Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Zweiter Band. (2)

38 Das Staatsbürgerrecht. (F. 51.) 
liegen. 
Den im Jahre 1815 an Preußen gefallenen Stolbergschen Grafschaften Stol- 
berg, Roßla und Wernigerode kam im Jahre 1806 keine Reichsunmittelbarkeit und keine 
Reichsstandschaft zu, sondern sie standen seit langer Zeit, die beiden ersteren unter kur- 
sächsischer, Wernigerode dagegen unter preußischer Landeshoheit. 
Da sich nun der 
Art. XIV der Deutschen Bundesakte mit seiner Garantie der Eigentumsrechte und der 
obrigkeitlichen Rechte nur auf diejenigen Besitzungen der im Jahre 1806 und seitdem 
mittelbar gewordenen ehemaligen Reichsstände, welche bis zu dieser Zeit reichsständisch 
waren, bezieht, und da den vormals Reichsständischen für Besitzungen außerhalb ihres 
ehemals reichsständischen Territoriums derartige Rechte nirgends garantiert oder zu- 
gestanden worden sind, so können die gräflich Stolbergschen Häuser sich nicht auf den 
Schutz der Deutschen Bundesakte berufen. Ebensowenig kann aber aus der Erwähnung 
  
1 Das gräfl. Haus Stolberg war zur Zeit des 
Reiches im Besitze der Reichsstandschaft, nicht bloß 
in betreff der mit voller Landeshoheit besessenen 
Grasschaft Königstein, der Herrschaften Gedern 
und Ortenburg, sondern auch wegen der Graf- 
schaften Stolberg und Wernigerode. Den größ- 
ten Teil dieses Besitzes riß das Erzstift Mainz 
an sich, wofür im Reichs-Deput.-Hauptschluß v. 
25. Febr. 1803, 8. 17 (v. Meyer, Corpus Juris 
Confeeder. German., 3. Aufl., Bd. I, S. 13) eine 
Entschädigung beim Rheinschiffahrts-Oktroi fest- 
gestellt wurde (vgl. v. Meyer, Staatsakten, 
l. 1, S. 24 u. 270). Reichsständisch waren 
die jetzigen Grafen von Stolberg durch Teilnahme 
an der reichsgräflich Wetterauischen Komitial- 
Kuriat-Stimme im Reichsfürstenrate auf folgende 
Weise: a) Stolberg-Stolberg war nur reichs- 
ständisch-gräflicher Personalist; denn die Graf- 
schaft Stolberg stand unter kursächsischer (seit 
1815 unter preußischer) Landeshoheit, der Anteil 
an der Grasschaft Hohenstein aber unter kur- 
braunschweigischer Landeshoheit und Lehnherrschaft. 
Doch hatte es Kreisstandschaft im obersächsischen 
Reichskreise wegen der zwar mittelbaren, jedoch 
reichssteuerpflichtigen Herrschaft Stolberg; b) Stol- 
berg-Roßla war reichsständisch-gräflicher Realist, 
jedoch nur wegen seines Anteiles (Ortenburg usw.) 
an der reichsständischen Grafschaft Königstein (jetzt 
zum Großherzogtum Hessen gehörig); c) Stol- 
berg-Wernigerode war nur reichsständisch- 
gräflicher Personalist, bis es am 5. Jan. 1804, 
wo der Stolbergisch-Gedernsche Mannstamm er- 
losch, in dem reichsständisch berechtigten Gedern 
(jetzt zum Großherzogt. Hessen gehörig) sukzedierte, 
wodurch es reichsständisch-gräflicher Realist wurde. 
— Standesherrliche Besitzungen im Sinne der 
D. Bundesakte haben diese drei gräflichen Häuser 
unter preuß. Staatshoheit nicht (vgl. Klüber, 
Off. R. d. D. B., S. 892, Note o). Die Graf- 
schaften Stolberg, Roßla und Wernigerode 
standen vielmehr schon vor der Auflösung 
des D. Reiches (1806) unter sächsischer bezw. 
preußischer Landeshoheit. Preußen gehört nur 
eine früher reichsunmittelbare gräflich Stol- 
bergsche Besitzung an, nämlich der Flecken 
Schwarza von etwa 1000 Einwohnern in Thü- 
ringen; diese hatte indes weder Reichsstandschaft, 
noch auch nur Kreisstandschaft. 
2 Die Grasschaft Wernigerode war schon seit 
dem 13. Jahrh. ein kurmärkisches Lehn, und 
wenn auch erst allmählich und einigermaßen ge- 
  
  
waltsamerweise aus dem bloßen Lehnsnexus die 
Landsässigkeit und Untertänigkeit geworden ist, so 
stellt doch der Rezeß v. 19. Mai 1714 unwider- 
leglich fest, daß jedenfalls seit dieser Zeit die 
Grafen zu Stolberg-Wernigerode mit dieser Graf- 
schaft Untertanen des Königs von Preußen waren, 
ogl. jedoch Zachariä, Rechtsgutachten üb. die 
staatsrechtl. Verh. des gräfl. Hauses und der 
Grasschaft Stolberg-Wernigerode zur Krone 
Preußen, (Göttingen, 1862); und desselben Denk- 
schrift über den territorialen Umfang der standes- 
herrl. Vorrechte in Deutschland, vom März 1866, 
2. Aufl., Donaueschingen 1867. Die Graf- 
schaften Stolberg und Roßla kamen erst im 18. 
Jahrh. unter kursächsische Oberhoheit (Rezeß v. 
1733). Die Verwaltung in den drei Graf- 
schaften war bis zum Anfang des 19. Jahrh. 
vollkommen selbständig; die Grafschaften hatten 
ihre eigene innere Verwaltung bis zur Stufe des 
Landrates, in Wernigerode sogar der Regierung, 
ihre eigene Gerichtsbarkeit in Zivil= und Krimi- 
nalsachen bis zum Landgericht, eigene Schul= und 
Kirchenverwaltung bis zur Stufe der Konsistorien 
und Regierungs-Schulabteilungen, ferner eigene 
Berg-, Forst= und Medizinalverwaltung (pvgl. 
hierüber Stenogr. Ber. des Abg. H. 1873—74, 
Anl. I, Nr. 9). 
3 Die gräflich Stolbergschen Häuser gehören 
nicht zu den im Art. XIV der D. Bundesakte 
privilegierten Standesherren, sondern zu der 
Mittelklasse zwischen den Standesherren im Sinne 
der Bundesakte und den vormals reichsunmittel- 
baren Grundherren, und zwar zu derienigen 
Zwischenstufe, welche zur Zeit des alten Reiches 
wenngleich ohne dingliche, und nicht alle mit 
persönlicher Reichsunmittelbarkeit, und ohne Lan- 
deshoheit, doch zur Ausübung eines solchen In- 
begriffs von Regierungsrechten ermächtigt waren, 
welchen man damals vertragsmäßige, unterge- 
ordnete oder subalterne, oder auch reichemittelbar 
untergeordnete Landeshoheit, Landesherrlichkeit oder 
Regierungsgewalt Cus territorü# subordinati 
s. Subalterni, jus territoriale subordinatum, 
superioritas pactitia, auch Unterhoheit) zu nennen 
pflegte #v#gl. Klüber, ÖOff. R. des D. B., §. 318 
in §. 102, Note a#?. Sie gehörten bereits vor 
der Auflösung des D. Reiches (1806) zu der 
Klasse derjeuigen reichsständischen Geschlechter, 
welche in dem Verhältnisse einer Landeshoheit 
standen (vgl. Zachariä, D. St. u. B. R., 
3. Aufl., Bd. 1, S. 503 u. 505).
	        
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