Der Landrat. (§. 96.) 625
und darüber an die höheren Behörden zu berichten, vor allem aber die landwirtschaft-
lichen Interessen nach besten Kräften zu pflegen.! Es war also mit dem Amte
eine gewisse Universalität verbunden; dasselbe sollte im kleinen
Kreise die Gesamtregierung vertreten. Die Bedeutung des Instituts und
sein Wert für den Staat und die Regierung lag zugleich darin, daß die Wahl des
Landrats durch seine Standesgenossen ihm ein um so größeres Ansehen und eine um
so größere Selbständigkeit gewährte, weil das Amt bei der geringen Besoldung als ein
Ehrenamt erschien. Wie die Regierung in diesen gewählten Behörden eine kräftige
Stütze fand, so waren dieselben zugleich wirksame Vertreter der Bedürfnisse des Kreises
gegenüber den höheren Behörden. Und diese historische Tradition des Landratsamtes hat
sich bis heute in der Monarchie kräftig erhalten. Die Vorteile, welche das Institut
für die Staatsregierung gewährte, führte dahin, daß König Friedrich Wilhelm I. und
Friedrich II. dasselbe, unter gleichzeitiger Bildung von Territorialabschnitten, welche den
märkischen analog waren, fast auf alle Teile der damaligen Monarchie ausdehnten.
Das sogenannte Gendarmerieedikt v. 30. Juli 1812 5, welches auch eine vollständige,
ganz nach französischen Ideen gestaltete Kreisordnung enthielt", beabsichtigte die gänzliche
Beseitigung der alten kreisständischen Verfassung mit dem Institute der Landräte.“ An
die Stelle der letzteren sollten vom Könige ernannte Kreisdirektoren, die Unterpräfekten
der napoleonischen Verwaltungsorganisation, treten." Indes gelangte das Edikt in diesem
Teile glücklicherweise nicht zur Ausführung.“' Die Verordnung v. 30. April 1815
wegen verbesserter Einrichtung der Provinzialbehörden bestimmte dann in betreff der
Landräte, daß diese als Organe der Regierungen fortbestehen sollten, und daß jeder Kreis
einen Landrat haben solle?; weitere Verordnungen über die Organisation der Landräte
und deren Instruktion blieben vorbehalten. 10 Die Ministerien des Innern und der Finanzen
entwarfen demgemäß im Auftrage des Königs, nach angehörtem Gutachten sämtlicher
Regierungen, unterm 31. Dez. 1816 eine „Instruktion für die Landräte und die ihnen
untergeordneten Kreisoffizianten“; indes hat diese niemals die königliche Genehmigung
erhalten.Ö Als nämlich nach Beendigung des Rrieges die Angelegenheit wieder auf-
genommen werden konnte, gelangte der lange Kampf liberaler Bureaukratie und des alt-
ständischen Elements, welcher sich durch die ganze Verwaltung des Staatskanzlers Fürst
Hardenberg hindurchzieht, in den zwanziger Jahren durch Einführung neuer Kreisordnungen
und daran sich knüpfende Verordnungen in betreff des Landratsamtes zu einem gewissen
1 Die Instruktion wies sie an. „für das Kon-
tributionswesen, die Kavallerieverpflegung, den
Unterhalt der Truppen auf Märschen, die Ver-
solgung von Deserteuren und Aushebung der
Rekruten, die Erlegung des Lehnskanon zu sorgen“.
Sie sollten ferner „statistische Tabellen aller Art
anlegen, neue ökonomische Systeme und Verbes-
serungen einführen, den Feld= und Gartenbau,
die Viehzucht fördern, die Kinder und das Ge-
sinde auf dem Lande zum Spinnen anhalten,
Obstbäume pflanzen, den Hopfenbau begünstigen,
den Anbau der Kartoffeln, Rüben und anderer
Gartenfrüchte, sowie der Futter= und Farbenkräuter
pflegen, Bienenzucht und Seidenbau, Flachs= und
Hanfbau unterstützen, Sümpfe und Sandflecken
zur Kultur bringen usw."“.
* Pommern und das Herzogtum Magdeburg
haben noch unter König Friedrich Wilhelm l.
Kreisstände und Landräte erhalten. In Schlesien
hob Friedrich der Große die alte landständische
Verfassung auf, nach welcher das Land in Fürsten-
tümer zerfiel und diese in Weichbilder, welchen
von den Landständen gewählte Landesälteste vor-
standen. Statt dessen wurden zwei Kriegs und
Domänenkammern errichtet, das Land wurde in
Kreise geteilt und, wie in der Mark, das Land-
ratsamt, mit dem Rechte der Rittergutsbesitzer
5. Aufl. II.
v. Rönne-Zorn, Preuß. Slaatsrecht.
zur Präsentation des Kandidaten, eingeführt. Das-
selbe geschah in den westfälischen Provinzen im
Jahre 1752, und um dieselbe Zeit in Ostpreußen,
wo bisher allgemeine Landstände, aber keine Kreis-
stände und Kreise bestanden hatten. Auch in
Westpreußen wurde im Jahre 1773 die Kreis-
einteilung mit Landräten eingeführt. S. über
die ganze Entwicklung oben, Bd. I. S. 23.
2 G. S. 1812, S. 141.
4 S. E. Meier, Reform, S. 423 ff.
5 Vgl. oben. S. 324 f.; E. Meier, S. 432 ff.
6 Ed. v. 30. Juli 1812, Einleit. sub VI.
*' Vgl. oben, S. 325.
* G. S. 1815, S. 85.
°" 8§. 33, 34, 40 der Verordn. v. 30. April 1815.
1° §5. 39 der Verordnung v. 30. April 1815.
11 Diese Instruktion findet sich abgedruckt in
den Ergänz. u. Erläut. der preuß. Rechtsbücher
von Gräff, v. Rönne usw., 2. Aufl., Bd. VI,
S. 191 ff. Sie ist bloßer Entwurf geblieben,
hat jedoch trotzdem die Kraft einer vorläufigen
Instruktion hinsichts der Formen des Geschäfts-
ganges und der Verwaltungsnormen gewonnen,
soweit dies mit den bestehenden Gesetzen zu ver-
einigen ist (Reskr. der Min. des H. und des
Inn. u. d. Pol. v. 24. Nov. 1822, v. Kampt,
Ann., Bd. VI, S. 929.
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