Die Stein-Hardenbergschen Reformen. (8. 69.) 361
Das Publikandum v. 16. Dez. 1808 (§. 34) bestimmte ferner, daß an die Spitze
jeder Provinz ein Oberpräsident gestellt werden solle, welcher, wie das Gesetz aus-
drücklich bemerkt, zwar den Regierungen der Provinz vorgesetzt sein, jedoch keine Zwischen-
instanz zwischen ihnen und dem Ministerium bilden, sondern „als perpetuierlicher Kom-
missarius des letzteren und in seinem Namen an Ort und Stelle eine genaue und
lebendige, nicht bloß formelle Kontrolle über die Verwaltung und die Beamten führen
sollte"“. Er sollte außerdem ausführende Behörde in betreff derjenigen Gegenstände der
Staatsverwaltung sein, für die es wichtig erschien, einen Vereinigungspunkt nach größeren
Landesabteilungen über den Umfang eines Regierungsbezirkes hinaus (Stromläufe, große
Meliorationen, Epidemien, Viehseuchen u. dgl., zu haben. 1
Die Tendenz der Steinschen Reformen im Behördenorganismus ging dann aber
ganz besonders dahin, daß es neben der Umwandlung des Provinzialsystems in das
Realsystem, sowie neben der erforderlichen Zentralisation der Geschäfte und der festeren
Unterordnung und Abgrenzung der einzelnen Ressorts vorzugsweise die Verantwortlichkeit
der Staatsbeamten sei, welche den obersten, leitenden Grundsatz der ganzen Staats
verwaltung bilden müsse, — dergestalt, daß diese Beamten nicht bloß unselbständige Werk
zeuge in der Hand der Regierung seien, welche ohne eigene Einsicht, ohne eigenen Willen
deren Befehle ausführten, sondern „selbständig und selbsttätig mit voller Verantwortlich-
keit“? die Geschäfte besorgten, und deren eigentlichstes Wesen in der Verpflichtung zur
Arbeit für den Staat im Sinne des Königs beruht." Denn so groß und segensreich
für den Preußischen Staat das strenge Prinzip des unbedingten verwaltungerechtlichen
Dienstgehorsams, wie es Friedrich Wilhelm I. in seinen Dienstinstruktionen und durch
streng eingehaltene Praxis festgestellt hatte, auch war, es trug die Gefahr in sich, daß
es, wenn das Leben in den obersten Stellen der Verwaltung erstarrt war, zur Schablone
und zum öden D Dienstmechaniemus wurde. Dieser Gefahr vor allem war nach Steins
Überzeugung der Preußische Staat im Jahre 1806 erlegen und daraus entnahm Stein
für seine Reformarbeit den großen Gedanken, daß die Verwaltung auch in ihren
unteren Gliederungen und in ihren ausführenden Organen zur Selbst
tätigkeit und Selbstverantwortung erzogen werden müsse, sowohl inner
halb der eigenen Staatsverwaltung selbst, als durch Heranziehung von
Elementen der Selbstverwaltung zur Anregung und Kontrolle der Staats-
verwaltung. Seitdem ist diese eigenartige Verbindung zwischen strengem verwaltungs
rechtlichen Dienstgehorsam einerseits und freier selbstverantwortlicher Erwägung sowohl
der Staatsinteressen, als der Interessen der verwalteten Bevölkerung andererseits, zugleich
mit weitausgedehnter korporativer Selbstverwaltung von der Ortsgemeinde bis hinauf zur
Stufe der Provinz, das eigentliche Charakteristikum der preußischen Verwaltung geworden
und geblieben, ausge;zeichnet gegenüber der französischen Verwaltung, die alle Freiheit zu
gunsten des absoluten Staatsinteresses verzehrt hat und gegenüber der englischen Ver-
waltung, die das Staatsinteresse durch allzu weitreichende Selbstverwaltung hat ver-
kümmern lassen.
Auch die Kreisverwaltung gedachte Stein in diesem Sinne zu reformieren. Aber
diese gesetzgeberische Arbeit kam zu keinem Abschluß.
IV. Der Freiherr v. Hardenberg, welcher mit dem 6. Juni 1810 den neu ge
schaffenen Posten eines Staatskanzlers, der die oberste Leitung der äußeren und
inneren Angelegenheiten umfaßte, übernommen hatte, setzte die von Stein begonnenen Re-
formen im Gebiete der Verwaltung fort. Es wurde zunächst die Verordnung über die
veränderte Verfassung der obersten Staatsbehörden v. 27. Okt. 1810 erlassen, welcher
zwar im wesentlichen das frühere Publikandum v. 106. Dez. 1308 zugrunde liegt, von
1 Vgl. auch die Geschäftoinstruktion für die * Lgl. Perthes, Der Slaatodienst in Preußen,
Oberpräsidenten v. 23. Dez. 1308 Rabe, S. 1#0 fl.
Sammlung, BVd. IX. S. 102.. Wagl. Bd. l, S. 27 zu 7, und bes. E. Meier,
* Vgl. den Eingang des Publikandums v. Reform, S. 382 ff.
16. Dez. 18/8. * (G. S. 1310, S. 3 ff. — Vgl. hierüber
E. Meier, S. 1900—199.