Gesetzlich bevorzugte Staatsbürger. (§. 51.) 29
III. Für die Feststellung der staatsrechtlichen Verhältnisse der gegenwärtig der
preußischen Monarchie angehörigen vormals unmittelbaren deutschen Reichsfürsten und
Grafen! sind diejenigen, deren Besitzungen dem Preußischen Staate infolge der Verhand-
lungen auf dem Kongresse zu Wien im Jahre 1815 und infolge der Einverleibung der Hohen-
zollernschen Lande im Jahre 1850 unterworfen wurden, von denjenigen, deren Besitzungen
den im Jahre 1866 mit dem Preußischen Staate vereinigten Landesteilen angehören, zu
unterscheiden. Für die alte Monarchie in ihrem Gebietsumfang bis 1815 ist das Rechts-
institut der Standesherren überhaupt nicht vorhanden.
Zur Regulierung der Verhältnisse der dem Preußischen Staate infolge der Ent-
scheidungen des Wiener Kongresses zugeteilten vormals Reichsunmittelbaren auf Grund
der oben erwähnten bundesrechtlichen Bestimmungen ist zunächst die Verordnung v. 21. Juni
1815, betreffend die Verhältnisse der vormals unmittelbaren deutschen Reichsstände in
den Preußischen Staaten 2, ergangen, welche deren Rechte, unter fast wörtlicher Wieder-
holung der Bestimmungen des Art. XIV der Bundesakte 3, in solcher Weise festgestellt
hat, daß fie in vielen Beziehungen über dasjenige hinausgeht, was die Bundesakte ge-
währte."“ Zur näheren Entwicklung der in dieser Verordnung enthaltenen Grundsätze
und des durch sie und den Art. XIV der Bundesakte begründeten Rechtszustandes der
Mediatisierten ist dann ferner die Allerhöchste Instruktion v. 30. Mai 18207 erlassen
worden. Auf Grund dieser Instruktion haben hiernächst mit den sämtlichen" einzelnen
vormals reichsständischen Häusern, welche im Jahre 1815 unter preußische Hoheit ge-
kommen sind, Verhandlungen stattgehabt, infolge deren ihnen teils „Konzessionsurkunden“
erteilt, welche mehrenteils ihre hoheitlichen Rechte speziell feststellen, teils „Rezesse“ mit
ihnen abgeschlossen worden sind, welche in der Regel nur finanzielle Verhältnisse zum
Gegenstande haben.7
Den solchergestalt bundesrechtlich und durch besondere Gesetze und Verträge fest-
gestellten Rechten jener Mediatisierten hat nun die Verfassungsurkunde sowohl als die
spätere Gesetzgebung mehrfachen Abbruch getan. Insbesondere waren dem bloßen Wort-
laute nach durch die im Art. 4 der Verfassungsurkunde ganz allgemein ausgesprochene
Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetze und die Aufhebung aller Standesvorrechte
1 Die sehr ausführliche Darstellung, die v. aus Männern, die ihre Militärverpflichtung er-
Rönne dieser Materie gegeben hatte, habe ich
im wesentlichen in ibrem früheren Texte belassen.
* G. S. 1815, S. 105.
2 Der §. 1 der Verordn. nimmt den Art.
XIV der Bundesakte, unter Bestätigung seines In-
haltes, vollständig in sich auf, jedoch mit Weg-
lassung des Satzes, „daß die königl. bayerische
Berordn. v. 19. März 1807 den näheren Be-
stimmungen als Basis und Norm untergelegt
werden solle“. — Vgl. über die wesentlichen Ab-
weichungen der Verordn. v. 21. Juni 1815 von der
bayerischen Verordn. v. 19. März 1807 die Bemerk.
des Abg. Kühne in den Stenogr. Ber. der II.
K. 1853—54, Bd. II, S. 764.
4 Die Verordn. gewährleistet ihnen nämlich
noch speziell folgende Rechte: a) den Besitz ihrer
Domänen und davon herrührenden Einkünfte, so-
wie der direkten Steuern vorbehaltlich einer Re-
vision und der Verwendung zu des Landes Besten
(. 3); b) die Steuerfreiheit von gewöhnlichen
Personal= und Grundsteuern für ihre Personen
und Familien, desgl. für ihre Domänen, jedoch
nicht von außerordentl. und Kriegesteuern und
von indirekten Steuern (F. 45; c) die Benunung
der Jagden aller Art, der Berg= und Hütten-
werke (§. 5); d) ihre Untertanen sind der Mili-
tärverfassung des Preuß. Staates unterworfen;
indes steht den Standesherren frei, Ehrenwachen
Abg. H. 1864,
füllt haben, zu halten (§. 6); e) das Recht der
Ausübung der Gerichtsbarkeit in erster und zweiter
Instanz (mit einigen Beschränkungen) und den
privilegierten Gerichtsstand vor den Obergerichten
für sich und die zu ihren Familien gehörenden
Personen (. 7); f0 die Ausführung und Exe-
kution der Staatsgesetze und Anordnungen durch
ihre Behörden (§. 8). Vgl. dazu Senydel,
Bayr. St. R., I, S. 602 ff. u. die dort angeg.
Literatur.
5 G. S. 1820, S. 81—100. — Diese Instr.
beruht auf den Verhandlungen, welche in den
Jahren 1817—20 zwischen den sechs Prov.-Regie-
rungen in der Rheinprovinz und Westfalen und
dem betr. Adel unter der Leitung des bekannten
Publizisten Klüber (damaligen Preuß. wirkl.
Geh. Legationsrats), als Königl. Immediatkom-
missarius, stattgefunden haben (vgl. das Vorwort
lvon Morstadt zur 4. Ausg. v. Klübers
ÖOf. R. d. D. B., S. XIII).
* Vgl. den Ber. W Komm. der II. K.
29. Mürh 1854 in den Drucks. 1853—54, Bd.
IV, Nr. 235, S. 6, und die Erklärung des Re-
gier. Komm. in den Etenogr. Ber. der II. K. 1853
—54, Bd. II. S. 772.
*Agl. hierüber den Ber. der XIV. Komm.
des Abg. H. v. 16. Jan. 1864 (Stenogr. Ber. des
Aktenst. Nr. 94, S. 577, 578).