Die Ortsverwaltung. 649
(§. 98.)
Eine besondere Einrichtung dieser Art hat das Gesetz v. 16. Sept. 1899 (G. S.,
S. 172), §§. 10—12 in den Gesundheitskommissionen — unter Aufhebung der
früheren Sanitätskommissionen, besonders nach Regulativ v. 8. Aug. 1835 (G. S.,
S. 240) — geschaffen. Diese Gesundheitskommissionen sind in Gemeinden von mehr
als 5000 Einwohnern, gleichgültig ob Stadt= oder Landgemeinden, obligatorisch; in
Städten unter 5000 Einwohnern kann der Regierungspräsident, in Landgemeinden der
Landrat im Einverständnis mit dem Kreisausschuß die Bildung solcher Kommissionen an-
ordnen. Die Bildung erfolgt in den Städten nach den Vorschriften der Städteordnungen;
auch können sie in Unterkommissionen für einzelne Bezirke zerlegt werden. In den Land-
gemeinden bestimmt der Landrat über Zusammensetzung und Geschäftsgang. Das Amt
ist ein Ehrenamt; für Annahme und Ablehnung gelten die für die Gemeindeämter be-
stehenden Vorschriften, jedoch ist ärztliche Praxis kein Ablehnungsgrund. Der Kreisarzt
(s. darüber oben, S. 638 ff.) kann jederzeit den Zusammentritt der Kommission verlangen
und hat bei ihren Verhandlungen immer beratende Stimme. Die Gesundheitskommission
hat folgende Aufgaben: 1. von den gesundheitlichen Verhältnissen des Ortes sich Kenntnis
zu verschaffen, die polizeilichen Maßnahmen, besonders gegenüber drohenden oder ausge-
brochenen gemeingefährlichen Krankheiten, durch Belehrung der Bevölkerung, Untersuchung
von Wohnungen u. dergl. zu unterstützen; 2. sich über alle ihr von Polizei= oder Ge-
meindebehörden vorgelegten Fragen des Gesundheitswesens gutachtlich zu äußern; 3. diesen
Behörden Vorschläge über Verbesserung des Gesundheitswesens zu machen.
Nach den sämtlichen Städteordnungen ist endlich noch bei größeren Städten eine
lokale Teilung der obrigkeitlichen Funktionen in Bezirke mit Bezirksvorstehernt
zulässig, sei es durch Ortsstatut (Schleswig-Holstein, Hannover), sei es durch Gemeinde-
beschluß (Hessen-Nassau), sei es durch den Gemeindevorstand nach Anhörung der Stadt-
verordneten (übrige Provinzen). Der Bezirksvorsteher ist obrigkeitliches Organ der Stadt-
obrigkeit.
VIII. In der Provinz Posen gelten grundsätzlich die gleichen Vorschriften in be-
treff der Ortsobrigkeit für die Landgemeinden wie in den übrigen östlichen Provinzen
der Monarchie. Für die Polizeiverwaltung dagegen gelten besondere Vorschriften dahin,
daß die Kreise eingeteilt sind in Distrikte, in denen Distriktskommissare als Orts-
polizeibehörden fungieren; sie werden von Staats wegen ernannt und unterstehen den Land-
räten. In den selbständigen Gutsbezirken jedoch wird die Ortspolizei vom Gutsvorsteher
oder einem vom Landrat zu bestätigenden Stellvertreter verwaltet.
IX. Zu den untergeordneten Lokalbehörden gehören auch die in mehreren Provinzen
des Staates vorkommenden Dorfgerichte. Sie sind teils zur Leitung der Kommnnal=
angelegenheiten, teils aber auch zur Handhabung der Dorfpolizei und zur Unterstützung
der Verwaltungs= und Gerichtsbehörden in lokalen Angelegenheiten bestimmt und finden
sich in den Provinzen Brandenburg, Pommern, Ost= und Westpreußen", Schlesien und
Sachsen.5* In der Provinz Posen sind eigentliche Dorfgerichte nicht vorhanden, wiewohl
in einzelnen Dörfern Schulzen und Gerichtsmänner bestellt sind 6; dagegen bestehen solche
1 Schön, Recht der Komm. Verb., S. 142.
* Die Einrichtung beruht aufs Kab. O. v.
10. Dez. 1836 und hat durch die neue Gesetz-
gebung keine Veränderung erfahren.
Vgl. Starke, Darstellung der bestehenden
Gerichtsverfassung in dem Preuß. Staate, §. 157,
S. 414 ff. — Riedel, Uber die Dorsschulzen
in den Ländern östlich der Elbe (in dessen Beitr.
zur Kunde des prenst. Rechts, Beitr. 1, S. 96 ff.).
— Durch die Gemeindeordnung v. 11. März
1850 war das Institut beseitigt worden: es ist
indes mit Aufhebung der Gemeindeordnung wieder
ins Leben getreten. Uber die im J. 1850 be-
absichtigte Einführung anderer Lekalbehörden an
Stelle der Dorfgerichte vgl. das Zirk. Reskr. des
Just. Min. v. 14. März 1850 (Just. Min. Bl.
1850, S. 94).
* Im Bezirke der Oberlandesgerichte zu Marien-
werder und Königsberg bestehen keine förmlichen
Dorsgerichte, wohl aber Landgeschworene oder Dorf-
schulzen und Geschworene oder Schöppen; dagegen
war im Departement des ehemaligen Oberlandes-
gerichts zu Insterburg die vollständige Organisation
der Dorfgerichte im J. 1815 erfolgt (vgl. Starke,
a. a. O., S. 416, Amtsbl. der Regierung zu Gum-
binnen, Jahrg. 1815, S. 448).
5 In dieser Provinz sind die Dorfgerichte erst
in neuerer Zeit vollständig eingeführt worden
(Startke, a. a. O., S. 417).
* Vgl. Starke, a. a. O., S. 416.