Die Reorganisation der Verwaltung. (8. 70.). 365
dings nicht zu umgehen sein. In jedem Falle aber gehört diese Gesetzgebung zu den
großartigsten gesetzgeberischen Werken nicht der Neuzeit nur, sondern in der ganzen branden-
burgisch-preußischen und deutschen Staats= und Rechtsgeschichte. Entsprungen dem Geiste
des größten unserer Staatsmänner, des Fürsten Bismarck!l, ist sie durch hervorragende
Mitarbeiter, vor allem die beiden Grafen Fritz und Botho Eulenburg, v. Puttkamer,
v. Goßler, Herrfurth ausgearbeitet und ausgeführt worden; auch die parlamentarische
Mitwirkung an dem großen Werke war im ganzen ein historisches Verdienst. So
blieben die großen Grundlagen der preußischen Verwaltung, die einst Friedrich Wilhelm I.
gelegt hatte und in denen die Eigenart des Preußischen Staates sich darstellt, erhalten:
nicht nur in besonders wichtigen Einzelstücken, wie der Oberrechnungskammer, der (Re-
gierungs-Bezirksverwaltung — die phantastische Idee, die Regierungen aufzuheben 2, war
bald ausgeschieden —, der Kreisverwaltung durch den Landrat, sondern vor allem in
den Grundgedanken des streng geschulten, zu strenger Pflichttreue erzogenen, vom Prinzip
des verwaltungerechtlichen Dienstgehorsams erfüllten und doch — gemäß altpreußischer
Tradition — in Wahrnehmung seiner Amtspflichten, insonderheit der Interessen des ihm
anvertrauten Volks= und Landesteiles, überaus selbständigen Beamtentums. So wurden
die großen Reformgedanken Steins, die auf der Grundlage Friedrich Wilhelms I. weiter-
bauten, bewahrt: 1. die Zentralverwaltung durch sachlich gegliederte, mit den besten
Kräften ausgestattete Ministerien; 2. die Verbindung wertvoller historischer Traditionen
der einzelnen Landesteile mit den Notwendigkeiten eines freien liberblickes über große
Verwaltungsgebiete in dem Amte der Oberpräsidenten der Provinzen und 3. die weit
auogedehnte, von freiesten Gesichtspunkten erfüllte Selbstverwaltung der Städte. An diese
Jrundlegenden Gedanken der beiden früheren großen Epochen der preußischen Verwaltung
schlossen sich durch die neueste Reform an: 1. die Weiterführung des Selbstverwaltungs-
gedankens in der kommnnalen Organisation der Kreise und Provinzen und — soweit dies
die tatsächlichen Verhältnisse als möglich erscheinen ließen — auch der Landgemeinden;
2. die als Korrelat der weit ausgedehnten freien Selbstverwaltung notwendig gewordene
Zentralisation der Staatsverwaltung durch grundsätzlichen Üübergang zum Präfektursystem
in der Bezirksverwaltung; endlich 3. die umfassende Neugestaltung der Verwaltungs-
gerichtsbarkeit zum Schutze gegen jede Willkür der Verwaltung, insonderheit der Polizei,
und zur Sicherung persönlicher Rechte auf dem gesamten Gebiete des öffentlichen Rechtes.
Die Neugestaltung der preußischen Verwaltung darf in der Hauptsache jetzt schon
als durch die Erfahrung bewährt bezeichnet werden; insbesondere darf dies von den Neu-
schöpfungen der Selbstverwaltung in Kreis und Provinz behauptet werden; die Selbst-
verwaltung der Landgemeinden muß für die östlichen Provinzen allerdings nach Lage der
tatsächlichen Verhältnisse vorerst Stückwerk bleiben, indes in den westlichen Pro-
vinzen sich die Lokalverwaltung mehr und mehr in den Samtgemeinden
(Bürgermeistereien und Amter: konzentriert und in ihnen ein nicht
nur lebensfähiges, sondern machtvolles Gebilde in die Organisation
der Gesamtverwaltung eingetreten ist und sich von Tag zu Tag zu größerer
Stärke entwickelt.
Dem gegenüber bilden Oberpräsident, Regierungspräsident und Bezirksregierung,
Landrat die festen Elemente der Staatsverwaltung, sei es in selbständiger Funktion, sei
es unter Mitwirkung und Kontrolle der ihnen beigeordneten Selbstverwaltungvorgane:
Provinzialrat, Bezirksausschuß, Kreisausschuß.
Fragen der zukünftigen Revision sind: 1. die etwaige Vereinigung von Provinzial-
rat und Provinzialausschuß im Sinne der analogen Organe der Bezirks und Kreis-
verwaltung; 2. die vollständige Durchführung des Präfektursystems bei den Regierungen
durch Aufhebung auch der zweiten und dritten Abteilungen der Regierungen; 3. die Auf-
hebung der Verwaltungsgerichtobarkeit in der Kreisinstanz, indes die Notwendigkeit der
Bezirfsinstanz — Bezirksausschuß — bei dem großen Umfang des preußischen Staats-
gebieter heute schon als feststehend bezeichnet werden darf; 4. die anderweitige Abgrenzung
1 -. hierüber die Mitteilungen bei Gueist, 2 S. hierüber die oben S. 363 N. 1 genannte
Der Rechtostaal, 2. Anfl., S. 278 ff. „Densichrift".