 in Verbindung mit Ziff. 6).
Ein „„,öffentliches Interesse“ im Sinne obiger Vorschriften ist nur dann als vor-
liegend anzusehen:
a) wenn Landgemeinden oder Gutsbezirke ihre öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen
zu erfüllen außerstande sind; bei Beurteilung dieser Frage find Zuwendungen, welche
Gemeinden und Gutsbezirken vom Staate oder größeren Kommunnalverbänden zustehen,
nicht als bestimmend zu erachten;
b) wenn die Zersplitterung eines Gutsbezirks oder die Bildung von Kolonien in
einem Gutsbezirke die Abtrennung einzelner Teile desselben oder dessen Umwandlung in
1 G. S. 1853, S. 261.
Verw. 1859, S. 249). Vgl. dazu L. V. G., §. 70
: G. S. 1856, S. 237.
über die erforderliche „Beiladung“; O. B. G.
* Unter den „Beteiligten“ sind lediglich die
Besitzer derjenigen Grundstücke, um deren In-
kommunalisierung es sich handelt, sowie die Ver-
tretungen derjenigen Gemeinden resp. diejenigen
Gutsbesitzer zu verstehen, mit deren Kommunal=
oder selbständigen Gutobezirken die fraglichen
Grundstücke auf den Antrag ihrer Eigentümer,
oder nach der Absicht der Behörde vereinigt werden
sollen. Denn keiner angrenzenden Gemeinde
steht ein Recht zu, die Einverleibung eines Grund-
stückes in ihren Bezirk zu verlangen, woraus von
selbst folgt, das Gemeinden bloß deshalb, weil
auch ihre Bezirke an die zu inkommunalisierenden
Grundstücke grenzen, noch nicht zu den Beteiligten
gehören, deren Anhörung erfolgen muß (Restkr.
des M. d. Inn. v. 20. Sept. 1859, M. Bl. d. i.
Entsch., Bd. X, S. 92; Bd. XII, S. 183; Stier-
Somlo, Kommentar zum L. V. G., S. 102 ff.
* Die Vereinigung ist hier also nur gestattet,
nicht unbedingt vorgeschrieben. Der Bezirks-
ausschuß ist durch Zuständigkeits-G., §. 8, Abf. 1,
an Stelle des Bimisters des Innern getreten. Für
Berlin L. V. G., F. 43
5 Hiernach konnte also bei Widerspruch gegen
die Vereinigung die Inkommunalisierung nur im
Wege der Gesetzgebung bewirkt werden. Bgl.
das G. v. 27. Juni 1875, betreffend die Ver-
einigung der Landgemeinde Damm mit der
Stadtgemeinde Spandau (G. S. 1875, S. 369)
und die Motive dazu in den Stenogr. Ber. des
Abg. H. 1875, Anl. Bd. III, Aktenst. Nr. 426,
S. 2343.