624 Die Staatsbehörden. (S. 96.)
Vierter Titel.
Die Kreisverwaltung.
8. 96.
I. Der Landrat.1
1. Das Institut der Landräte in seiner jetzigen Bedeutung? hat seinen Ursprung
in der Mark Brandenburg und steht hier mit der besonderen Gestaltung der ständischen
Kreisverfassung in engster Verbindung. Die von den Kreisständen aus ihrer Mitte zur
Erhebung der von den Ständen bewilligten Steuern und zur sonstigen Besorgung ständischer
Geschäfte gewählten Kreisverordneten wurden schon früh von den Landesherren benutzt,
um landesherrliche Anträge und Forderungen an die Kreisstände zu bringen. Im Laufe
des 17. Jahrhunderts, besonders seit den Zeiten des Dreißigjährigen Krieges, traten der
Landesherr und diese Kreisverordneten in ein näheres Verhältnis zueinander, indem jener
disse zugleich zu seinen Kreis= und Kriegskommissarien wählte und ihnen die Sorge für
sein Heer und die Polizeigewalt auf dem Lande übertrug. Um die Wende des 17. und
18. Jahrhunderts darf der Umwandlungsprozeß des ständischen in ein landesherrliches
Amt als grundsätzlich abgeschlossen betrachtet werden, wenn auch der ständische Ursprung
des Amtes immer nachwirkte und heute in den Formen der modernen Selbstverwaltung
eine Neubelebung erfahren hat. Unter König Friedrich Wilhelm I. und Friedrich dem
Großen ergingen demnächst eine Reihe von Bestimmungen in betreff des Landratsamtes,
welche, indem sie mehr und mehr den ständischen Charakter desselben verwischten und den
landesherrlichen hervorhoben, dasselbe in ein bestimmt geregeltes Verhältnis zu der Staats-
verwaltung setzten. Nach Verschmelzung der Kriegskommissariate und der Amtskammern
in die Kriegs= und Domänenkammern im Jahre 17233 wurden die Landräte dieser Be-
hörde unmittelbar untergeordnet; sie waren beständige Mitglieder der Kammer, in welcher
sie auch zeitweilig arbeiten mussten, und wurden von den Kreisständen, d. i. den adeligen
Gutsbesitzern, aus ihrer Mitte dem Könige zur Bestätigung präsentiert. Während bei
der Gründung des Amtes die damit verbundenen Obliegenheiten auf einige bestimmte
Punkte beschränkt waren, hatten mit der Zeit, während des 17. Jahrhunderts, Pflichten
und Beruf des Landrats eine große Ausdehnung gewonnen. Die von Friedrich dem
Grosen für die Landräte der Kurmark erlassene Instruktion v. 1. Aug. 1776“ verpflichtete
dieselben, sich über alle Verhältnisse des Kreises die genauesten Kenntnisse zu verschaffen
1 Vgl. Lamotte, Von den Landräten in der Territorien bereits im 16. Jahrh. vor und be-
Kurmark (Berlin 17931. — v. Thiele, Nach= zeichnet eine aus den Ständen durch Wahl ber-
richten von der kurmärkischen Steuerverfassung vorgegangene Kollektivbehörde, nämlich die Aus-
(Halle 1768). — Uber den Ursprung der Land= schüsse der Landtage, welche dem Landesherrn zu
räte in der Mark Brandenburg in v. Kamptz, besonderer Ratgebung und Unterstützung in den
Ann., Bd. XII, S. 881—892. — Balthasar, Acgrungegeschäften zur - standen. Bal-
Vom Ursprung, Amt, Recht und Wahl der Land- Za chariä, D. St. u. B. (3. Aufl.), Bd. I,
räte in Pommern und Rügen (Greifswalde 1752). S. 687 in der Note, r Grundf. des aet
— Die Kurmark Brandenburg, ihr Zustand und meinen D. St. R. (5. Ausg.), Bd. II, S. 448. Em
ihre Verwaltung im Okt. 1806 (Leipzig 1847), derartiger „Landrat“ besteht heute noch in Bavern.
S. 87 ff. — H. A. Mascher, Das Institut der vgl. Seydel, Bayr. St. R., Bd. III, S. 279 fl.
Landräte in Preusten. Historisch, juristisch und 3 Vgl. oben, S. 524. — Die älteste Instruk.
nationalökonomisch stizziert (Berlin 1868). — H. tion für die kurmärkische Kammer war v. 26. Jan.
Simon, Preuß. Staaterecht, Bd. II, S. 195 ff.— 1723 (rgl. darüber: Die Kurmark Brandenburg
Uber die ältere Geschichte des Landratsamtes E. (Leipzig 1847), S. 85).
Meier, Reform d. preuß. Verwaltung, S. 98 ff., * Abgedruckt in von Lamotte über die Land-
357 ff.; Gelpcke im Verwaltungsarchiv, Bd. X, räte in der Kurmark (Berlin 1793). Vagl. dr
E. 211 f. Schrift: Die Kurmark Urandenburg im Okt. 1806.
:2 Der Name „Landrat“ kommt in deutschen S. 88; E. Meier, Reform, S. 105.