Die JInstizverwaltung. (8. 99.) 653
Drittes Kapitel.
Das Gerichtswesen.'
Erster Titel.
8. 99.
Die Justizverwaltung.
Die Justizverwaltung ist einheitlich für die ganze Monarchie und wird durch das
Justi zministerium geführt (s. oben, §. 77, S. 419 ff.). Die provinziellen Organe
der Justizverwaltung sind — neben ihrer Eigenschaft als Gerichte — die Oberlandes-
gerichte.
I. Der §. 5 der Verordnung v. 30. April 18152 hatte bestimmt, daß in jedem
Regierungsbezirke in der Regel ein Oberlandesgericht für die Verwaltung der Justiz und
eine Regierung für die Landespolizei und für Finanzangelegenheiten bestehen solle; einige
Regierungsbezirke sollten indes, vorerst vereinigt mit anderen, ein Oberlandesgericht be-
sitzen. Die Bezirke der Provinzialjustizkollegien sollten hiernach in der Regel mit den
Bezirken der Provinzialverwaltungsbehörden übereinstimmen. Demgemäß wurden in dem
Anhange zu der gedachten Verordnung auch die Sitze der Provinzialjustizkollegien näher
bestimmt. Bei der Ausflihrung der Verordnung v. 30. April 1815 ist indes, wie be-
treffs der Bildung der Regierungsbezirke, so auch betreffs derjenigen der Obergerichts-
bezirke, vielfach von jener Regel abgewichen worden, so daß die Bezirke der Regierungen
und Obergerichte in den neun alten Provinzen der Monarchie weder den Bestimmungen
jener Verordnung entsprachen, noch eine Ubereinstimmung der Justiz= und Verwaltungs-
bezirke überall bestand."
II. Das mit dem 1. Okt. 1879 in Kraft getretene deutsche Gerichtsverfassungs-
gesetz v. 27. Jan. 1877, in der vom 1. Jan. 1900 an geltenden Fassung des Gesetzes
betreffend Anderungen des Gerichtsverfassungsgesetzes und der Strafprozeßordnung vom
17. Mai 1898 durch den Reichskanzler am 20. Mai 1898 bekannt gemacht 5, hat
(§. 12) vorgeschrieben, daß die ordentliche streitige Gerichtsbarkeit durch Amtsgerichte
und Landgerichte, durch Oberlandesgerichte und durch das Reichsgericht aus-
1 Inwiefern das Gerichtswesen — neben der
selbständigen Disziplin des Prozeßrechtes — Be-
standteil des Staatsrechtes ist, erörtert Laband,
Bd. III, S. 344 ff. in überaus anregender Weise.
Die v. Rönnesche Darstellung war nicht von
solchen besonderen staatsrechtlichen Gesichts-
punkten beherrscht; die Neubearbeitung konnte nach
dieser Richtung nur Hinweisungen geben, im
übrigen aber war die Rönnesche Darstellung
dem gegenwärtigen Stande der Gesetzgebung ge-
mäß zu gestalten. Für die Einzelvorschriften
dieser Gesetzgebung sei besonders verwiesen auf
den groß angelegten Kommentar zu Zivilprozeß-
ordnung und Gerichtsverfassungsgesetz von J.
Struckmann und Koch, 2 Bde., 8. Aufl., be-
arbeitet von Rasch, Koll, G. Struckmann
(Berlin 1901), der die wissenschaftliche Literatur
in umfassendster Weise berücksichtigt. Vgl. auch
Kettrsen -Remele= Anger, Zivilprozeßordn.
omm., 5. Aufl., 2 Bde., 1906.
* G. S. 1815, S. 85.
s Der §. 7 der Verordnung v. 30. April 1815
bestimmt, daß die Oberlandesgerichte für einen
oder zwei Regierungsbezirke eingerichtet werden
sollten und der §. 8 a. a. O. setzt fest, daß, wo“
die Lokalität es gestattet, das Oberlandesgericht
seinen Sitz an dem Orte haben solle, welcher der
Regierung zum Sitze angewiesen worden. Berlin
sollte demnach der Sitz des Kammergerichtes
bleiben, dessen Rechtsprechung sich über die Stadt
Berlin und den Bezirk der Regierung zu Pots-
dam erstrecken sollte.
* Uber den Zustand bis zur neuesten Reor-
ganisation der Gerichtsverfassung vgl. Starke,
Justizverwaltungsstatistik bei den einzelnen Ober-
gerichtedepartements; desgl. Jahrbuch der preuß.
Gerichtsverfassung, redigiert im Bureau des Just.
Min., 9. Jahrg., Berlin 1870.
s R. G. Bl. 1877, S. 41 ff.; 1898, S.
371 fl.